SPÖ-Vizekanzler Andreas Babler: "Das ist gerade die hohe Kunst der Politik"

Andreas Babler
Was der Vizekanzler zu seinen schlechten Umfragewerten sagt, wie er die Anerkennung Palästinas verteidigt und welches "Meisterstück" der Regierung gelingt.

Kurz vor dem Jahreswechsel zieht Vizekanzler Andreas Babler (SPÖ) im Interview eine erste Regierungsbilanz – und blickt durchaus positiv in die Zukunft.

KURIER: Bei einer Umfrage unter Mitgliedern der SPÖ Kärnten sprechen sich 81,8 Prozent der Teilnehmer für einen schärferen Asylkurs aus. Wie werden Sie dieses doch sehr eindeutige Votum umsetzen?

Andreas Babler: Wir besprechen auch das Migrationsthema in internen Sitzungen laufend. Und wir setzen im Regierungsprogramm eigentlich genau die Punkte um, die auch in der Umfrage abgefragt werden – zum Beispiel das Integrationsjahr neu.

Das Attentat auf Juden in Australien schockiert weltweit. Wenige Tage davor hat die SPÖ sich intern für die Anerkennung Palästinas ausgesprochen. Tut Ihnen das rückblickend leid?

Es ist sicher eine der inhaltlich fundiertesten Positionierungen in der österreichischen Parteienlandschaft. Die Zwei-Staaten-Lösung ist Regierungslinie und wir haben die Anerkennung unter die Bedingung gesetzt, dass die Hamas und Terrororganisationen dabei keine Rolle mehr spielen dürfen. Was den Kampf gegen Antisemitismus anbelangt: Der gehört zur DNA der SPÖ, wir sind hier eine der stärksten Banken.

IKG-Präsident Oskar Deutsch sagt aber, mit dem Beschluss gieße die SPÖ „Wasser auf die Mühlen der Israel-Hasser und das führt auch zu Anfeindungen gegen Juden in Österreich“. Hat er damit Unrecht?

Da muss man ihn fragen, wie er zu diesem Schluss kommt. Ich glaube, was den Schutz jüdischen Lebens in Österreich anbelangt, ist die Positionierung der SPÖ ganz klar. Wir haben im Antisemitismus-Bericht als Regierung auch eine Strategie präsentiert.

Trotzdem sagen parteiinterne Kritiker, mit diesem Beschluss würden sie zu sehr Rücksicht auf die Linken innerhalb der Parteien nehmen. 

Ich bin Parteivorsitzender und habe einen einstimmigen Parteivorstandsbeschluss. Das ist eine sehr überwältigende Mehrheit, weil auch der Prozess sehr gut aufgesetzt war. Bei anderen Parteien ist das ein Dreizeiler, uns geht es um eine Perspektive für eine Friedensvision.

Laut Fiskalrat besteht ein zusätzlicher Konsolidierungsbedarf von 5,3 Milliarden Euro, um das Budgetdefizit 2028 auf unter drei Prozent zu drücken. Wo könnte die Regierung zusätzlich sparen?

Die Prognosen des Fiskalrats sind zur Kenntnis zu nehmen. Sie sind sogar leicht besser als die Zahlen des Finanzministeriums, um das Positive zu unterstreichen. Das Budget für 2027 müssen wir noch verhandeln. Das Konsolidierungsvolumen ist gewaltig, wir tragen noch immer einen Riesenrucksack der vergangenen Regierungen. Und wir halten an unserem Budgetpfad fest, Markus Marterbauer achtet auf einen strengen Vollzug.

Andreas Babler

Aber gibt es ein Bündel an Maßnahmen, aus dem Sie wählen können?

