Inseratencausa: Was dauert da so lange?

STATEMENT BUNDESKANZLER SEBASTIAN KURZ (ÖVP) am 9. Oktober 2021
2021 wurden Daten beschlagnahmt, die mühsam von einem Richter gesichtet werden mussten. Wie so ein Sichtungsverfahren abläuft – und was Gerichtspräsident Forsthuber zur Beschleunigung vorschlägt.

6. Oktober 2021: Hausdurchsuchungen im Bundeskanzleramt, im Finanzministerium, in der ÖVP-Zentrale, bei den Meinungsforscherinnen Sophie Karmasin und Sabine Beinschab sowie bei der Mediengruppe Österreich.

Es war der Auftakt der sogenannten Inseraten-Causa, die die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) seit nunmehr vier Jahren beschäftigt. Der aktuelle Stand? „Wir sind effektiv in der Ermittlungsarbeit“, sagt ein WKStA-Sprecher.

Effektiv? Wie kann es sein, dass die Behörde erst jetzt – vier Jahre nach der Razzia – „effektiv“ ermittelt? Grund ist das Sichtungsverfahren, das bei den Daten der Mediengruppe durchgeführt werden musste. Aktuell wird noch an einer letzten, kleinen Tranche gearbeitet.

Ein Sichtungsverfahren ist bei bestimmten Berufsgruppen (Anwälte, Notare, aber auch Journalisten) nötig, wenn bei ihnen Daten sichergestellt werden, die dem Berufsgeheimnis unterliegen könnten. Das bedeutet, dass die ermittelnden Behörden – Polizei, Staatsanwaltschaft – nie den gesamten Datenbestand zu sehen bekommen, sondern nur jenen Teil, der vorher von einem Richter gesichtet und freigegeben wurde.

Straflandesgericht in Wien

Eigene Software entwickelt

Der KURIER ließ sich das Prozedere bei einem Expertengespräch der Medienstelle des Wiener Straflandesgerichts erklären. So viel vorweg: Es ist extrem mühsam. Und das ist noch ein Hilfsausdruck.

Zunächst wird der Datenträger versiegelt einem Richter übergeben, der ihn von IT-Experten aufbereiten lässt. Die Inseratencausa und die enormen Datenmengen, mit denen die Gerichte da konfrontiert waren, war Anlass, eine eigene Software entwickeln zu lassen. Darin werden die Daten – vergleichbar mit dem Windows Explorer – übersichtlich in einer Ordnerstruktur dargestellt.

Die Verteidiger, die ebenfalls über diese Software verfügen, bekommen den gesamten Bestand übermittelt. Binnen einer bestimmten Frist müssen sie „bezeichnen“, welche Daten aus ihrer Sicht vom Berufsgeheimnis des Beschuldigten geschützt seien und welche problemlos freigegeben werden können. Die freigegebenen Daten werden dann grün markiert, die gesperrten rot. Zusätzlich gibt es Kategorisierungen – „Privat“, „Geschäftlich“ oder sonstiges.

„Wenn der Beschuldigte mitarbeitet und sauber bezeichnet, kann es sehr schnell gehen“, sagt Mediensprecher Christoph Zonsics-Kral.

Dann wird im nächsten Schritt eine Sichtungstagsatzung vereinbart, in der Verteidiger, Beschuldigter und Richter den Bestand flott durchgehen. Es folgt ein Beschluss, die Staatsanwaltschaft bekommt einen Datenstick und selektiert dann selbst noch einmal, welche Daten strafrechtlich relevant sind und in den Akt kommen.

Bundeskanzleramt in Wien

Seite an Seite

Das ist der Idealfall. Es soll aber auch schon vorgekommen sein, dass ein Beschuldigter für die Bezeichnung sechs Monate Frist erbeten hat, um dann mit einem Handstreich den gesamten Datenbestand rot zu markieren.

Was freilich nicht sein kann. Deshalb wird es ab da so richtig mühsam: Jedes E-Mail, jede Chatnachricht, jedes Foto, jeden Kalendereintrag und auch längere Dokumente müssen dann vom Richter gemeinsam mit dem Beschuldigten geprüft werden.

