"Rechtspopulisten sind längst salonfähig"

Heinz-Christian Strache konnte zwar keinen Erdrutschsieg einfahren - das Wahlergebnis ist trotzdem beachtlich.
Fast jedes EU-Land hat eine rechte Partei. Die FPÖ sei aber nicht mit anderen Rechtspopulisten vergleichbar, sagt Politologe Werner Bauer.

Rechtsruck", "Sieg der Rechtspopulisten" - die Schlagzeilen ausländischer Medien nach der Nationalratswahl waren eindeutig. Und konzentrieren sich vor allem auf das Wahlergebnis der FPÖ. Über zwanzig Prozent erreichte Heinz-Christian Strache mit seinem EU-kritischen und ausländerfeindlichen Kurs. Wer das Team Stronach und das BZÖ ebenfalls dazu zählt, kommt auf über 30 Prozent für die Rechtspopulisten. Ein Europarekord.

Dabei steht Österreich im Europavergleich nicht alleine da: In mehreren Ländern sind Rechtspopulisten und Euroskeptiker auf dem Vormarsch (siehe Bildergalerie und interaktive Landkarte).
Doch Rechtspopulismus ist nicht gleich Rechtspopulismus: Warum es zu keiner Internationalen der Rechten kommen wird und wieso er Stronach als „primitiven Berlusconi“ sieht, erklärt Werner T. Bauer, Experte für Rechtspopulismus von der Wiener Gesellschaft für Politikberatung.

KURIER: Von den Basisfinnen über die Partei der Freiheit von Geert Wilders in den Niederlanden, bis hin zur Lega Nord in Italien: Die Liste der rechtspopulistischen Parteien in Europa ist lang. Ist das österreichische Wahlergebnis also gar nicht so außergewöhnlich?

Werner T. Bauer: Fast jedes Land in Europa hat seine rechtspopulistische Partei. Man muss aber sagen, dass der Begriff Rechtspopulismus wissenschaftlich sehr umstritten ist. Die Bandbreite der Rechten in Europa ist sehr groß, die Parteien sehr unterschiedlich.

Die FPÖ kann man außerdem nicht mit anderen rechtspopulistischen Parteien vergleichen, da ihre Vorgängerpartei, der VdU, ein Auffangbecken für Menschen war, die vom Nationalsozialismus belastet waren. Haider hat mit dieser Tradition etwas gebrochen, Strache selbst kommt allerdings wieder aus einem rechtsradikalen Milieu. Die FPÖ hat durch den VdU in gewisser Weise eine nationalsozialistische Vergangenheit. Das ist weltweit einzigartig.

Ist das Wahlergebnis der FPÖ damit anders zu werten als die Erfolge anderer Rechtspopulisten?

Das würde ich schon sagen. Die FPÖ hat sich nie glaubhaft vom Nationalsozialismus abgegrenzt – und trotzdem ein Wählerpotenzial von bis zu 30 Prozent. Wobei ich das tatsächliche rechtsradikale Wählerpotenzial in Österreich nur auf ein bis zwei Prozent schätze. Die FPÖ wird eher aus Protest und Unzufriedenheit gewählt.

"Rechtspopulisten sind längst salonfähig"

NETHERLANDS ROYALTY
"Rechtspopulisten sind längst salonfähig"

A protester yells as she holds a sign near the ven
"Rechtspopulisten sind längst salonfähig"

A protester yells as she holds a sign near the ven
"Rechtspopulisten sind längst salonfähig"

Timo Soini, The Finns party's presidential candida
"Rechtspopulisten sind längst salonfähig"

GEORGIA VICTOR ORBAN DIPLOMACY
"Rechtspopulisten sind längst salonfähig"

HUNGARY HUNGARIAN GUARD
"Rechtspopulisten sind längst salonfähig"

EPAepa03225540 Radical nationalist Jobbik party chairman Gabor Vona addresses party congress in Budapest, Hungary, 19 May 2012. The congress is to elect the partys leader and six deputies for a next term. The only candidate for party chairman is Vona. Job
"Rechtspopulisten sind längst salonfähig"

NATIONALRAT: STRACHE
"Rechtspopulisten sind längst salonfähig"