Budgetverhandlungen werden wir intern führen, nicht über Medien. Als SPÖ-Chef kennen Sie meine Position. Wären wir in einer Alleinregierung, hätten wir schon lange eine gerechte Form der Vermögensbesteuerung der Superreichsten umgesetzt. Das würden sich, glaube ich, viele Menschen wünschen. Teilweise haben wir das auch durchgesetzt: Banken oder Stiftungen müssen mehr zur Konsolidierung beitragen. Und die Steuerbetrugsbekämpfung bringt in den nächsten drei Jahren 1,4 Milliarden Euro.

Sehen Sie eine Chance, dass die Grundsteuer noch angehoben wird?

Als Bürgermeister und Gemeindebundvorstand habe ich gesehen, dass wir immer weniger Ertragsanteile und höhere Umlagen hatten. Ich halte es für wichtig, dass wir über strukturelle Maßnahmen nachdenken.

Über welche denn?

Ich mag in den Verhandlungen nichts über die Medien ausrichten. Die Reformpartnerschaft ist ein wichtiger Hebel. Über 50 Prozent der Gemeinden können ihre Budgets ohne frisches Geld nicht mehr ausgleichen. Das ist dramatisch.

Die Budgeterstellung für 2027 wird nicht einfach. Werden Sie ÖVP und Neos, im Abtausch für eine Lohnnebenkostensenkung, Erbschaftssteuern vorschlagen?

Ich glaube nicht, dass die Lohnnebenkosten das große Thema sind. Wir haben in der jüngeren Vergangenheit gesehen, dass eine Senkung der Körperschaftsteuer nicht zu einer höheren Investitionsquote geführt hat. Das hat uns alle Milliarden gekostet und ist eins zu eins in die Gewinne und Dividenden gegangen.

Sie glauben also nicht, dass ein Teil den Arbeitnehmern zugutekommen würde?

Was brauchen wir wirklich? Wir müssen die Teuerung senken und Wirtschaftswachstum mitbegünstigen. Die Wirtschaft wächst laut manchen Prognosen wieder und die Inflation sinkt kommendes Jahr. Im zweiten Halbjahr wird wieder ein Zweier vorne stehen. Jeder weiß, dass eine Budgetkonsolidierung normalerweise kein gutes Mittel ist, um die Inflation zu senken. Wir schaffen es trotzdem. Das ist gerade die hohe Kunst der Politik, ein Meisterstück, aber es gelingt.

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Die Inflationsrate bleibt nächstes Jahr laut WIFO bei 2,5 bis 2,6 Prozent. Der Bundeskanzler hatte zwei Prozent als Ziel ausgegeben. Hätte die Regierung schärfere Maßnahmen setzen müssen?

Viele Maßnahmen, wie das Mietrechtspakt, treten mit 1. Jänner in Kraft. Energie wird jetzt zum ersten Mal billiger, das ist ein Game-Changer. Wir arbeiten da gemeinsam und kompromissorientiert, das finde ich gut an dieser Regierung. Vor elf Monaten hätte bei der ÖVP wahrscheinlich keiner gedacht, dass der Wirtschaftsminister bei einer Pressekonferenz sagt, dass Leistbarkeit vorangeht vor Dividendenausschüttung. 

SP-intern herrscht auch Uneinigkeit beim Handelsabkommen Mercosur. Wiens Bürgermeister Michael Ludwig ist dafür, Sie berufen sich weiter auf den ablehnenden Parlamentsbeschluss. Wie soll man noch wissen, wofür die SPÖ hier steht?

Wir bewerten das laufend. Mercosur ist ein Thema, das wir auch auf europäischer Ebene verhandeln. Wir haben einige Fortschritte erzielt, es gab aber auch Rückschläge. Gerade wird diskutiert, ob überhaupt eine Abstimmung stattfindet oder nicht. Und dann ist nüchtern die Regierungslinie festzuhalten. Die ist eindeutig, unser Parlamentsbeschluss auch.

Trotzdem ist es schwierig, den Überblick zu behalten.

Ich bin nicht grundsätzlich gegen Freihandel, er muss aber fair und gerecht sein. Ich nehme zur Kenntnis, dass Michi Ludwig sagt, Mercosur wäre gut für die Stadt Wien und würde Arbeitsplätze schaffen. Es gibt aber genauso kritische bis sehr kritische Stimmen in der SPÖ.

