Korruptionsexperte Kreutner: "Pilnacek war auch ein Opfer des Systems“

In Österreich existiert eine „Zwei-Klassen-Justiz“. Zu diesem Schluss kommt Martin Kreutner 2024 mit jener Kommission, die politische Einflussnahme auf die Justiz untersuchte. In deren Fokus: Ex-Sektionschef Christian Pilnacek, dessen Tod 2023 heute noch Medien, wohl bald einen von der FPÖ initiierten Untersuchungsausschuss und auch den Juristen beschäftigt. Am Tresen der Milchbar, dem innenpolitischen Podcast des KURIER, spricht Kreutner über Nietzsche, den Teufel und Fallstricke. Die wichtigsten Aussagen zusammengefasst:
Laut Duden sind korrupte Menschen „moralisch verdorben“. Wie oft begegnet der Korruptionsexperte solchen Menschen?
In dieser Frage müsse man „ehrlich sein“, sagt Kreutner. „Denn jeder hat irgendwo eine kleinere oder größere dunkle Seite. Auch ich bin nur menschlich, allzumenschlich, sowie es Nietzsche formuliert.“
Korruption sei allerdings etwas, das über „die kleinen Unzulässigkeiten des Alltags hinausgeht. Letztendlich geht es bei Korruption darum, dass ein Mandat im öffentlichen Sektor für die eigene Vorteilnahme missbraucht wird.“
Ist Österreich korrupter als andere Länder?

Justizministerin Alma Zadic und Martin Kreutner
Der Experte: Der Tiroler Kreutner (Jg. 1964) war u. a. Leiter des BIA (Büro für Interne Angelegenheiten im Innenministerium), Berater für die Vereinten Nationen, OSZE, Transparency International und Weltbank. Zudem initiierte er das Antikorruptionsvolksbegehren.
Die Kommission 2024 wurde er mit der Leitung einer Untersuchungskommission im Justizministerium betraut und kommt zum Schluss: Es gab Einflussnahme in der Ägide des früheren Sektionschefs Pilnacek.
Gemäß Korruptionswahrnehmungsindex 2024, in dem Österreich auf 67 von 100 Punkten abgerutscht ist – „2005 waren wir um 20 Punkte besser“ – könnte man den Eindruck gewinnen, sagt Kreutner. „Österreich ist per se deswegen aber nicht korrupter geworden als andere Länder.“ In der Bevölkerung werde der Korruptionsbegriff überdies „sehr weit gefasst. Die Signa- oder KTM-Pleite würden darunter subsumiert, dabei handle es sich allerdings nicht um „klassische Korruptionsdelikte“.

Christian Pilnacek und Alma Zadic
Was verspricht er sich von der beschlossenen aber noch nicht umgesetzten Bundesstaatsanwaltschaft als oberste Weisungsbehörde?
Kreutner wertet den Beschluss der türkis-rot-pinken Regierung als eine „starke Absichtserklärung“, zumal man seit über zwei Jahrzehnten die Einführung eines Bundesstaatsanwaltes diskutiert habe. „Der Lackmustest der Regierung wird sein, ob alles, was vorgesehen ist, auch wirklich durchgeht, denn für die Umsetzung braucht man eine Zweidrittelmehrheit.“ Es gelte noch einige Hürden und fachliche Dinge „auszudiskutieren, denn wie in vielen Dingen des Lebens steckt der Teufel im Detail“.
ÖVP-Chef und Kanzler Christian Stocker, selbst Jurist, konnte dem Dreiersenat an der Spitze der Bundesstaatsanwaltschaft erst nichts abgewinnen. Kreutner ist seit jeher ein Befürworter der Dreierspitze. Warum?
„Weil wir das Sechs-Augen-Prinzip schon von den alten Römern kennen – und ‚tres faciunt collegium‘ (drei bilden ein Kollegium) hat sich in der Justiz mehr als bewährt.“ Es habe sich auch in anderen Kommissionen als richtig erwiesen, drei Personen mit der Leitung zu betrauen, schlichtweg, „weil eine Person leichter beeinflussbar ist als drei. Zudem ist die Diversität und Pluralität im Meinungsbildungsprozess per se positiv.“