Le Pen, France's National Front political party le
"Rechtspopulisten sind längst salonfähig"

Marine Le Pen, France's National Front political p
"Rechtspopulisten sind längst salonfähig"

FILE DENMARK ELECTION
"Rechtspopulisten sind längst salonfähig"

National Councillor Blocher speaks on the Swiss -
"Rechtspopulisten sind längst salonfähig"

Swiss Peoples Party former Minister Blocher attend
"Rechtspopulisten sind längst salonfähig"

Belgium's Flemish right wing Vlaams Belang party m
"Rechtspopulisten sind längst salonfähig"

Belgium's Flemish right wing Vlaams Belang party l
"Rechtspopulisten sind längst salonfähig"

Leader of the UKIP Nigel Farage drinks a pint of s
"Rechtspopulisten sind längst salonfähig"

BRITAIN POLITICS UKIP NIGEL FARAGE
"Rechtspopulisten sind längst salonfähig"

Norway's Conservative leader Solberg speaks to the
"Rechtspopulisten sind längst salonfähig"

Jensen, leader of Norway's Fremskrittspartiet (Pr
"Rechtspopulisten sind längst salonfähig"

Leader of the right-wing Sweden Democrats arrives
"Rechtspopulisten sind längst salonfähig"

Akesson leader of right-wing Sweden Democrats part
"Rechtspopulisten sind längst salonfähig"

GREECE GOLDEN DAWN ARRESTS
"Rechtspopulisten sind längst salonfähig"

Kaczynski , opposition leader of the Law and Justi
"Rechtspopulisten sind längst salonfähig"

Opposition leader Kaczynski delivers a speech in f
"Rechtspopulisten sind längst salonfähig"

ITALY POLITICS PARTIES
"Rechtspopulisten sind längst salonfähig"

ITALY POLITICS PARTIES

Könnte man sagen, dass der Rechtspopulismus salonfähig geworden ist?

Schon längst. Rechtspopulisten sind seit den 1980er Jahren und den Erfolgen Haiders salonfähig. Bedenklich ist vor allem, dass durch die Boulevardmedien das rechte Gedankengut solcher Parteien im Mainstream angekommen ist.

"Stronach ist eher ein primitiver Berlusconi"

Ausländische Medien haben nach der Wahl FPÖ, BZÖ und Team Stronach zusammengefasst und damit über 30 Prozent für die Rechtspopulisten festgestellt. Würden Sie das Team Stronach als rechtspopulistisch klassifizieren?

Nein, da sie weder antisemitisch noch ausländerfeindlich sind. Stronach kann man außerdem nicht klassifizieren, er ist ein Irrläufer. Er vertritt einen Unternehmerpopulismus, ist demnach eher ein primitiver Berlusconi. Wobei man das Team Stronach schon als rechte Bewegung sehen muss, aber nicht vergleichbar mit der FPÖ.

Rechte Parteien sind also sehr unterschiedlich. Trotzdem gibt es Versuche sich europaweit zu vernetzen.

Die Vernetzung geht stark von Österreich und Andreas Mölzer aus. Allerdings ist eine Internationale von Nationalisten wohl zum Scheitern verurteilt. Es gibt zu viele Konflikte zwischen den Nationen. So haben z.B. italienische und österreichische Rechte immer noch Differenzen in der Südtirol-Frage.

Außerdem ist der Rechtspopulismus eine "Ideologie ohne Weltanschauung". Themen und Probleme werden aus dem Mainstream übernommen und Widersprüche dabei in Kauf genommen. So steht beispielsweise das Kreuz bei Strache eigentlich konträr zu der Tradition der Deutschnationalen.

Annäherungen zwischen den Rechten in Europa gibt es dennoch.

Eine Zusammenarbeit ist natürlich vor allem im EU-Parlament förderlich. Auch abseits dessen gibt es regelmäßig Versuche sich zu vernetzen. So sollen derzeit der Niederländer Geert Wilders und Strache zarte Kontakte knüpfen. Die rechten Niederländer waren ja bisher sehr skeptisch, da sie durch ihre eigene Geschichte klar gegen Antisemitismus und Nationalsozialismus sind. Sie haben sich auf den Islam als Feindbild konzentriert.

