"Die Krise hinterlässt uns eine Botschaft"
„Ich werde derzeit oft gefragt, wann Corona denn ,vorbei sein‘ wird und alles wieder zur Normalität zurückkehrt. Meine Antwort: niemals. Es gibt historische Momente, in denen die Zukunft ihre Richtung ändert.“ So beginnt Matthias Horx seinen Essay „Im Rausch des Positiven: Die Welt nach Corona“, der seit der vergangenen Woche quer durch die alten und neuen Medien gereicht und dort unzählige Male geliked, geherzt und geteilt wurde.
Dem Trend- und Zukunftsforscher, er selbst beschreibt sich als „Provokateur und Visionär“, scheint das gelungen zu sein, woran derzeit große Institutionen scheitern: Zuversicht spenden am Höhepunkt der Unsicherheit. Die Krise als Chance zu begreifen, nicht nur in Form einer Politikerfloskel, sondern logisch argumentiert und lebhaft erzählt.
Alles wird gut
Der Titel verrät es bereits: In seinem Text skizziert der 65-Jährige ein optimistisches Bild für die Zeit nach der Pandemie. Da ist die Rede von einem erstarkten Gemeinschaftsgefühl, von mehr Verbindlichkeit, einer Renaissance lokaler Betriebe sowie vom Niedergang rechtspopulistischer Krawallpolitiker. Die Krise wird dargestellt als überfälliger Einschnitt für unsere überhitzte Gesellschaft. Und mit jedem Satz wächst die Gewissheit: Alles wird gut.
1,5 Millionen Zugriffe verzeichnete der Webserver des Zukunftsinstituts, wo der Text zuerst online ging, berichtet Matthias Horx dem KURIER am Telefon. Die positive Resonanz – von den 1.500 Mails am ersten Tag waren laut Horx nur fünf „mürrisch formuliert“ – habe ihn dann doch überrascht.
„Ich glaube, dieses Echo hat mit der Zukunftslosigkeit unserer Gesellschaft zu tun. Die Welt hatte den Faden verloren, alle rannten in verschiedene Richtungen. Jetzt sind wir gezwungen, eine gemeinsame herzustellen“, analysiert der Vater zweier Söhne. „Plötzlich gibt es wieder Vertrauen in die Politik, Solidarität mit Schwachen. Wir haben entschieden, alte Leute nicht einfach so sterben zu lassen und dafür Opfer zu bringen. So ist ein neuer Generationenvertrag entstanden. “
Wir sind die Zukunft
Die Krise, sagt Horx, hinterlasse eine Botschaft, er habe versucht, diese zusammenzufassen. „Es geht jetzt darum, die Botschaft zu verstehen und nicht nachher so zu tun, als sei alles wie vorher.“
Von einem „Phänomen Horx“ möchte der Publizist nicht sprechen. „Ich vermute, es ist mehr das Bedürfnis nach einer Prognose, die das Verhalten der Menschen, die innere Psychologie, mit einbezieht. Die Leute wollen auf dieser Ebene ernst genommen werden. Dauernd weden einem irgendwelche Prognosen um die Ohren geworfen – aber Zukunft ist nichts, was im Hirn eines Forschers entsteht.“
Julia Pfligl
"Das Angesicht der Erde verändern"
„Not lehrt beten“, sagt das Sprichwort. Das kann im schlechten Sinne einer repressiven Drohung verstanden werden, lässt sich aber auch als schlichte, empirisch gestützte Lebensweisheit lesen: In Notzeiten ist der Mensch tendenziell eher bereit, Einkehr bei sich zu halten, Dinge auf den Prüfstand zu stellen. Krisenzeiten sind Zeiten der Unterscheidung (das Wort „Krise“ kommt von griech. krínein = unterscheiden), der (Selbst-)Vergewisserung – für Menschen mit religiösem Sensorium eben auch solche des Gebets.
Suche nach Orientierung
Zeiten wie diese müssten demnach auch der Kirche in besonderer Weise Resonanzräume bieten. Ist doch die Suche nach Orientierung und geistiger Wegzehrung zweifellos noch stärker als sonst vorhanden. Zumal die Corona-Krise uns mit nachgerade archaischer Wucht, wie aus einer anderen Zeit kommend, trifft; anders als die vergleichsweise abstrakten ökonomischen und politischen Krisen der letzten Jahre.
Hat die Kirche (bleiben wir der Einfachheit halber bei der katholischen als größter Denomination) die sich ihr bietenden Chancen erkannt?
Gewiss, man lässt sich einiges einfallen, wie man angesichts strikter Reglementierung des öffentlichen Lebens an die Menschen herankommt: live gestreamte Gottesdienste, Predigten Gebetsinitiativen belegen dies durchaus eindrucksvoll.
Inhaltlich wäre indes mutigeres und kraftvolleres Auftreten ein Gebot der Stunde. Überspitzt, und ein wenig polemisch formuliert: für die religiöse Überhöhung der gerade zur Zeit forciert vorgetragenen Zivilisationskritik braucht die Kirche niemand. Nichts werde „nach Corona“ so sein wie bisher, so tönt es allerorten.
Nicht nur der oben zitierte Matthias Horx, auch der slowenische Philosoph Slavoj Žižek oder der Medienkünstler Peter Weibel haben sich in diesem Sinne geäußert.
Gefährliche Drohung
Und die Kirche? Exemplarisch mag dafür die Aussage von Kardinal Christoph Schönborn in der letzten ORF-Pressestunde stehen: Die Corona-Krise werde „das Angesicht der Erde verändern“, sagte der Wiener Erzbischof da.
Ja, es mag und soll auch manche Änderung des Lebensstils geben, eine Redimensionierung überzogener Ansprüche. Aber: die in dem von Schönborn zitierten Pfingsthymnus angesprochene „Erneuerung“ der Erde geschieht, seit Christi Geburt und länger – durch wissenschaftliche Forschung, technologische Innovation und wirtschaftliche Verflechtung.
Freilich, Kritik daran bringt mehr medialen Beifall als davon zu reden, was das Wesen des Glaubens ausmacht: wie die zentralen Glaubensinhalte sich verstehen lassen und wie sich heute daraus leben lässt.
Rudolf Mitlöhner
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