Laut einer Studie der US-Forscher Kenneth Rogoff und Carmen Reinhart leidet das Wirtschaftswachstum ab einer Staatsschuldenquote von 90 Prozent. Die Untersuchung von 2010 stand aber wegen eines Rechenfehlers in der Kritik. „Sie war auch deshalb umstritten, weil man so einen Schwellenwert nur statistisch ermitteln kann. Die genauen ökonomischen Zusammenhänge, die in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich sein können, berücksichtigt das nicht“, zeigt sich WIFO-Finanzexperte Hans Pitlik gegenüber dem KURIER skeptisch.
Welche ökonomischen Unterschiede sind relevant, wenn man Staaten vergleicht?
Auch wenn sich Österreich Schuldenquote Richtung 90 Prozent bewegt, klingt das im Vergleich mit Japan oder den USA unspektakulär. Doch diese hätten einen großen Vorteil, so Pitlik: „Sie haben eine eigene Währung und können damit nicht wirklich zahlungsunfähig werden. Die USA können im Grund genommen ihre Schulden immer dadurch begleichen, dass sie Dollar drucken.“ Dieses Privileg hätten Euro-Länder wie Österreich „nur in ihrer Gesamtheit“. Nachteil: Wer zu viel Geld druckt, heizt die Inflation an.
Ist Österreichs Verschuldung bereits kritisch?
„Kritisch klingt noch zu dramatisch“, sagt Pitlik. Das wäre dann der Fall, wenn die Finanzmärkte Österreich das Vertrauen entziehen und es hohe Zinsaufschläge auf Staatsanleihen geben würde. So geschehen: Bei der Finanzkrise vor rund 15 Jahren in Griechenland. „Davon ist Österreich noch weit entfernt“, sagt der Ökonom. Aber: „Je höher die Staatsschulden sind, umso höher fallen letztendlich auch Zinsausgaben aus.“ Österreichs Zinsausgaben würden bereits jetzt das Budget belasten und den Handlungsspielraum künftiger Regierungen deutlich einschränken. Wo? Beispielsweise beim Klimaschutz, im Gesundheitssystem oder der Bildung.
Wie wirkt sich eine hohe Staatsverschuldung auf einzelne Bürger aus?
Teilt man die Staatsverschuldung von rund 400 Milliarden Euro auf die Bevölkerung auf, hat jeder Österreicher derzeit 54.000 Euro Schulden. Tendenz: steigend. So lange der Staat seine Schulden bedienen kann, ohne Leistungen zu kürzen, ist das für unsere Kontostände allerdings egal. Teilweise macht sich die Krise aber sehr wohl schon bemerkbar. Woran man das laut Pitlik erkennt:
- Zinskosten: Muss der Staat höhere Zinsen bezahlen, gilt das üblicherweise auch für private Investoren. „Steigende Zinsen wirken sich auf alle aus“, sagt Pitlik. Bemerkbar macht sich das schon länger in der Baubranche, wo die Nachfrage deutlich gesunken ist.
- Einsparungen: Zu hohe Schulden führen zu Sparprogrammen. Dann sinken andere Leistungen, etwa im Sozialbereich. Was das konkret bedeutet, zeigen Maßnahmen der Bundesregierung: Sozialleistungen werden nicht mehr automatisch an die Inflation angepasst, der Klimabonus gestrichen, der Zugang zur Frühpension verschärft.
- Steuererhöhungen: Statt Ausgaben einzusparen, kann der Staat auch zusätzlich Einnahmen generieren – und Steuern oder Abgaben erhöhen. Die Regierung hat etwa Verschärfungen in den Bereichen Tabak und Glücksspiel getroffen. Die Erhöhung der Krankenversicherungsbeiträge für Pensionisten ab Juni, von 5,1 auf 6 Prozent, betrifft rund 1,75 Millionen Menschen.
Merken die Menschen die Effekte der Krise bereits?
Unter Türkis-Grün gab es ein breites Bündel an Hilfsmaßnahmen: Strompreisbremse, Einmalzahlungen, Anhebungen von Löhnen und Pensionen teils über der Inflationsrate. Gleichzeitig schrumpft die heimische Wirtschaft heuer das dritte Jahr in Folge. „Die Krise ist ganz sicherlich schon bei den Bürgern angekommen“, betont Pitlik. Woran erkennt man das? „Daran, dass die Menschen immer mehr Angst um ihre Arbeitsplätze haben. Obwohl die verfügbaren Einkommen sogar gestiegen sind, sehen wir eine Zurückhaltung beim Konsum. Und diese wirkt sich wiederum negativ auf die Umsätze der Unternehmen aus.“ Pitlik spricht von „Vorsichtssparen“: Weil schlechte Zeiten kommen könnten, halten sich die Menschen bereits jetzt zurück. Auch wenn die Kaufkraft noch nicht gesunken ist.
Reicht das aktuelle Sparpaket, um das Budget zu sanieren?
Nein, das weiß auch die Regierung. Sie will mit den Bundesländern und Gemeinden bis Herbst „strukturelle“ Maßnahmen erarbeiten – etwa in der Verwaltung und bei Förderungen. Experten reicht das nicht. WIFO-Direktor Gabriel Felbermayr empfiehlt unter anderem, die für 2026 beschlossene Erhöhung der Beamtengehälter zu überdenken – die ÖVP schließt das nicht aus. Die Ökonomen Hanno Lorenz und Dénes Kucsera vom wirtschaftsliberalen Thinktank Agenda Austria fordern gar eine Nulllohnrunde für den öffentlichen Dienst. Den aktuellen Sparpfad kritisieren sie scharf: „Das ist viel zu wenig.“ Bei Verwaltungspersonal und in den Ministerien hätte die Regierung heuer laut Agenda Austria 3,2 Milliarden, 2026 weitere 7,5 Milliarden Euro einsparen können. Bereits jetzt gehörte das gesetzliche Pensionsantrittsalter, das derzeit bei 65 Jahren liegt, angehoben. „Wenn es bei diesem Sparprogramm bleibt, wird die Regierung zentrale Punkte, wie die Lohnnebenkostensenkung, nicht umsetzen können“, sagt Lorenz.
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