Kronzeuge Thomas Schmid
Wer kommt für einen der Posten im Dreiersenat seiner Meinung nach (nicht) infrage?
Für Kreutner sind nur Richter und Staatsanwälte mit „langer, inhaltlicher und konkreter Praxiserfahrung“ für die Bundesstaatsanwaltschaft prädestiniert. Der „Durchlässigkeit der Berufe“, die im Vorfeld politisch vielfach diskutiert wurde, kann er rein gar nichts abgewinnen. „Bei allem Respekt für Rechtsanwälte oder Universitätsprofessoren“, sagt er – und schildert dann ein Beispiel: „Stellen Sie sich vor: Sie liegen am OP-Tisch vor einer schweren Herzoperation, und der Operateur kommt und sagt: ‚Ich habe eine gute Nachricht für Sie, heute haben wir die Durchlässigkeit der medizinischen Berufe, es operiert Sie heute der Zahnarzt.‘ Also bleiben wir bitte bei den Fachleuten.“

Bringt der Kronzeugenstatus auch Schattenseiten mit sich?
Der Kronzeugenstatus habe sich, schickt der Experte voraus, vor allem im Kartell- und Wettbewerbsrecht „sehr bewährt“ und nicht so sehr in den derzeit bekannten Fällen (im August 2022 wird Demoskopin Sabine Beinschab, Ende 2024 Ex-ÖBAG-Chef Thomas Schmid der Kronzeugenstatus zuerkannt). Natürlich gebe es aber auch „Fallstricke“, weil über den Status selbst bis dato der oder die jeweilige Justizminister/in – also eine Politikerin oder ein Politiker – zu entscheiden hat. Ob unter einem ÖVP-geführten Justizressort Schmids Kronzeugenstatus möglich gewesen wäre, „das lasse ich jeden selbst beurteilen“.
„Daschlogts es“, sagt Ex-Justizsektionschef Christian Pilnacek 2019 in einer Dienstbesprechung im Zuge der Eurofighter-Ermittlungen. Ist dieses mittlerweile legendäre Zitat Usus in der Justiz oder ungewöhnlich?
„Es sollte nicht Usus sein“, sagt Kreutner, und: „Die gewählte Ausdrucksweise ist eine unangemessene.“ Der Frage selbst habe man sich in der Pilnacek-Untersuchungskommission natürlich eingehend gewidmet, denn „im landläufigen Sinne heißt es: weg mit einer Sache“. Er wolle bewusst nicht genauer auf den Fall eingehen, weil dies zu viel Zeit beanspruche und es auch „gewisse gesetzliche Schranken gibt, die ich nicht überschreiten möchte“.
Kannte Kreutner Christian Pilnacek persönlich?
Da Martin Kreutner jahrelang öffentlich Bediensteter war, wie er erzählt – u. a. Leiter des Büros für Interne Angelegenheiten (BIA) – „hatte ich auch zwei, drei Mal im Jahr mit ihm fachlich zu tun. Wir kannten uns dienstlich, nicht privat.“ Was Pilnaceks fachliche Expertise angeht, so sei er ein „wandelndes Lexikon im positiven Sinn“ gewesen, „ein Kapazunder“.
Stimmt es, dass Pilnaceks Führungsstil autoritär war?
Kreutner antwortet nicht auf die Frage selbst, sondern kommt auf die Macht zu sprechen, die Pilnacek qua Amt hatte. „Christian Pilnacek war letztendlich natürlich auch ein Opfer des Systems.“ Er begründet dies u. a. damit, dass Pilnacek die Strafrechtssektion leitete und Generalsekretär im Justizministerium war. Das habe teils „zu ikonischen Bildern bei Pressekonferenzen geführt“, bei denen der jeweilige Minister neben Pilnacek gesessen und der Sektionschef die Diskussion mit den Journalisten geführt habe – und nicht der Ressortchef.
Am 20. Oktober 2023 wurde Pilnacek tot aufgefunden. Erst war von Selbstmord die Rede, was aber infrage gestellt wurde – auch von Kreutner?
Eines vorweg: Die Kommission, die Kreutner leitete, hatte nicht den Auftrag, die Todesumstände zu untersuchen, sondern etwaige systemische Fehler innerhalb des Justizsystems unter der Ägide Pilnaceks. „Es geht nicht darum, Verschwörungstheorien zu befeuern oder von einem Extrem ins andere zu verfallen, aber es gibt sehr wohl Fragezeichen, die geklärt werden müssen.“
Was muss geklärt werden?
„Wie schafft man es, innerhalb von ein, zwei Stunden zu einer derartigen Überzeugung zu kommen, dass es nur Selbstmord gewesen sein könnte – zu einem Zeitpunkt, wo nicht einmal die Obduktion eingeleitet worden ist? Es könnte ja auch ein Unfall gewesen sein.“
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