Keine Woche vergeht ohne Hiobsbotschaften aus der Medienbranche. Für die gezieltere Förderung soll eine Expertengruppe Qualitätskriterien erarbeiten. Wer soll in dieser Gruppe sitzen?

Es ist das Medienhaus Wien in Kooperation mit mehreren Expert:innen, das den Zuschlag bekommen hat. Die Zielsetzung war, relativ schnell eine gute Grundlage für die Kriterien der Medienförderung zu haben. Ich glaube, es ist demokratiepolitisch gut, dass über diese Kriterien nicht der Medienminister entscheidet. Wir nehmen rund 50 Millionen zusätzlich in die Hand, um die Unabhängigkeit von Medien zu stärken. Mit der ungeordneten Inseratenpolitik hat Österreich in den letzten Jahrzehnten sehr schlechte Erfahrungen gemacht.

Befürworten Sie ein Social-Media-Verbot für Jugendliche?

Es ist wichtig, dass die Menschen nicht mehr diesen Fake News ausgeliefert sind. Ich bin selbst Vater einer Tochter und habe die Verantwortung, die nächste Generation zu schützen. Auf medienpolitischer Ebene geht es europaweit um die Frage: Wie sorgen wir im Umgang mit den Big-Tech-Konzernen für mehr Chancengleichheit?

Haben Sie da nicht manchmal Bauchweh, dass Sie diese Kanäle selbst auch bespielen müssen?

Es wäre völlig verrückt, wenn wir nicht dauernd unsere Kommunikationskanäle ausbauen würden, um die Menschen mit unseren Botschaften zu erreichen. Wir versuchen sie aber gerade dort auch für den Umgang mit Fake News zu sensibilisieren.

Andreas Babler

Die SPÖ hat neuerdings einen eigenen TV-Kanal. Die Zugriffszahlen sind verglichen mit den FPÖ-Angeboten überschaubar. Ist es nicht bedenklich, dass sich so wenige Menschen für die Inhalte der SPÖ interessieren?

Die FPÖ hat hier einen Vorsprung von 15 Jahren und ist sehr gut mit ihren Kanälen in Deutschland vernetzt. Es war höchste Zeit, dass wir eigene Strukturen aufbauen, anstatt sich immer darüber zu beklagen, wie weit die FPÖ hier vorne ist. Das wird eine Weile dauern. Wir sind mit den Zugriffen nicht unzufrieden, eher im Gegenteil. Wir wollen jedenfalls keine Politiker-Belangsendung machen, sondern abbilden, was von der Politik erwartet wird. Wir thematisieren Dinge, die man in einem solchen Format nicht erwarten würde, etwa die Aufarbeitung der Causa Peršmanhof.

Zur Föderalismusreform: Neos-Staatssekretär Sepp Schellhorn kann sich vorstellen, die Zahl der Bundesländer auf drei zu reduzieren. Sie auch? Es gäbe dann ja auch mit einem Schlag einige ÖVP-Landeshauptleute weniger.

Nice try. Ich würde Sie ersuchen, diese Diskussion mit Schellhorn zu führen, ich beteilige mich nicht daran. Wichtig ist, was diese Reformpartnerschaft auf den Boden bringt, dass wir in einem engen zeitlichen Korsett umsetzbare Ziele liefern. Denn wir haben in der Vergangenheit mit all den Events und Konventen schlechte Erfahrungen gemacht, als viele richtige Dinge festgehalten wurden, aber wenig auf den Boden gebracht wurde.  Deswegen gibt es jetzt für jedes Themenfeld eine eigene Steuerungsgruppe und darüber eine Steuerungsgruppe mit den Spitzen der Regierung. 

Beim Thema Gesundheit wünscht sich Ludwig vier bundesländer-übergreifende Versorgungsregionen. Sie auch? 

