Ibiza-Aufdecker Obermaier: "Straches Verhalten ist kurios"
Kaum eine Enthüllung hat die Republik so erschüttert wie das Ibiza-Video. Der Aufdecker Frederik Obermaier von der Süddeutschen Zeitung blickt auf den Skandal und dessen Folgen zurück.
KURIER: Herr Obermaier, durch die Veröffentlichung des Ibiza-Videos wurde eine Lawine losgetreten: Strache-Rücktritt und Neuwahlen. Trotzdem hatte man den Eindruck, dass die Österreicher dem Ex-FPÖ-Chef das Ibiza-Video nicht so schwer ankreiden wie die Spesen-Affäre. Wundert Sie das?
Frederik Obermaier: Es war erstaunlich und bemerkenswert, dass ein Video, das den späteren Vizekanzler zeigt, wie er über mehrere Stunden mit einer vermeintlichen Oligarchen-Nichte über korrupte Deals verhandelt, offenbar viele weniger tangiert hat, als die Frage, ob Heinz-Christian Strache nun womöglich Tschicks oder Handyspiele über die Partei abrechnet. Aber ich mache mir keine Illusionen: Strache hat eine große Kernwählerschaft, die sich offenbar nicht sehr für Fakten interessiert. Als Journalist habe ich die Fakten aufzuzeigen. Welche Schlüsse die Wähler und Wählerinnen daraus ziehen, ist eine ganz andere Frage. Was die Ibiza-Affäre bewirkt hat, ist aber sicherlich ein gestiegenes Bewusstsein für die Notwendigkeit von mehr Transparenz.
Was sollte man ändern?
In Österreich, aber auch in Deutschland und anderen EU-Staaten bräuchte man bei den Parteifinanzen eine bessere Transparenzgesetzgebung. Der österreichische Rechnungshof ist nicht viel mehr als ein Papiertiger. Man schaut, ob bei den vorgelegten Unterlagen alles stimmig ist – aber nicht mehr. Da kann man nicht von einer wirksamen Überprüfung reden.
Der Vorwurf von Heinz-Christian Strache lautet, dass die Süddeutsche Zeitung nur wenige Minuten des Videos veröffentlicht habe. Weitere Dialoge in den Artikeln und in Ihrem Buch wurden aber sehr wohl beschrieben. Gibt nicht genau dieser Umstand Strache den Spielraum, seine Opferrolle aufzubauen?
Heimlich aufgenommene Aussagen in Bild und Ton wiederzugeben, ist rechtlich gesehen etwas ganz anderes als eine Veröffentlichung in Schriftform. Das Video dürfen wir nicht in voller Länge veröffentlichen. Wir würden uns sonst strafbar machen. Das dürften Straches Anwälte ihm auch erklärt haben. Es wäre übrigens auch nicht in Ordnung, zum Beispiel jene Teile des Videos zu veröffentlichen, in denen Strache unbestätigte Gerüchte über andere Personen verbreitet.
Strache bezeichnet Sie und Ihre Kollegen als Handlanger eines kriminellen Netzwerkes. Nach der Veröffentlichung haben sich viele österreichische Journalisten auf die Suche nach den Hintermännern gemacht. Mittlerweile ist das Gesagte im Video in den Hintergrund gerückt. Ist die Gewichtung des Videos in eine Schieflache gekommen?
Ich verstehe, dass sich die Österreicher dafür interessieren, wer hinter dem Video steckt. Wir sollten aber nicht die eigentliche, die zentrale Geschichte der Ibiza-Affäre vergessen: Nämlich dass zwei hochrangige österreichische Politiker einer vermeintlichen Oligarchen-Nichte, die Geld aus dubiosen Quellen in Aussicht gestellt hat, halb Österreich zu Füßen gelegt haben.
Was sagen Sie zum Vorwurf der Handlangerschaft ?
Da bin ich gelassen. Weder ich noch meine Kolleginnen und Kollegen waren an der Erstellung des Videos beteiligt. Es wurde uns zugespielt, und wir haben die Informationen überprüft und dann über jene Teile berichtet, die Missstände von überragender Bedeutung betreffen. Das ist unsere Aufgabe als Journalisten. Strache ist über seine eigenen Worte gestolpert. Die Aussagen sind öffentlich geworden, weil uns mutige Personen das Ibiza-Video zugespielt haben. Österreich verdankt diesen Menschen sehr viel. Ohne sie hätte die Öffentlichkeit womöglich nie erfahren, welche korrupten Deals Strache und Gudenus in Aussicht stellten, wenn sie sich unbeobachtet fühlten.
Philippa Strache meinte in Interviews, dass die Oligarchen-Nichte sehr viele Suggestivfragen gestellt hätte und auch durch einen Ohrstöpsel mit Hintermännern in Wien verbunden war, die ihr Fragen ins Ohr flüsterten. Was ist Ihre Wahrnehmung dazu?
