Hirndoping: Wann Leistungssteigerung im Beruf gefährlich wird

Hirndoping: Wann Leistungssteigerung im Beruf gefährlich wird
Psychiater Siegfried Kasper über die Auswirkungen von chemischen Substanzen im Alltag und wie sie das Sozialleben beeinflussen.

Für die einen ist es Leistungssteigerung, für die anderen Hirndoping oder Neuro-Enhancement (von engl. enhance für aufwerten). Unterm Strich bedeutet beides: Gesunde Menschen nehmen Medikamente oder Substanzen ein, um ihre geistige Leistung zu steigern. Warum immer mehr immer öfter dazu greifen, erklärt Psychiater Siegfried Kasper so: „Es entsteht bei diesen Menschen der Eindruck, dass mit ihrer eigenen Leistung etwas nicht stimmt.“

Der nächste Schritt: „Man greift zu stärkeren Waffen, um die Leistung zu steigern. Die Bestseller sind Amphetamine und Kokain.“ Sagt der Leiter der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der MedUni Wien.

Hirndoping: Wann Leistungssteigerung im Beruf gefährlich wird

Univ.-Prof. Siegfried Kasper, MedUni Wien

KURIER: Herr Professor, was passiert eigentlich genau bei Hirndoping? Siegfried Kasper: Unser Gehirn funktioniert durch den Wechsel von Erregung und Dämpfung der Nervenverbände, damit es nicht zu einer Übererregung kommt. Zwischen den Nervenbahnen vermitteln Neurotransmitter, das sind Botenstoffe. Die stärksten unter ihnen sind Noradrenalin und Dopamin. Wenn man nun bestimmte Substanzen nimmt, werden diese vermehrt ausgeschüttet. Dadurch funktioniert Kognition, also unsere geistige Fähigkeit, besser.

Welche Auswirkungen hat das auf die Persönlichkeit?

Man steuert in eine Art Parallelwelt. Normalerweise regeln soziale Kontakte und feinste Interaktionen, etwa Gesichtsregungen, unser Zusammenleben. Wer jedoch etwas einnimmt, um seine Leistung zu steigern, wird von diesen sozialen Kontakten abgeschnitten, weil er gereizter wird oder seine Umwelt sogar als unfähig ansieht. Man nimmt Nuancen nicht mehr wahr, die Affekte steigern sich, wegen Kleinigkeiten brüllt so jemand oft gleich los. Außerdem verlieren diese Menschen durch ihr Verhalten auch Kontakte und sind eigentlich sehr einsam. Häufig geht auch die Beziehung in Brüche. Das heißt, man schafft also ein größeres Arbeitspensum und man funktioniert, das psychosoziale Leben bricht aber weg. Dieses braucht der Mensch aber für ein gesundes Leben. Gesundheit ist die Einheit von Körper und Psychosozialem.

Wie erkennt jemand, dass er oder sie ein Problem hat? Wo beginnt die Gefahr?

Wenn man Leistung über die psychosoziale Gesundheit stellt, ist eine Grenze erreicht. Ich würde jedem in dieser Situation empfehlen, das Gespräch mit einem Psychologen oder Psychiater zu suchen. Oft liegt das Problem nicht bei einem selbst, sondern ist an anderen Punkten festzumachen. Noch deutlicher wird es, wenn man bereits körperliche und psychosoziale Schäden feststellt und trotzdem weitermacht und versucht, die Leistung zu steigern.

Welche leistungssteigernden Mittel sind wirklich gefährlich? Auch Kaffee wirkt ja für manche anregend.

Das ist immer von den Neurotransmittern abhängig. Es gibt leichte, mittlere und schwere Präparate. Kaffee ist für viele gut verträglich, aber bei manchen kann sogar er Angststörungen auslösen. Prinzipiell gilt aber, dass man kein verschreibungspflichtiges Präparat einnehmen sollte, ohne dass zuvor eine Diagnose gestellt wurde und ohne, dass eine Erkrankung oder Mangelfunktion vorliegt. Selbstverständlich soll man keine Suchtstoffe konsumieren, egal ob es sich um Medikamente handelt oder nicht. Viele der sogenannten Partydrogen sind außerdem nicht dazu geeignet, die kognitiven Fähigkeiten zu verbessern.

Eine Gesellschaft, deren Mitglieder ständig auf Optimierung aus sind – was sagt das eigentlich über uns aus?

Ich möchte die Gesellschaft nicht gleich verdammen. Ich bin seit 40 Jahren Psychiater, es hat sich einiges verändert. Die Anforderungen werden höher, vor allem im Beruf, die Kommunikation wird immer schneller. Präparate zum Aufputschen sind heute auch viel leichter erhältlich. Aus meiner Sicht geht es darum, dass Strukturen geschaffen werden müssen. Das betrifft Firmen genauso wie den einzelnen. Langsam gibt es auch schon ein Umdenken bei vielen Firmen, etwa Wochenenden ohne ständige Erreichbarkeit. Solche Zusatzangebote sind notwendig, damit der Bogen nicht überspannt wird.

Was kann der einzelne tun?

Auch wenn es sehr banal klingt: Ausreichend Schlaf und Bewegung. Auch eine ausgewogene Ernährung und soziale Beziehungen sind noch immer wesentlich. Der Mensch braucht Regelmäßigkeiten, und da kann man selbst viel dazu beitragen. Wer sich an solche Regeln hält, kann sich besser auf die Herausforderungen konzentrieren – und ermöglicht Freiheit für den Geist. Man könnte auch sagen: Ein geregelter Tag-Nacht-Rhythmus ist der beste Neuro-Enhancer.

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