Verfahrensdauer: Buwog-Causa als Denkzettel für die Justiz

Das Buwog-Verfahren war „exorbitant lang“. So lang, dass die Verurteilten in ihrem „Recht auf ein faires Verfahren“ laut Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention verletzt wurden. (Und wenn es einen Artikel in der EMRK gibt, auf den die Justiz achten sollte, dann ist es wohl der.)
Die Worte von Senatspräsidentin Christa Hetlinger vom Obersten Gerichtshof (OGH), der am Dienstag die Schuldsprüche gegen Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser und sechs weitere Verurteilte im Kern bestätigt hat, sollten eine Mahnung sein; zumal die Verfahrensdauer auch der Grund dafür war, dass das Strafausmaß bei Grasser halbiert wurde – von acht auf vier Jahre.
Welche Konsequenzen das Justizministerium aus dieser Mahnung zieht? Offenbar keine. Eine Evaluierung, wie sie diese Woche etwa OGH-Präsident Georg Kodek angeregt hat, ist nicht geplant.
Aus dem Justizministerium heißt es auf KURIER-Anfrage, dass man schon seit Jahren laufend an Verbesserungen hinsichtlich „effizienter Verfahrensführung und bestmöglicher Nutzung von Ressourcen“ arbeite.
Vielschichtiges Problem
Dazu gehören etwa der Einsatz von Verfahrensmanagern und juristischen Mitarbeitern, die Richter in komplexen Verfahren unterstützen, die elektronische Aktenführung und einige Punkte in der Reform des Strafprozessrechts, die heuer in Kraft getreten ist. Und: „Natürlich werden Erkenntnisse aus einem Verfahren wie dem Buwog-Prozess auch in den kontinuierlich laufenden Optimierungsprozess einbezogen.“
Was auffällt: Das Justizministerium adressiert in ihrer Stellungnahme nur die Arbeit der Staatsanwaltschaften und Gerichte. Klar, diese stehen auch öffentlich immer wieder in der Kritik.
Tatsache ist aber: „Exorbitant lang“ gedauert hat es bei mehreren Etappen der Buwog-Causa. Insofern müsste das Ministerium auch die Arbeitsweise im eigenen Haus hinterfragen. Anders gesagt: Das Problem ist vielschichtig.
Einen Eindruck – ohne Anspruch auf Vollständigkeit, dafür bräuchte es tatsächlich eine Evaluierung – bekommt man durch eine Aussendung der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA), die im Dezember 2020 veröffentlicht wurde. Darin wurde der Weg bis zum erstinstanzlichen Urteil aufgeschlüsselt.
Allein der justizinterne Berichtsweg hat (inklusive einer Panne bei einer Zustellung) zwei volle Jahre in Anspruch genommen. Eine Dauer, auf die weder die Ermittler, noch die Verteidiger, denen jetzt vorgeworfen wird, sie hätten das Verfahren mit Rechtsmitteln in die Länge gezogen, Einfluss haben.
Zwei Jahre Berichtsweg
Im Oktober 2009 gab es die erste Korruptionsanzeige wegen einer dubiosen Zahlung im Zusammenhang mit der Buwog-Privatisierung (siehe Faktenkasten). Erst führte die Staatsanwaltschaft Wien die Ermittlungen; am 1. September 2011 übernahm dann die WKStA, deren Kompetenzen zu dem Zeitpunkt gerade erst auf Wirtschaftsstrafsachen ausgeweitet worden waren.
Ermittelt wurde gegen 55 Personen, es gab 700 Einvernahmen, 660 Maßnahmen wie Hausdurchsuchungen, Telefonüberwachungen und Kontenöffnungen, 40 Rechtshilfeansuchen an ausländische Behörden, sieben Gutachten von Sachverständigen sowie etliche Sichtungsverfahren und Rechtsmittel.
Karl-Heinz Grasser hat sich als Finanzminister der blau-schwarzen Regierung von Wolfgang Schüssel das Nulldefizit zum Ziel gesetzt und dabei einige Privatisierungen vorgenommen.
So wurden 2004 rund 60.000 Wohnungen aus Staatseigentum verkauft. Bei einem Bieterverfahren bekam ein Konsortium (u. a. Immofinanz) den Zuschlag – dieses bot exakt eine Million Euro mehr als die CA Immo. Wie jetzt als gerichtlich erwiesen gilt, gab es eine verdeckte Absprache zwischen Grasser, seinem Trauzeugen und PR-Berater Walter Meischberger und dem Lobbyisten Peter Hochegger.
9,6 Mio. Euro an Provision (ein Prozent des Verkaufspreises von 961 Mio. Euro) sollen die drei sich aufgeteilt haben. Geld, das die Republik hätte lukrieren können, hätte es den Deal nicht gegeben
Der OGH bestätigte, dass Grasser als Finanzminister seine Befugnisse missbraucht, den Staat geschädigt und pflichtwidrig gehandelt hat. Er hätte nachverhandeln und mehr für die Republik herausholen müssen.
Im Frühjahr 2014 – also zweieinhalb Jahre nach der Übernahme – hat die WKStA ihre Ermittlungen abgeschlossen. Nach entsprechender Genehmigung der Oberstaatsanwaltschaft und des Justizministeriums konnte dann im Juli 2016 endlich Anklage gegen 15 Personen eingebracht werden‚ die im April 2017 rechtskräftig wurde.
Justizminister war damals Wolfgang Brandstetter (auf ÖVP-Ticket), zuständiger Sektionschef war der mittlerweile verstorbene Christian Pilnacek.
Im Dezember 2017 begann die Hauptverhandlung, die drei Jahre dauerte. Ein Jahr verging bis zur schriftlichen Urteilsausfertigung, und noch einmal ein Dreivierteljahr, bis auch die Rechtsmittel der Verteidiger vorlagen.
Ungefähr Anfang 2023 startete die nächste Etappe. Involviert waren der Verfassungsgerichtshof, der über eine vermeintliche Befangenheit und Verjährung entschied; die Generalprokuratur, die ein Gutachten verfasst hat; und der OGH, der schließlich alles prüfte und jetzt, im März 2025, öffentlich verhandelte. Wieder zwei Jahre also.
Einzelne Stränge
Bleibt die Frage: Was läuft heute anders bzw. „besser“?
Mit der Signa-Causa gibt es aktuell wieder ein komplexes Wirtschaftsstrafverfahren, und Optimismus ist durchaus angebracht. Gründer René Benko ist derzeit in U-Haft, schon deshalb gilt für die Justiz ein „Beschleunigungsgebot“.
Bei der WKStA hat sich ein Team, bestehend aus einem Leiter, fünf Oberstaatsanwälten und drei Wirtschaftsexperten, die Causa in einzelne Stränge aufgeteilt.
Anders als bei der Buwog-Causa dürfte es hier keinen durchgängigen „Tatplan“ gegeben haben, sondern mehrere Straftaten, die man abgrenzen und einzeln anklagen könne, so die Einschätzung von Experten.
In Betracht kommt auch, dass die WKStA auf die Verfolgung einzelner Straftaten verzichtet. Das geht dann, wenn insgesamt schon eine so hohe Strafe zu erwarten ist, dass manche andere Taten nicht mehr ins Gewicht fallen – sprich: das Kraut nicht mehr fett machen. Das gilt nicht nur für Bagatelldelikte, sondern auch bei Verbrechen.
Auf diese Option weist das Justizministerium nach KURIER-Anfrage zum Thema Verfahrensökonomie explizit hin. Auch so wolle man sicherstellen, dass „Ressourcen zielgerichtet eingesetzt werden“.
Kommentare