Das Feindbild Islam gilt laut Rechtsextremismusforscher Heribert Schiedel ja generell als vernetzende Grundlage für die Rechten in Europa. Teilen Sie diese Einschätzung?

Ja. Die Ablehnung des Islams verbindet - vor allem in den westlichen Staaten. Osteuropa hat weniger Zuwanderer und damit nicht unbedingt dasselbe Feindbild. Deren Rechte wettert gegen die Roma bzw. gegen die eigenen ethnischen Minderheiten.

In Ihrer Studie sind Irland und Spanien als Länder ohne rechtspopulistische Partei gelistet. Warum gibt es dort kein Potenzial für eine solche Partei?

In Spanien absorbieren die Konservativen das Potenzial. Deren "Partido Popular" ist ja aus einem Franco-nahen Umfeld entstanden. In Irland ist es nicht so klar. Womöglich liegt der Grund darin, dass das Land weniger Einwanderer zählt und der "Abwehrkampf" sich gegen Großbritannien richtet.

"Wäre Thilo Sarrazin für die AfD angetreten, hätte sie wohl den Einzug geschafft"

Auch Deutschland hat keine rechte Partei im Parlament. Warum haben Rechtspopulisten dort kaum Erfolg?

In Deutschland ist die Hürde, um ins Parlament zu kommen, deutlich höher (siehe AfD bei der vergangenen Bundestagswahl). Das Land wurde außerdem bereits von den Alliierten gezwungen, seine Geschichte aufzuarbeiten. Die Toleranzgrenze für rechtsradikale Aussagen von Politikern ist damit auch sehr niedrig und endet meist im Rücktritt. Außerdem fehlt eine charismatische Führungspersönlichkeit: Wäre Thilo Sarrazin für die AfD angetreten, hätte sie wohl den Einzug geschafft.

Apropos AfD: Sollte die Partei ein ähnlich gutes Resultat bei den nächsten Europa-Wahlen im Mai schaffen wie bei der Bundestagswahl, dann wäre sie problemlos im Europäischen Parlament. Werden rechtspopulistische bzw. eurokritische Parteien bei den nächsten Europawahlen eine große Rolle spielen?

Sie werden wohl einen starken Zuwachs spüren. Das liegt an den wirtschaftlich schwierigen Zeiten; aber auch daran, dass die Wähler die Wichtigkeit des EU-Parlaments nicht einschätzen können und glauben, dass die Wahl folgenlos ist. Deshalb ist die Versuchung groß, eine Protestpartei zu wählen.

Zur Person: Dr. Werner T. Bauer ist Ethnologe, Buchautor und Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Österreichischen Gesellschaft für Politikberatung und Politikentwicklung. Seine Studie "Rechtsextreme und rechtspopulistische Parteien in Europa" erschien im Mai 2013 in aktualisierter Fassung.

In Griechenland geht die Justiz gegen die rechtsextreme "Goldene Morgenröte" vor, die über 18 Parlamentsabgeordnete verfügt und spätestens seit den jüngsten tödlichen Ausschreitungen gegen Andersdenkende als eine kriminelle Vereinigung gilt.

In Norwegen zieht die rechtspopulistische Fortschrittspartei, der auch einmal der rechtsextreme Massenmörder Anders Breivik angehörte, gerade in die neue konservative Regierung ein.

Und für Österreich konstatierte der deutsche Spiegel einen "Rechtsruck", weil die FPÖ bei der Wahl vom vergangenen Sonntag auf mehr als 20 Prozent der Stimmen, zusammen mit dem Team Stronach und dem BZÖ gar auf fast 30 kam.

Defensive oder Vormarsch?

Ist der Rechtspopulismus in Europa also in der Defensive oder auf dem Vormarsch, und gibt es den Rechtspopulismus überhaupt?

Alleine das Beispiel Österreich zeigt, wie schwierig die Definition Rechtspopulismus aufgrund ähnlicher (Europa-Kritik) und unterschiedlicher Themen (Ausländerfeindlichkeit) und auch Eigendefinitionen ist. Das gilt für Europa umso mehr.

