Hilfe gegen Langzeitarbeitslosigkeit: Die Welt schaut auf Gramatneusiedl
„In Austria, „Gramatneusiedl“ is sometimes used as an expression for a small town in the middle of nowhere.“
Diese Zeilen aus der Feder des amerikanischen Journalisten Rick Romero sind vor wenigen Wochen im Magazin The New Yorker erschienen. Sie klingen nach einer Milieu-Studie über die 3.700 Einwohner große Gemeinde Gramatneusiedl östlich von Wien. Die Motivation, den weiten Weg nach Österreich auf sich zu nehmen, war jedoch eine andere. Sein Verlag hatte ihn 2021 nach Niederösterreich geschickt, damit er über ein besonderes Arbeitsmarktprojekt berichtet.
Aus seiner Beschreibung ist die Verwunderung herauszulesen, wie gerade in dieser – für ihn verlorenen – Gegend erfolgreich gegen die Langzeitarbeitslosigkeit angekämpft wird. Auf eine Art und Weise, die bereits international bei Sozialwissenschaftlern für Aufsehen sorgt. Die Universität in Oxford begleitet diese Initiative mit einer Studie. In Berlin war dieser Umgang mit Langzeitarbeitslosigkeit Thema einer Studientagung.
Hebel gegen Langzeitarbeitslosigkeit
Doch was ist das Besondere an diesem Projekt MAGMA, wie es genannt wird? Es war die Initiative von Sven Hergovich, Landesgeschäftsführer des Arbeitsmarktservices AMS, der nach einem Hebel gegen die Langzeitarbeitslosigkeit gesucht hatte. Sein neuer Zugang: Es sei sinnvoller, mit dem Arbeitslosengeld, das diesen Menschen ausgezahlt werden muss, einen Job für sie zu finanzieren. Der Schlüssel: Ein Jahr in der Langzeitarbeitslosigkeit kostet den Staat pro Person rund 30.000 Euro. Mit diesem Geld wird nun eine Jobgarantie geboten, die der Schritt zurück ins Berufsleben sein soll. Erfolgreich, wie ein erster Zwischenbericht der Universität Oxford zeigt.
Studienautor Maximilian Kasy: „Es ist beeindruckend zu sehen, was für einen Unterschied das Programm gemacht hat. Ja, die Menschen hatten mehr Geld, aber die positiven Auswirkungen gingen weit über das Wirtschaftliche hinaus. Sie waren glücklicher, stärker in ihrer Gemeinschaft verwurzelt und hatten das Gefühl, ihr Leben wieder selbst in die Hand nehmen zu können.“
Marienthal hat neue Arbeitsplätze
Das AMS finanziert das Projekt mit 7,4 Millionen Euro, wobei mit den Beschäftigungsaktivitäten bisher Einnahmen in der Höhe von 383.000 Euro lukriert worden sind. In Gramatneusiedl, konkret im Ortsteil Marienthal, wurde das Zentrum des Projekts platziert. Dort wurden eigene Arbeitsbereiche geschaffen, die vom AMS finanziert werden.
Die Teilnehmer erhalten eine zweimonatige Vorbereitung einschließlich Einzelunterricht. Danach werden sie bei der Suche nach einem geeigneten und subventionierten Arbeitsplatz in der Privatwirtschaft unterstützt. Teilweise wurden sogar neue Arbeitsplätze geschaffen. Bis dahin haben sie ihren Job beim Projekt MAGMA. Bezahlt werden zwischen 1.100 und 2.400 Euro pro Monat.
Historische Wurzeln
Dass das Projekt gerade in Gramatneusiedl angesiedelt worden ist, hat historische Gründe. Über den Ortsteil Marienthal wurde in den 1930er-Jahren die Studie „Die Arbeitslosen von Marienthal“ verfasst, die seither zu den bekanntesten sozialwissenschaftlichen Werken zählt. Über diese Studie drehte 1988 die bereits verstorbene Regisseurin Karin Brandauer den Film „Einstweilen wird es Mittag“. Der Inhalt sind die sozio-psychologischen Auswirkungen von Langzeitarbeitslosigkeit. Die Erkenntnis: Diese führt nicht – wie damals vielfach angenommen – zur Revolte, sondern zu Einsamkeit und passiver Resignation.
Das ist auch ein Ergebnis der Oxford-Studie über MAGMA. Als Beispiel wird darin ein 60-jähriger Teilnehmer genannt, der bereits 600 Bewerbungen geschrieben und immer Absagen erhalten hatte. Bis er die Jobgarantie und damit wieder mehr Selbstwertgefühl erhalten hatten. Mittlerweile arbeitet er als Archivar. Bisher haben 120 Personen die Jobgarantie erhalten, in der Region ist die Langzeitarbeitslosigkeit (Menschen, die länger als 12 Monate arbeitslos gemeldet sind) praktisch fast auf Null zurückgegangen.
Für Lukas Lehner, einen weiteren Autor der Oxford-Studie, ist die Jobgarantie nicht die Lösung für alle Probleme, aber als zusätzliches Instrument zu bestehenden Maßnahmen könne sie die Situation von vielen Menschen verbessern. Die vorläufigen Ergebnisse würden für eine Ausweitung des Projekts sprechen.
Vorerst ist es bis 2024 konzipiert. Sven Hergovich ist überzeugt, dass das Endergebnis der Studie „eine solide Entscheidungsgrundlage liefern wird, um das Phänomen Langzeitarbeitslosigkeit völlig neu zu bewerten und bearbeiten zu können“. Das internationale Aufsehen, das er damit ausgelöst hat, freut ihn. Hergovich: „MAGMA ist das weltweit erste universelle Modellprojekt einer Arbeitsplatzgarantie, das wir hier in Gramatneusiedl umsetzen. Die Ergebnisse werden für die Zukunft der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik von Bedeutung sein.“
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