Höchstrichter schlagen Asyl-Alarm

Asylverfahren können Jahre dauern.
Auf Berufungsbehörden kommen immer mehr Verfahren abgelehnter Asyl-Werber zu. Trotz Verdreifachung des Personals droht zudem neuer Rückstau wegen "Asyl auf Zeit".

Eine syrische Familie, die nachweislich aus dem zerbombten Aleppo flieht?

Klarer Fall: Stempel drauf, Asylbescheid positiv.

Ein allein reisender Bursche, ohne Dokumente?

Da wird die Sache schwieriger, das Verfahren kann Monate dauern – oder gar Jahre, wenn er gegen einen negativen Asylbescheid vorgeht. So lange ist er in der Grundversorgung des Bundes, besucht Deutschkurse, integriert sich in Österreich – und lebt in Ungewissheit.

"Eine Abschiebung wird dann immer schwieriger", sagt ÖVP-Verfassungssprecher Wolfgang Gerstl. Anhand von Zahlen der zuständigen Behörden aus dem Jahr 2016 schließt er, dass immer mehr abgelehnte Asylwerber den Rechtsweg ausreizen, um länger in Österreich bleiben zu dürfen. Die Folge: "Alle anderen Aufgaben der Gerichte werden von Asylfällen überlagert", kritisiert Gerstl.

Jeder 2. Fall zu Asyl

Aber von vorn: Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) hat im Vorjahr 42.073 Asylanträge behandelt. Bei 20.213 (enthalten sind auch Anträge aus 2015) gab es einen negativen Bescheid. Wer dagegen vorging, kam in zweiter Instanz zum Bundesverwaltungsgericht (BVwG). Dort landeten im Vorjahr hochgerechnet 18.760 Fälle (die genauen Zahlen werden heute, Dienstag, präsentiert) – das sind rund 67 Prozent aller Causen. Das BVwG beschäftigt sich demnach nur zu knapp einem Drittel mit anderen Fällen, etwa Verfahren zu Marktordnung oder Disziplinarrecht. Der Asyl-Bereich ist massiv gewachsen: 2015 waren es noch 47 Prozent.

Auch am Verfassungsgerichtshof, wo außerordentliche Beschwerden gegen die Entscheidungen des BVwG landen, zählte im Vorjahr fast jeder zweite Fall (44 Prozent) zum Bereich Asyl und Fremdenrecht. Und dabei dürfte beim VfGH schon wegen der Anfechtung der Bundespräsidenten-Stichwahl im Sommer kaum Langeweile aufgekommen sein.

Bis zur letzten Instanz gegen ihren Negativ-Bescheid gekämpft haben 2016 am häufigsten Staatsbürger aus Afghanistan, Nigeria und der russischen Föderation.

Höchstrichter schlagen Asyl-Alarm
Aufgrund des Flüchtlingsstroms 2015 haben alle beteiligten Stellen ihren Personalstand aufgestockt – mit Zeitverzögerung trifft es sie nach und nach. Das BFA wird sich im Endausbau mit 1500 Planstellen bald verdreifacht haben. Die Behörde wurde erst 2014 geschaffen. Das BVwG gilt mit 600 Mitarbeitern, darunter 220 Richter, als das größte Gericht Österreichs.

Die Aufstockung ist bitter nötig, sagt ÖVP-Verfassungssprecher Gerstl und weist auf die von seiner Partei forcierte Regelung "Asyl auf Zeit" hin. Drei Jahre nach Anerkennung des Asylstatus wird im Einzelfall geprüft, ob noch Schutzbedürftigkeit besteht. Das heißt in der Praxis: Das BFA muss den Flüchtlingszustrom aus dem Rekordjahr 2015 ein zweites Mal durcharbeiten. Neben den Neuanträgen, versteht sich. Die ersten Fälle werden im Herbst 2018 schlagend, der große Brocken folgt 2019 (21.628 Asylgewährungen 2016).

"Es ist zu erwarten, dass viele, denen dann der Asylstatus aberkannt wird, Rechtsmittel einlegen. Wir haben jetzt noch eineinhalb Jahre Zeit, uns eine Lösung zu überlegen. Die Gerichte schaffen es sonst nicht", warnt Gerstl.

"Administrativer GAU"

Der ÖVP könnte "Asyl auf Zeit" – ein Erbe der früheren Innenministerin Johanna Mikl-Leitner – also auf den Kopf fallen. "Vor diesem administrativen GAU haben wir vorher gewarnt", sagt Peter Hacker, Geschäftsführer des Fonds Soziales Wien.

Wie man das Chaos abwenden kann? "Was wir brauchen, ist eine kleine, intelligente Arbeitsgruppe, die das Tohuwabohu im Fremdenrecht entrümpelt." Schon jetzt würden die vielen neu entstandenen Regelungen die Verfahren zu langwierig machen, kritisiert Hacker.

Das BFA gibt eine durchschnittliche Verfahrensdauer von neun Monaten an. Das BVwG hat eine Frist von sechs Monaten, diese soll aber auf zwölf ausgeweitet werden. Und der Verfassungsgerichtshof bearbeitet die Fälle – meist nur formal, nicht inhaltlich – binnen drei Monaten.

Die Realität schaue laut Flüchtlingskoordinator Hacker oft anders aus: "Es gibt immer wieder Fälle, die jahrelang in der Grundversorgung stecken. Die scheinen aber nirgendwo auf. Wir brauchen einen Überblick." Auf die Vermutung des ÖVP-Juristen, der Rechtsweg würde ausgenutzt, sagt er: "Das ist absurd."

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