Inseratencausa: Kurz will "entlastenden Chat" im Strafakt sehen
Am 6. Oktober 2021 – wenige Stunden, nachdem bei ihm im Bundeskanzleramt eine Hausdurchsuchung stattfand und die „Inseratenaffäre“ platzte – saß der damalige ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz in der „ZiB 2“ und erklärte, dass er mit der Sache nichts zu tun habe. 2016, als das sogenannte „Beinschab-Tool“ geschaffen wurde (siehe Infobox), sei er weder Kanzler noch Parteichef, sondern Außenminister gewesen.
„Es gibt überhaupt kein Indiz dafür, dass ich gesteuert habe, welche Inserate oder Umfragen im Finanzministerium beauftragt werden", sagte er.
Unmittelbar nach dem „ZiB 2“-Interview erhielt Kurz eine Signal-Nachricht vom früheren Generalsekretär im Finanzministerium, Thomas Schmid. „Das war ein sehr guter Auftritt! Mit Darlegung wie es wirklich war!“
Ab 2016 sollen frisierte Meinungsumfragen (von Sabine Beinschab und Sophie Karmasin) zugunsten von Sebastian Kurz im Boulevardblatt „Österreich“ erschienen sein, dafür soll das Finanzministerium Inserate geschaltet haben.
Die Kosten dafür sollen teils mit Scheinrechnungen in Studien gepackt worden sein. Thomas Schmid gab bei der WKStA an, das Tool für Kurz entwickelt zu haben, und ist Kronzeuge, ebenso wie Beinschab.
Die Nachricht war eine selbstlöschende, Kurz fotografierte sie aber ab (Bild) – und sieht sich damit entlastet.
Denn während Schmid an jenem Abend – spontan und proaktiv – die Darstellung von Kurz bestätigte, behauptete er einige Monate später in seiner Einvernahme bei der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) das Gegenteil. Da sagte er, dass er das Beinschab-Tool „im Auftrag“ von Kurz umgesetzt habe.
Be- und Entlastendes
Der Chat ist Beobachtern der Causa nicht neu. Kurz hat ihn in seiner Verhandlung wegen Falschaussage im Dezember 2023 am Wiener Straflandesgericht vorgebracht. Damit konfrontiert, sagte Schmid als Zeuge, er könne sich nicht erinnern.
Jetzt, zwei Jahre später, ist die Nachricht wieder Thema. Kurz’ Anwalt Werner Suppan legt der WKStA in einem Antrag ein Bild davon plus Protokoll der damaligen Verhandlung vor und beantragt, dass dies als Entlastungsbeweis zum Akt genommen wird.
In der „Urkundenvorlage“, die auch dem KURIER vorliegt, erinnert Suppan die WKStA an ihre Objektivitätspflicht. Ermittlungsbehörden müssen „sämtliche relevante Beweismittel aufnehmen“, um eine vorgreifende Beweiswürdigung zu vermeiden. Sprich: Be- und Entlastendes muss berücksichtigt werden, um sich ein Gesamtbild machen zu können.
Kronzeuge
Auf Nachfrage bei der WKStA wird bestätigt, dass die Chatnachricht aus der damaligen Falschaussage-Verhandlung bekannt sei – damals waren auch zwei Anklagevertreter anwesend. „Das ändert aber nichts an unserer Einschätzung zum Tatverdacht“, sagt ein Behördensprecher. Der Antrag von Kurz-Anwalt Suppan werde nun geprüft.
Betont wird, dass keine Rechtsverletzung vorliege – der Akt sei ja noch nicht abgeschlossen.
Aktuell befindet sich die WKStA mitten in der Ermittlungsarbeit zur Inseratencausa. Die vergangenen vier Jahre wurde das Verfahren durch aufwendige Sichtungen rund um die Daten der Mediengruppe Österreich gebremst – und nimmt jetzt wieder Fahrt auf.
Ebenso wie die Strategie des Ex-Kanzlers, die er schon im Falschaussage-Prozess verfolgt hat: Schmid als Kronzeuge zu diskreditieren. Was damals ins Leere ging. Michael Radasztics hielt die Aussagen des Ex-Finanz-Generals, der insgesamt drei Mal befragt wurde, „in ihrer Gesamtheit für glaubwürdig“.
An seinen Aussagen wurde auch nicht gerüttelt, als der Oberste Gerichtshof (OGH) den Schuldspruch für Kurz in zweiter Instanz aufgehoben hat.
Dass Schmid jetzt, in der Inseratencausa wieder ins Visier genommen wird, liegt auf der Hand: Ist er doch bis dato der einzige Zeuge, der eine klare Verbindung zwischen dem Beinschab-Tool und Kurz ad personam herstellt.
In Einvernahmen, über die der KURIER im Juli berichtete, sagten Mitarbeiter aus dem Finanzministerium aus, sie hätten alle Aufträge direkt vom damaligen Kommunikationschef Johannes P. erhalten und diese nicht hinterfragt. Kurz sei wenn, dann nur als Lebensgefährte ihrer Kollegin Susanne Thier in Erscheinung getreten.
Wann es zu einem Abschluss in der Inseratencausa kommt, ist völlig offen.
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