Rechtsanwalts-Präsident Utudjian: "Besser das alte System als eine Alibi-Reform"

Die Forderung ist bald ein Vierteljahrhundert alt: Eine unabhängige Weisungsspitze soll anstelle der Justizministerin bzw. des Justizministers über clamorose Strafverfahren entscheiden. Jetzt, da sie real werden soll, gibt es grobe Bedenken. Nicht an der Idee einer „Bundesstaatsanwaltschaft“ an sich, sondern daran, wie die Regierung sie umzusetzen gedenkt.
Nach der Standesvertretung der Richter und jener der Staatsanwälte meldet sich nun die „Gegenseite“ zu Wort: Armenak Utudjian, Präsident des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages (ÖRAK), sagt im KURIER-Gespräch: „Bevor man eine Alibi-Reform macht, die kein Problem löst, ist es besser, man bleibt beim alten System.“
Die Eckpunkte sind seit einem Ministerratsvortrag Anfang Juli bekannt (Infobox unten). Der ÖRAK hat dem Justizministerium und den Parlamentsparteien Mitte Juli ein Positionspapier mit acht Punkten übermittelt – bis dato ohne Reaktion.
Auch der „breit angelegte Diskussionsprozess“, den Justizministerin Anna Sporrer (SPÖ) angekündigt hat, ist nicht in Sicht. Aus ihrem Büro heißt es, dass derzeit die legistische Ausarbeitung laufe.
Statt der Justizministerin soll künftig ein Dreiergremium über Causen entscheiden, die öffentlich relevant sind.
Eine Expertenkommission soll Kandidaten vorschlagen, das Parlament sie wählen und der Bundespräsident sie auf sechs Jahre ernennen.
Das Parlament soll kontrollieren, aber nicht bei laufenden Strafverfahren.
„Monokratische Spitze“
Was also stört die Rechtsanwälte an den Plänen?
Anstatt eines „Dreierkollegiums“ mit wechselndem Vorsitz schlägt ÖRAK-Präsident Utudjian vor, dass es einen fixen Behördenleiter und zwei Stellvertreter geben soll – eine „monokratische Spitze“ also, aber nur für Organisatorisches. In Einzelstrafsachen sollen diese drei Personen gemeinsam entscheiden.
Die derzeit geplante Funktionsperiode von sechs Jahren hält der ÖRAK (wie auch die Staatsanwälte- und die Richter-Vereinigung) für zu kurz. Je länger, desto stärker die „Kontinuität und Unabhängigkeit“, so Utudjian.
Beim Bestellmodus gehen die Vorstellungen stark auseinander: Während die Staatsanwälte und Richter es begrüßen, dass eine Expertenkommission die Kandidaten aussuchen soll, lehnen sie die Idee, dass diese anschließend vom Nationalrat gewählt werden, ab.
Die Rechtsanwälte wiederum lehnen eine Expertenkommission ab und bevorzugen eine Anlehnung an die Bestellung von Verfassungsrichtern im Parlament: Alle Bewerber sollen sich einem Hearing stellen und von den Abgeordneten gewählt werden – mit Zweidrittelmehrheit, um zu verhindern, dass sich die Regierungsparteien je einen Bundesstaatsanwalt aussuchen. Utudjian: „Ohne parlamentarische Einbindung wird es nicht gehen. Ein unabhängiges Organ braucht eine demokratische Legitimierung.“
Worin sich die Standesvertreter wieder einig sind: parlamentarische Kontrolle erst nach Abschluss des Verfahrens, also nach rechtskräftigem Urteil.
Nächster Punkt: die Qualifikation. Justizministerin Sporrer beharrt darauf, dass nur Richter und Staatsanwälte für das Amt infrage kommen, weil nur sie über entsprechende Fachkenntnisse verfügen würden. Diese Einschränkung hält Utudjian für „problematisch“ – und fordert, dass auch Rechtsanwälte, Notare und Uni-Professoren zugelassen werden. Die „objektive Sicht von außen“ sei notwendig, wenn es um die Einschätzung geht, ob eine Anklage Chancen auf Verurteilung hat.
„Überbordend“
Was der ÖRAK-Chef im derzeitigen Regierungsplan völlig vermisst, sind Maßnahmen zur Beschleunigung von Ermittlungsverfahren. Der aktuelle Berichtsweg (Staatsanwaltschaft – Oberstaatsanwaltschaft – Fachabteilung im Justizministerium – Weisungsrat und Ministerin – und wieder retour) sei „überbordend“. Eine Verkürzung müsse organisatorisch sichergestellt werden, Utudjian könnte sich auch fixe Fristen für die Erledigung vorstellen.
Zudem spricht er sich dafür aus, dass die neue Bundesstaatsanwaltschaft ein eigenes Budget bekommt und nicht „am Tropf des Ministeriums hängt“.
Möglich, dass Utudjian und anderen Experten doch noch Gehör geschenkt wird: Angeblich plant der Justizausschuss im Herbst ein Hearing im Parlament, bevor das Gesetz finalisiert wird.
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