17 Jahre leitete Gerhard Steger die Budgetsektion im Finanzministerium. Im Interview spricht er sich für Marterbauer und eine Föderalismus-Reform aus, über eine Herde heiliger Kühe und Grausames.
Die Bundesregierung hat ihr Doppelbudget für 2025 und 2026 vorgelegt. Welche Parallelen zur Vergangenheit Budgetinsider Steger zieht – und was künftig wichtig wird.
KURIER:Herr Steger, haben Sie noch einen guten Draht in die Johannesgasse?
Gerhard Steger: Ich treffe mich hin und wieder mit Leuten. Aber die brauchen dort keine täglichen Ratschläge.
Wie ist Ihr Eindruck von Finanzminister Markus Marterbauer?
Endlich ein Finanzminister, der sich auskennt, das war auch allerhöchste Zeit. Seine ruhige, unaufgeregte Art gefällt mir sehr gut. Die Frage ist, wie viel Spielraum ihm die Regierungsspitze und das Parlament schlussendlich geben.
Ist es von Vorteil, wenn der Finanzminister nicht Teil der Kanzlerpartei ist?
Absolut, meiner Erfahrung nach ist er dann stärker.
Hat sich keiner der letzten Minister ähnlich gut ausgekannt?
Die unmittelbaren Vorgänger, Gunter Mayr ausgenommen, nicht. Für diese schwierige Aufgabe ist von großem Vorteil, wenn man nicht nur politisches Gespür, sondern auch ökonomische und budgetäre Expertise mitbringt.
Erinnert Sie die aktuelle Situation an ein Budgetjahr aus Ihrer Zeit als Sektionschef?
Die Zeit der Finanzkrise war mindestens so wild. Von daher kann ich mir sehr gut vorstellen, was sich jetzt in der Johannesgasse abspielt.
Was spielt sich denn ab?
20-Stunden-Tage und hektische Gespräche, das ist massive Belastung für alle Beteiligten. Das neue Budget ist unter enormem Zeitdruck entstanden. Dafür mussten Einsparungen oder Einnahmen gefunden werden, die keine lange Vorbereitungszeit brauchen. Für Reformen, die mittelfristig dringend nötig sind, bleibt da keine Zeit – zum Beispiel im Föderalismus.
Wurde auch während der Finanzkrise kurzfristig saniert, ohne die großen Strukturprobleme zu lösen, obwohl der Zeitpunkt günstig gewesen wäre?
In Österreich gibt es eine bestimmte Herde heiliger Kühe, die man nicht angreift. Ich hoffe, das passiert endlich in den nächsten Jahren. Meine Erfahrung ist: Es muss leider Feuer auf der Hütte sein, damit sich etwas bewegt. Der Budgetpfad, der jetzt vorgestellt wurde, ist nur das absolute Minimum. Das darf nicht der letzte Schritt gewesen sein.
Der jetzige Budgetpfad sieht eine Schuldenquote von 87 Prozent des BIP und ein Defizit von 2,8 Prozent im Jahr 2029 vor. Das klingt nicht ambitioniert.
Wir tanzen damit an der Mindestlatte, nämlich der Einhaltung der Maastricht-Kriterien, herum. Spielraum für zusätzliche Offensivmaßnahmen gibt es damit keinen.
Welche Strukturreformen, die bis heute nicht umgesetzt wurden, haben Sie Ihren Finanzministern vorgeschlagen?
Eine ganze Menge. Und im Prinzip liegt alles am Tisch. Es gab die Aufgabenreformkommission von Professor Bernhard Raschauer, den Österreich-Konvent unter Franz Fiedler und Rechnungshofberichte, die unter Tonnen von Staub begraben sind. Mann könnte durch die Beseitigung von Doppelgleisigkeiten massiv sparen, ohne primär die Bürgerinnen und Bürger mit Leistungseinschnitten zu belästigen.
Warum ist das nicht passiert?