Ich weiß nicht, wie Frau Strache, die selbst nicht vor Ort war, darauf kommt. Ich jedenfalls habe keinen Ohrstöpsel gesehen. Das Video zeigt über Stunden gehende Verhandlungen. Es ist Strache selbst, der immer wieder auf die heiklen Themen zurückkommt. Es war eine mehrstündige Verhandlung darüber, wie die angebliche Russin ihre angebliche Viertelmilliarde Euro in Österreich anlegen könnte, dass sie und die FPÖ etwas davon hätten.
Strache pocht aber im Video immer wieder darauf, dass alles legal ablaufen muss…
Wenn man einen Banküberfall plant, macht es diesen nicht legal, wenn man währenddessen gebetsmühlenartig wiederholt: „Das muss alles legal sein“. Ein solcher Überfall wäre trotzdem illegal.
Auch die FPÖ müsste sich bei den Aufdeckern bedanken. Denn sonst hätte sie weiterhin einem Obmann vertraut, der nicht mit sauberen Mitteln arbeitet…
Das setzt voraus, dass lediglich der frühere Obmann mit unsauberen Methoden gearbeitet hat. Und da ist – vor allem mit Blick auf allerlei verdächtige Vereinskonstruktionen – noch vieles nicht aufgeklärt.
Das Strache-Comeback ist ante portas. Ist Österreich eine Bananenrepublik?
Das Verhalten von Strache hat natürlich etwas Kurioses. Aber ich brauche selbst nicht weit weg schauen, um Anrüchiges und womöglich gar Korruptes zu sehen. Ich komme aus Bayern.
Hätten Sie sich mehr Reue von Strache erwartet?
Wir leben in einer Zeit, wo sehr viel Politikerverdruss herrscht. Viele Bürger haben das Gefühl, Politiker würden mit allem durchkommen. Etwas mehr Reue und vor allem mehr Transparenz würden da ganz guttun.
Wie haben Sie denn die Tage rund um den 17. Mai erlebt?
Der Donnerstag und der Freitag war nur Stress. Als wir die Antworten von Strache und Gudenus auf unsere Anfragen hatten, war zumindest klar, dass die beiden das Treffen nicht bestreiten. In der schriftlichen Stellungnahme der beiden stand ja etwas elaborierter ausgedrückt auch nur, was Strache später öffentlich zu seiner Verteidigung gesagt hat: dass es eine „besoffene Geschichte“ gewesen sei. Was die raschen Folgen angeht, wurde ich überrascht. Ich hatte für Freitagabend ein Abendessen mit Freunden ausgemacht, wo ich gehörig zu spät kam. Am Samstag war ich mit meinem Nachwuchs in München unterwegs. Statt Fußball zu spielen und Sandburgen zu bauen, habe ich dann aber ständig aufs Handy geschaut: Da liefen die Pressekonferenzen von HC Strache und Sebastian Kurz. Vor einer Eisdiele hat mich ein Österreicher angesprochen und gefragt, ob er mitschauen dürfe. Zu wissen, dass das alles, was wir da auf dem Handybildschirm sahen, auch mit der eigenen Arbeit zu tun hat, war schon seltsam.
Sie haben mit Ihrem Kollegen die Panama-Papers aufgedeckt. In Ihrer persönlichen Gewichtung: Wo steht das Ibiza-Video für Sie?
Die Panama-Papers haben weltweit Ermittlungen ausgelöst, neue Gesetze wurden erlassen und Hunderte Millionen an Strafen und Steuernachzahlungen eingetrieben. Trotzdem fühlte sich die Ibiza-Affäre persönlich manchmal näher an. Ich bin nahe der österreichischen Grenze aufgewachsen, habe als Gymnasiast Bücher über Jörg Haider gelesen – und eines ist klar: In meinem Freundeskreis und in meiner Familie wird zur Zeit mehr über die Ibiza-Affäre als über die Panama-Papers gesprochen.
Ist der tiefe Fall von Strache mit der Spesen-Affäre, dem üppigen Gehalt seiner Frau Philippa, den Sporttaschen voller Geld und dem Ausschluss aus der Partei der Stoff für eine TV-Soap?
Es ist wie ein Fortsetzungsthriller. Ich traue mich fast nicht, Urlaub zu machen, weil fast jeden Tag etwas passiert, was mehr oder weniger mit der Ibiza-Recherche zu tun hat. Und ich denke, das wird sich so schnell nicht ändern: Aufzuklären gibt es ja im Umfeld von Strache und der FPÖ noch so einiges.
Zwei Obermai(y)er deckten den Ibiza-Skandal auf: Der eine ist Bastian Obermayer (42) und der andere heißt Frederik Obermaier (35). Sie sind das Aufdecker-Duo der Süddeutsche Zeitung. Bekannt wurden die beiden durch die Panama-Papers-Enthüllungen. Am 17.Mai landeten sie mit dem Spiegel den Ibiza-Coup. Die journalistische Arbeit der beiden wurde unter anderem mit dem Nannen-Preis, dem CNN-Award, dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet. Für das Ibiza-Video bekamen sie den deutschen Reporterpreis.
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