Wir müssen die richtige Reihenfolge einhalten: Zunächst müssen wir schauen, welche Herausforderungen zu lösen sind, welche Leistungen zu erbringen sind und wer sie finanziert. Erst am Schluss kommt dann die Frage der Kompetenzen. Aber Ludwigs Vorschlag ist sicher ein Input.

Kurier-Grafik

Im Vertrauensindex haben Sie im Vergleich zu den Chefs von ÖVP und Neos sehr schlechte Werte. Auch bei der Kanzlerfrage schneiden Sie sehr schlecht ab. Worauf führen Sie das zurück?

Der Blick auf die Umfragen freut uns natürlich nicht. Aber wir arbeiten hart. Wenn das, was wir leisten, bei den Menschen zu spürbaren Verbesserungen führt, dann wird es auch bessere Umfragewerte geben. Natürlich sind die Menschen ungeduldig, ich bin es ja selber auch. Aber Verbesserungen auf Knopfdruck sind nicht möglich. Die Menschen sind enttäuscht von den letzten Regierungen, die budgetär einen Scherbenhaufen hinterlassen und die Inflation durchrauschen lassen haben. Das war kein großer Vertrauensbeweis in die Regierenden. Ich bin angetreten, um zu zeigen, dass Politik auch Verantwortung übernehmen kann. 

Wie lange glauben Sie, bleibt die eigene Partei geduldig?

Ich bin viel in den Bundesländern unterwegs: Es gibt sehr viel Zustimmung dafür, dass die SPÖ in der Regierung ist. Dass nicht alle Inhalte eins zu eins dem SPÖ-Parteiprogramm entsprechen, ist in einer sinnvollen Diskussion erklärbar. Aber wir haben schon gewusst, dass es eine harte Zeit wird. Ich hätte es mir leichter machen können und Oppositionsführer im Parlament werden können.

Rechnen Sie mit einem Gegenkandidaten beim Parteitag im März?

Ehrlich gesagt nein.

Manche sagen, das habe auch damit zu tun, weil Sie sich mit Ihrer Statutenreform als Vorsitzender einbetoniert haben.

Nein. Mit den 1.500 Zustimmungserklärungen gibt es eine niedrige Hürde, die jeder nehmen kann, der ernsthaft die Menschen in der Partei bewegen kann. Die Öffnung der Partei ist gut: Sie demokratisiert und stärkt die Mitglieder.

Trotzdem ziehen viele Länderorganisationen nach wie vor nicht an einem Strang mit der Bundespartei. Haben Sie sich damit abgefunden, die Partei nicht einen zu können?

Ich finde nicht, dass wir gespalten sind. Bei den Dingen, die wir in der Regierung umgesetzt haben, orte ich vielmehr eine große Zustimmung. Aber natürlich sind wir eine große Partei, in der unterschiedliche Positionierungen vorkommen. 

Das Postenschacher-Verfahren gegen ÖVP-Klubchef August Wöginger wurde wieder aufgenommen. Soll er im Fall einer Verurteilung zurücktreten?

Die Causa ist von den unabhängigen Gerichten zu klären. Was die ÖVP daraus macht, ist ihre Angelegenheit.

In der Causa Wienwert muss sich SPÖ-Bezirksvorsteher Ernst Nevrivy vor Gericht verantworten. Soll er nach einer Verurteilung zurücktreten? 

Das würde ich intern diskutieren und nicht in einem Interview sagen, wie die Partei damit umzugehen hat.

Wie ist das Klima in der Koalition ein Dreivierteljahr nach ihrem Start?

Wir halten uns alle miteinander daran, was wir vereinbart haben. Es gibt einen gemeinsamen Geist mit gemeinsamen Zielen. Wir haben in diesem Jahr schon große Vorhaben auf den Boden gebracht. Insofern ist auch das Klima gut. Wir haben den Weg miteinander begonnen und wir gehen ihn gemeinsam weiter.

Andreas Babler

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