Kleider machen Leute: Von Jeans und weißen Sneakers in der Politik
Am Tag der konstituierenden Sitzung kamen die 183 Nationalratsabgeordneten in dunklem Anzug, die Damen in feierlicher Robe. Zur Wochenmitte ging es schon legerer zu: So trat FPÖ-Chef Herbert Kickl in Blue-Jeans ans Rednerpult.
Längst gelten Jeans oder weiße Turnschuhe nicht mehr als Freizeitkleidung, sondern als businesstauglich - auch in der Politik. Eine Kleiderordnung gibt es im österreichischen Parlament nicht.
Ex-Gesundheitsminister Mückstein "mag Sneakers wirklich"
"Die Zeit war knapp", erklärte Wolfgang Mückstein im April 2021 nach seiner Angelobung zum Gesundheitsminister. Zwar trug der Grün-Politiker standesgemäß einen Anzug, als er Bundespräsident Alexander Van der Bellen in der Hofburg gegenübertrat, seine weißen Sneakers erregten aber die Gemüter.
"Ich habe in den letzten zehn Jahren in Sneakers und in einem weißen Polo ordiniert. So schnell werde ich mich nicht verbiegen", gab der studierte Mediziner damals zu verstehen. Nachsatz: "Ich mag Sneakers wirklich."
Auch Joschka Fischer war auf weißen Sohlen unterwegs
Mücksteins modischer Tabubruch wirkt fast wie eine Reminiszenz an einen Vorfall, der sich vor fast 40 Jahren in Deutschland ereignete. Joschka Fischer, damals noch junger Abgeordneter der Grünen, betrat die politische Bühne Hessens mit einem Auftritt, der in Erinnerung bleiben sollte. Bei seiner Vereidigung zum Umweltminister im Jahr 1985 trug auch er keine klassischen Lederschuhe, sondern weiße Sneakers, oder wie man in jener, noch Großteiles Anglizismen-freien Zeit sagte: Turnschuhe.
Die konservative Presse tobte: Ein Minister in Turnschuhen, das sei ein Affront gegen die Würde des Amtes!
Fischer hat es später als Bundesaußenminister nach Berlin geschafft, die Schuhe ins Museum: Seit 1990 stehen sie im Deutschen Schuhmuseum in Offenbach und gelten dort bis heute als Hauptattraktion.
"Ich hab die Schuhe ganz bewusst getragen. Es war ein Signal an die Basis", erzählte Fischer heuer bei einem Kongress dem KURIER. "Ich wollte damit ausdrücken, dass ich nach wie vor bodenständig war und den Kontakt mit unseren Leuten nicht verlieren wollte." Das hatte einen Grund: Die grüne Parteibasis war gegen eine Regierungsbeteiligung.
Verteidigungs-Ministerin trug "Spiegelei-Schuhe"
Spannen wir den Bogen zurück nach Österreich, bleiben thematisch aber noch beim Schuhwerk: Im Jahr 2007 sorgte die damalige Außenministerin Ursula Plassnik (ÖVP) für Aufsehen, als sie in rot-weiß-karierten Turnschuhen zur Regierungsklausur erschien.
Gelbe Schuhbänder und eine Spiegelei-Applikation komplettierten ein Erscheinungsbild, das in bürgerlichen Kreisen die Wogen hochgehen ließ.
In den meisten Parlamenten Europas herrscht kein gesetzlich festgelegter Dresscode. Doch eine jahrzehntelange Tradition diktiert, was als angemessen gilt: Anzug und Krawatte für Männer, Kostüm oder Hosenanzug für Frauen. Kleidung steht dabei nicht nur für Stil, sondern auch für Werte - Respekt, Seriosität und Pflichtbewusstsein. Wer diese Normen verletzt, riskiert, sich dem Vorwurf der Respektlosigkeit auszusetzen.
In den USA können "Senatoren selbst entscheiden, was sie tragen"
Auch in den USA kam jüngst eine Debatte um politische Dresscodes auf. Auslöser war Senator John Fetterman aus Pennsylvania, ein 2,03 Meter großer Demokrat mit Tattoos und einer Vorliebe für bequeme Hoodies und weite Shorts. Nachdem er anfangs noch traditionsbewusst im Anzug aufgetreten war, kehrte Fetterman bald zu seiner Freizeitkleidung zurück – und löste damit eine Kontroverse aus, die sogar Gegenstand der Senatsführung wurde.
"Senatoren können selbst entscheiden, was sie tragen", erklärte Senatsführer Chuck Schumer schließlich. Die informelle Kleiderordnung sei infolgedessen obsolet. Fetterman wurde daraufhin zur Zielscheibe konservativer Politiker, die den Kleidungsstil als „respektlos“ bezeichneten.
Wer im modischen Glashaus sitzt, sollte aber nicht mit Steinen werden - denn auch Republikaner sorgten mit ihren Outfits bereits für Aufruhr. Während einer kurzfristig angesetzten Abstimmung, erschien etwa Senator Ted Cruz in Basketballshorts, einem schweißdurchtränkten T-Shirt und Sportschuhen.
Auf Nachfrage erklärte er, dass die Abstimmung genau in die Mitte seines Basketballspiels gefallen sei und er keine Zeit mehr gehabt habe, sich umzuziehen. „Ich bin direkt vom Court hierhergekommen“, scherzte er gegenüber Journalisten.
Kleidung ist mächtiges Werkzeug und Minenfeld zugleich
Kleidung in der Politik ist nie nur ein Stilthema, sie ist mächtiges Werkzeug und Minenfeld zugleich. Sie spiegelt gesellschaftliche Werte, Machtstrukturen und die Erwartungen an die Institutionen wider. Politiker, die sich gegen diese Erwartungen stellen, riskieren öffentliche Kritik, gewinnen aber oft auch Aufmerksamkeit und Sympathien.
Ob Anzug und Krawatte oder Jeans und Sneakers, ob in den Vereinigten Staaten oder in hier bei uns Österreich - am Ende ist das, was Politkern nach wie vor am besten steht, wohl die weiße Weste.
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