Man stelle sich das bildlich vor: Die beiden sitzen den ganzen Tag Seite an Seite vor dem Computer, klicken sich durch jeden Datensatz und diskutieren – mal länger, mal kürzer –, ob dieser nun unter das Berufsgeheimnis fällt oder nicht.

Wer sich vergegenwärtigt, wie viele Chatnachrichten er selbst pro Tag schreibt und was sich sonst noch so auf einem Handy ansammelt, wird allein beim Gedanken an so eine Prozedur wohl schon nervös. In einem Fall habe das fast 100 Tage in Anspruch genommen, so Zonsics-Kral.

Die Staatsanwaltschaft bekommt von alledem übrigens nichts mit – sie ist darauf angewiesen, dass alles, was sie für die Ermittlungen benötigt, auch freigegeben wird. Ein dringender Tatverdacht sticht auch das Berufsgeheimnis aus. Freilich kann sie gegen den Beschluss im Sichtungsverfahren Beschwerde einlegen – aber im Blindflug. Sie weiß ja nicht, was vor ihr verborgen wird.

Auch der Beschuldigte kann Beschwerde einlegen – und damit wären wir wieder beim Ausgangspunkt, der Inseratencausa.

Österreich hat sich in Hinblick auf die bei ihr sichergestellten Daten auf das Redaktionsgeheimnis berufen. Das Oberlandesgericht Wien entschied dann, dass Daten zu Inseratengeschäften nicht darunterfallen. Wirtschaftliches und Redaktionelles sind ja – nach eigenen Aussagen von Herausgeber Wolfgang Fellner – strikt getrennte Bereiche.

Friedrich Forsthuber

Redaktionsgeheimnis

Dasselbe spielt sich aktuell im Sichtungsverfahren rund um die Mediengruppe Heute ab, bei der im März 2023 wegen ähnlicher Vorwürfe rund um Inseratenkorruption Daten sichergestellt wurden. Jede Tranche, die per Gerichtsbeschluss freigegeben werden soll, wird aufs Neue von der Verteidigung beeinsprucht. Bis dato hat das Oberlandesgericht aber an seiner Rechtsansicht festgehalten, dass Inserate nicht vom Redaktionsgeheimnis gedeckt seien.

In Verteidigerkreisen wird dazu erklärt, dass man dies zur Absicherung macht – falls die Frage in höchster Instanz vor dem Obersten Gerichtshof (OGH) behandelt wird.

Friedrich Forsthuber, Präsident des Landesgerichts für Strafsachen Wien, setzt sich für eine Reform ein: „Es gibt einige Gründe, warum große Wirtschaftsverfahren zu lange dauern. Eine wesentliche Verfahrensverlängerung erfolgt durch Sichtungsverfahren.“

Ginge es nach ihm, könne man gleich ganz darauf verzichten. „Mehr Vertrauen gegenüber der Staatsanwaltschaft, die ohnedies zur Objektivität und zur Wahrung von Berufsgeheimnissen verpflichtet ist und unter der Kontrolle der Gerichte steht, wäre hilfreich“, so Forsthuber, der auch Teil einer Arbeitsgruppe zum Thema Verfahrensbeschleunigung war.

Zwei Vorschläge, die dort zwar erarbeitet, vom Justizministerium bis dato aber nicht aufgegriffen wurden: Erstens sollen Richter den Datenschatz im ersten Schritt alleine sichten und bezeichnen, was aus ihrer Sicht freigegeben und was gesperrt werden soll. Der Beschuldigte soll dann nur noch mitteilen, ob er mit dieser Selektion einverstanden ist. Ist er das nicht, dann soll er zweitens begründen müssen, warum nicht.

Zur Beschleunigung trägt aktuell bereits bei, dass seit Jahresbeginn das neue Gesetz zur Datenbeschlagnahme gilt: Die Staatsanwaltschaft muss in ihrer Anordnung vorher festlegen, welche Daten sie aus welchem Zeitraum zu welchem Zweck benötigt. Diese Vor-Selektion wird vorab durch die Justiz-IT aufbereitet und dem Richter übermittelt. Dadurch wurde der Aufwand etwas reduziert, von einer „Erleichterung“ könne laut Experten noch keine Rede sein.

In der Heute-Causa heißt es unterdessen weiterhin: Geduld und Nerven bewahren.

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