Die tatsächliche Machtverteilung in Österreich entspricht nicht der verfassungsmäßigen. Die Landeshauptleute sind in einer unglaublich starken Position und haben es bisher immer geschafft, alle Reformbemühungen abzuschmettern, die über das Symbolische hinausgehen.
Experten wie Sie sprechen das seit Jahrzehnten an. Warum sind die Länder so stark?
Im Wesentlichen gibt es drei Gründe. Erstens kommen die meisten Bundes-Abgeordneten nicht über die Bundes-, sondern über die Landesliste ins Parlament, das schafft Loyalitäten zu den Ländern. Zweitens geht ein wesentlicher Teil der Parteienförderung an die Landesparteien, drittens steht es in jedem Parteivorstand 9:1 gegen den Bund.
Muss eine tatsächliche Föderalismus-Reform also mit der Entmachtung der Länder beginnen?
Wir brauchen einen starken Bund, der die Interessen von neun Millionen Menschen gesamtstaatlich vertreten kann. Wir brauchen starke Gemeinden, weil die bürgernah sind. Alles dazwischen hat laut Verfassung seine Berechtigung, sollte aber in einer möglichst kostengünstigen und schlanken Form existieren.
Wie könnte eine Föderalismus-Reform gelingen?
Konsens kann man herstellen, wenn der Druck groß genug ist. Wir brauchen keine Kommissionen mehr, sondern eine Klausur: Eine kleine Gruppe hochrangiger Vertreter von Bund, Ländern und Gemeinden sollte sich zuerst ein Einsparungsziel setzen und sich dann mit Expertinnen und Experten so lange zurückziehen, bis weißer Rauch aufsteigt. So eine Föderalismusklausur müsste man jetzt vorbereiten, im Frühherbst angehen und bis Jahresende legistisch umsetzen, 2026 dann technisch vorbereiten und 2027 treten die Reformen in Kraft.
Welches Ziel und welche Maßnahmen schlagen Sie vor?
Bei politischem Willen ist es ambitioniert, aber machbar, bis 2029 im Föderalismus schrittweise weitere zwei Prozent des BIP einzusparen. Das wären im Endausbau zehn Milliarden Euro pro Jahr. Mit fünf Milliarden reduziert man das Defizit, die andere Hälfte fließt in Offensivmaßnahmen – etwa in die Bereiche Infrastruktur, Klimaschutz, Soziales oder Sicherheit.
Durch die Bereinigung der furchtbar zersplitterten Kompetenzen kann man in der Verwaltung massiv Geld sparen. Wie der Rechnungshof formuliert: die Zusammenführung der Aufgaben-, Ausgaben- und Finanzierungsverantwortung. Wer zahlt, muss anschaffen. Das ist derzeit nicht der Fall.
Um welche konkreten Bereiche geht es?
Um parallele Verwaltungen etwa bei Schule, Gesundheit, Familien oder soziale Wohlfahrt. Die Förderungen sind mit 36 Milliarden pro Jahr ein sehr weites Einsparungsfeld.
Haben Sie eine vergleichbare Klausur selbst erlebt?
Ja. Zum Beispiel 1996, zur Ermöglichung der damaligen Koalition. Oder 2010, bei der Klausur der Bundesregierung in Loipersdorf. Wir haben vor der Klausur jedem Ministerium eine Ausgaben-Obergrenze gesetzt. Die gesamte Bundesregierung ist dann an einem Tisch gesessen. Das Ergebnis: Alle mussten einsparen, niemand ist ausgekommen.
Reicht die geplante Pensionsreform?
Wir sehen nach allen Berechnungen: Das geht sich nicht aus. Aber wir brauchen eine vernünftige, flexible Vorgangsweise. Einem Bauarbeiter oder einer Krankenschwester kann man schwer zumuten, dass sie über 65 hinaus hackeln.
Wie optimistisch sind Sie, dass für große Reformen das richtige Regierungsteam am Werk ist?