Für den Politologen Anton Pelinka unterscheidet sich zunächst einmal der osteuropäische von jenem im reichen West- und Nordeuropa. In Osteuropa komme der Rechtsextremismus aus der Vergangenheit, sei auch an den Universitäten stark, sagt Pelinka zum KURIER. Das rechtspopulistische Phänomen im Westen hingegen habe selten mit Nazi-Renaissance zu tun: „Hier werden immer die sozial Schwächeren, die Modernisierungsverlierer angesprochen, die – teilweise real, teilweise eingebildet – um ihren Wohlstand und ihre soziale Sicherheit fürchten.“ Diese Ängste werden geschürt, die vermeintliche Antwort gleich mitgeliefert.

Noch ein Unterschied fällt Pelinka auf: Bei Rechtspopulisten im Osten sei anti-israelische Propaganda verbreitet; im Westen dagegen gäben sie sich oft Israel-freundlich, allein schon, um den Gegensatz zu den verhassten Muslimen zu unterstreichen.

Verlust-Ängste

Als Ursache für rechtspopulistische Erfolge gilt auch eine Entfremdung zwischen politischen Parteien und Institutionen sowie weiten Teilen der Bevölkerung, etwa infolge der Globalisierung und Internationalisierung, wie Werner T. Bauer (siehe Interview oben) von der Gesellschaft für Politikberatung und Politikentwicklung in seiner Arbeit zum Thema schreibt („Rechtsextreme und rechtspopulistische Parteien in Europa“, Wien 2013). Auch er sieht eine Spaltung der Gesellschaft in Gewinner und Verlierer: Die Rechtspopulisten ergriffen die Partei Letzterer, artikulierten deren (Verlust-)Ängste und Sorgen.

Die Ideologie basiere auf der vertikalen Formel „Wir da unten, Ihr da oben“ und auf der horizontalen Abgrenzung von „den Anderen“, oft den Fremden. Was, zumindest was den ersten Teil betrifft, auch für den Linkspopulismus zutrifft.

Hauptmerkmal populistischer Parteien ist der Anspruch, als Anwalt der unterdrückten Interessen einer angeblich „schweigenden Mehrheit“ aufzutreten, wie Bauer analysiert. Dazu zählt auch der gezielte Tabubruch nach dem Motto „der traut sich was“ – „der“, das ist zumeist eine charismatische Führungsfigur.

Aber schon bei den unerlässlichen Feindbildern – europäische Bürokratie, Euro, Nationalstaaten (im Falle regionaler Bewegungen), Zuwanderung, Islam – ist es mit den Gemeinsamkeiten der Bewegungen oft vorbei. Systemisch gilt das erst recht: Rechtspopulismus kann demokratisch, systemfeindlich bis zu extremistisch auftreten.

Dass sich Rechtspopulismus nicht über einen Kamm scheren lässt, zeigen alle bisher gescheiterten Versuche übernationaler rechter Plattformen. Jetzt probiert es der Führer der niederländischen Rechten, Geert Wilders, erneut. Er will für die EU-Wahlen 2014 ein Bündnis euro-kritischer Parteien aus ganz Europa zimmern. Nicht dabei sein sollen aus seiner Sicht rassistische Parteien wie die ungarische Jobbik oder die Britische Nationalpartei. Umgekehrt wollen die italienische Lega Nord oder die Europa-feindliche UKIP des Briten Nigel Farage nichts mit dem radikalen Anti-Ausländerkurs und der Hetze des Geert Wilders zu tun haben.

Die Eigeninteressen populistischer Bewegungen, so Pelinka, seien groß. In Osteuropa kämen da auch noch nationale Ressentiments (etwa in Ungarn gegen Rumänien, etc.) dazu. Im Westen, wo Pelinka den Rechtspopulismus mit Schwankungen durchaus im Wachsen sieht, hält es der Politologe aber für möglich, dass sich langfristig auch eine übernationale rechtspopulistische Plattform bilden könnte.

Verschiedene Wähler

Noch unterschiedlicher als die Gruppierungen sind die Motive ihrer Wähler, meist schon bei einer einzigen Partei. Die sind nämlich mitnichten nur Modernisierungsverlierer, und die Wahlmotive reichen von Übereinstimmung mit dem jeweiligen Inhalt bis zum reinen Protest.

Kommentare