VwGH-Präsident Posch: "Bürger sind auf Augenhöhe mit den Behörden"

Insgesamt 14 Jahre lang war Albert Posch im Bundeskanzleramt der Mann für die juristischen Feinheiten: Im Verfassungsdienst, den er seit 2020 auch leitete, beriet er sechs Kanzler und eine Kanzlerin bei gesetzlichen Vorhaben. Jetzt wurde er auf Wunsch der ÖVP, die dies im Regierungsprogramm mit SPÖ und Neos paktiert hat, Präsident des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH).
KURIER: Die Justiz steht unter Spardruck, gleichzeitig kommen mit dem Informationsfreiheitsgesetz ab heute neue Aufgaben hinzu. Wie bewerkstelligen Sie das?
Albert Posch: Die Reform macht den VwGH transparenter und mein Ziel ist es, ihn so transparent wie möglich zu gestalten. Daneben möchte ich im Bereich Digitalisierung Schwerpunkte setzen. Das ist kein Selbstzweck, es geht darum, Prozesse besser und effizienter zu gestalten, damit man sich auf die eigentliche Arbeit konzentrieren kann: Entscheidungen auf höchstem juristischem Niveau in angemessener Dauer zu treffen.
Haben Sie einen Überblick, wie das Haus bestellt ist?
Extrem gut, dank meiner Vorgänger. Die Tatsache, dass man im Jahr 2024 über 7.000 Fälle mit einer Durchschnittsdauer von 5,5 Monaten bewerkstelligen kann, zeigt das Engagement aller Beteiligten.
7.000 Fälle sind viel. Wenn Sie draußen jemand fragt, was der VwGH macht – wie erklären Sie das am besten?
Der VwGH ist seit 150 Jahren eine tragende Säule des Rechtsschutzes in Österreich und hilft den Bürgern, zu ihrem Recht zu kommen. Das Faszinierende an der Verwaltungsgerichtsbarkeit ist, dass die Bürger nicht als Bittsteller auftreten, sondern vor Gericht auf Augenhöhe mit den staatlichen Behörden sind.
Bei Fällen vom Strafmandat bis zum Baubescheid, wenn man sich vom Staat sekkiert fühlt. Kann man’s so sagen?
Genau, in einem ersten Schritt geht man zum Verwaltungsgericht der ersten Instanz. Wenn man dann Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung entdeckt, geht man zum VwGH. Die Masse sind Asylangelegenheiten, 2024 gab es rund 3.000 Fälle.

Können Sie schon abschätzen, was bei der Infofreiheit auf Sie zukommt? Man geht ja davon aus, dass viele Bürger, die keine Auskunft bekommen, sich beschweren und das Gesetz durch die Judikatur nachjustiert wird.
Bei einem neuen Gesetz gibt es immer grundsätzliche Rechtsfragen. Wie viele Fälle auf uns zukommen, kann man noch nicht abschätzen.
Sie haben die Gesetzwerdung damals im Verfassungsdienst (VD) begleitet. Was war für Sie besonders kniffelig?
Es haben sich viele politische Fragen gestellt, die politisch zu beantworten waren. Da ging es etwa um Fragen der Reichweite und Einbindung der Gemeinden. Insgesamt bin ich überzeugt, dass das Paket staatliches Handeln transparenter macht, ohne das Kind mit dem Bade auszuschütten.
Auch an der neuen Bundesstaatsanwaltschaft haben Sie mitgearbeitet. Wie zufrieden sind Sie mit dem, was politisch paktiert wurde?
Ich verstehe das Anliegen, dass man schon den Anschein von Einflussnahme vermeiden möchte. Die meisten Fragen sind politischer Natur.
In der Praxis spielt die Frage, ob einer allein entscheidet oder zu dritt, wie derzeit geplant, eine Rolle. Gerade bei der Beeinflussbarkeit.
Im aktuellen Regierungsprogramm ist ein Kollegialorgan vorgesehen. In der Praxis ist es letztlich eine Frage der Amtsführung.
Beim VwGH werden Fälle, die durchaus von großer politischer Tragweite sind, in einem Dreier- bzw. Fünfergremium entschieden. Wie sichert man sich hier gegen Einflussnahme ab?
An der Unabhängigkeit besteht aus meiner Sicht kein Zweifel. Ich stehe für eine unabhängige, selbstbewusste, alleine dem Gesetz verantwortliche Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Sie waren Berater von mehreren ÖVP-Vizekanzlern und einmal ÖVP-Kabinettschef. Im Verfassungsdienst haben Sie dann Wert darauf gelegt, als Jurist wahrgenommen zu werden, frei von parteipolitischer Färbung. Jetzt wurden Sie auf Wunsch der ÖVP VwGH-Präsident. Wie geht’s Ihnen mit diesem Stempel?
Entscheidend ist die fachliche Expertise. Ich glaube, das hat die Bundesregierung mit ihrem Personalpaket – inklusive der Besetzungen am Verfassungsgerichtshof – unter Beweis gestellt.
Die frühere Klimaministerin Leonore Gewessler (Grüne) hat Ihnen als VD-Chef im Streit um das EU-Renaturierungsgesetz vorgeworfen, Sie seien nicht unparteilich, sondern arbeiten der ÖVP zu. Wie haben Sie das erlebt?
Der Verfassungsdienst agiert in seiner gutachterlichen Tätigkeit unabhängig. Die Aufgabe ist, verfassungsrechtliche Grenzen aufzuzeigen. Damit macht man sich nicht nur Freunde, das gehört zum Geschäft. Im konkreten Fall hat mich gestört, dass der Verfassungsdienst zum politischen Spielball gemacht worden ist. Das habe ich immer versucht zu vermeiden, hier ist es mir nicht gelungen.
Sie waren 14 Jahre im Kanzleramt tätig. Wie ist es Ihnen mit den unterschiedlichen Kanzlern ergangen?
Jeder hat seinen eigenen Stil, aber letztlich hat jeder immer großen Respekt vor der Arbeit des Verfassungsdienstes gehabt.

Gab es welche, die mehr und welche, die weniger auf Sie gehört haben?
Die Gutachten sind nicht bindend, letztlich ist es eine politische Risikoentscheidung, wie man damit umgeht. Aber jeder Politiker ist gut beraten, dem Verfassungsdienst zu vertrauen.
Ihr Vorvorgänger im VwGH, Clemens Jabloner, hat vor einigen Jahren gewarnt: „Die Justiz stirbt einen stillen Tod.“ Besteht dieses Risiko angesichts des Sparpakets der Regierung jetzt wieder?
Dieses Risiko besteht immer, wenn jemand der Meinung ist, den Sparstift in der Rechtsprechung ansetzen zu müssen. Für den VwGH kann ich sagen, dass die hervorragende Bilanz, die dieses Haus vorzuweisen hat, nur mit einer entsprechenden budgetären Ausstattung möglich ist.
Albert Posch
*1978 in Vorau, Steiermark, ist seit 1. September auf Vorschlag der ÖVP Präsident des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH). Vizepräsidentin Bettina Maurer-Kober wurde von der SPÖ ausgesucht.
Jurist & Berater
Seit 2005 war Posch war im Verfassungsdienst, den er seit 2020 auch leitete. Dazwischen war er verfassungsrechtlicher Berater von drei ÖVP-Vizekanzlern und kurzzeitig Kabinettschef von Gernot Blümel.
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