Niccolò Machiavelli hat in seinem berühmten Buch „Der Fürst“ den Regierenden den Ratschlag gegeben: Alle Grausamkeiten zu Beginn! Warum? Weil das Reform-Momentum mit der Zeit wieder abnimmt. Die erste Hürde ist genommen, Respekt dafür. Meine Sorge ist, dass sich jetzt alle zurücklehnen.
Was hätten Sie Magnus Brunner ausgerichtet, wenn er Ihnen den Budgetpfad für 2024 gezeigt hätte, mit einem geplanten Defizit von 2,7 Prozent?
Magnus Brunner ist ein sehr sympathischer Mensch, ich habe nichts gegen ihn persönlich. Aber die ganze Geschichte ist halt vollkommen aus dem Ruder gelaufen, Alarmsignale wurden schlicht ignoriert. Das muss man einerseits leider Magnus Brunner vorwerfen, aber auch seinen Vorgängern.
Also Sie gehen davon aus, dass er vor der Wahl gewusst hat, auf welche Situation Österreich zusteuert?
In meiner Zeit haben die Beamten natürlich gewusst, wenn es in die falsche Richtung geht. Das haben sie der Politik dann mit aller Deutlichkeit mitgeteilt. Und zwar schriftlich, das mögen die Minister gar nicht. Ich gehe davon aus, dass die Beamten das wieder gemacht haben und die Ressortleitung informiert war.
Welche Charakterzüge muss ein Finanzminister haben, um in so einer Situation das Erforderliche durchzusetzen?
Er muss die Interessen des Staates vor sein Amt stellen, er darf nicht geliebt werden wollen. Ich habe insbesondere nach den Jahren der Finanzkrise politische Haltungen angetroffen, wo ganz klar war, dass es das wichtigste Interesse der Entscheidungsträger war, auf ihrem Sessel sitzen zu bleiben.
Ich denke ja. Und er hat auch den Vorteil, dass er alt genug ist. Er muss nachher nichts mehr werden.
Und er hat vor einem EU-Defizitverfahren „keine Angst“. Sehen Sie das ähnlich?
Es ist sogar eine Chance. Wenn man selbst nicht ausreichend in der Lage ist, Probleme zu lösen, braucht man manchmal einen Stupser von außen. Er sollte nur nicht so heftig sein, dass gleich unser Rating in Gefahr ist.
Hat es Sie überrascht, dass die ÖVP als angebliche Sparpartei in den letzten fünf Jahren mehr Geld verteilt hat als niemand sonst in der Zweiten Republik?
Natürlich muss man in einer Extremsituation wie Covid helfen, aber Geld war abgeschafft. Ich bin bekannt als jemand, der auch der SPÖ gegenüber nicht unkritisch ist. Aber meine Erfahrung ist: Die ÖVP redet immer vom Sparen, tut es aber nicht. Zumindest nicht bei ihrer Kernklientel. Damit kommen wir nicht weiter.
An welchen Finanzminister haben Sie eigentlich die besten Erinnerungen? Ich traue mich vorwegzunehmen: Die Antwort ist nicht Karl-Heinz Grasser.
Nein, ist sie nicht. Extrem gute Erinnerungen habe ich an Ferdinand Lacina. Er kennt sich unglaublich gut aus, ist ein bescheidener und liebenswerter Mensch. Ich kann mich noch erinnern, als er mich einmal um halb 5 in der Früh nach langen Getreidepreisverhandlungen mit den Bauern in seinem klapprigen, alten Auto nach Haus geführt hat. Das habe ich bei keinem anderen Minister erlebt. Ebenso bescheiden und sympathisch war Rudi Edlinger, ein Autodidakt in Finanzfragen, aber mit gutem Riecher für das finanziell Leistbare.
Der 67-Jährige leitete von 1997 bis 2014 die mächtige Budgetsektion im Finanzministerium. Er galt als resolut und seinem Amt verpflichtet. Besonders gute Erinnerungen hat Steger, der SPÖ-Mitglied ist, an die roten Ex-Finanzminister Ferdinand Lacina und Rudolf Edlinger.
Kommentare