Häupl: Zwei Jahre Kindergarten sollen Pflicht werden

„Da gibt es Leute im Finanzministerium, die allen möglichen Unsinn erzählen, weil sie um keinen Preis eine Steuerreform wollen.“
Wiens Bürgermeister will, dass Kinder bei Bedarf mit vier Jahren in den Kindergarten kommen.

KURIER: Herr Bürgermeister, Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl nennt die Koalitionsverhandlungen frustrierend und enervierend. Die Koalition beginnt ja schlechter, als sie aufgehört hat.

Michael Häupl: Das würde ich nur eingeschränkt so sehen. Es ist nicht rasend professionell, seinen Frust über abgelehnte eigene Vorschläge so auszuleben.

Aber hat er nicht recht: Wo sind die großen Weichenstellungen?

Ich bin nicht im Verhandlungsteam und kommentiere keine Einzelteile. Ich halte aber nichts davon, a priori die Dinge schlechtzumachen. Wenn man zur Erkenntnis kommt, dass eine Regierung aus SPÖ und ÖVP ziemlich alternativlos ist, sollte man sie einigermaßen mit Empathie und Verve und einem Spritzer Fröhlichkeit angehen. Mit einem sonnigen Gesicht geht es allemal besser als mit einer verzerrten Trauermiene, auch im politischen Geschäft.

Die SPÖ beschränkt sich weitgehend darauf, ÖVP-Vorschläge zu verhindern. Wo sind die neuen Ideen Ihrer Parteifreunde?

Ich wäre schon froh, wenn sie die alten Ideen gegenüber der ÖVP umsetzen könnten. Zum Beispiel beim Thema Bildung: ganztägige Schulformen mit verschränktem Unterricht, keine Nachhilfekosten mehr für die Eltern, keine Schulaufgaben für die Kinder nach 16 Uhr, eine moderne Didaktik und Pädagogik – das sind für mich sehr viel wichtigere Themen als wer die Lehrer verwaltet und die Direktoren bestellt.

In Wien gibt es kaum mehr Zweitlehrer für Lesen, Schreiben, Rechnen in den Volksschulen. Sind bis zu 25 Kinder für eine Lehrerin nicht zu viel?

Natürlich kann man über die Klassenschülerhöchstzahlen reden. Aber wir haben inzwischen ein verpflichtendes Kindergartenjahr eingeführt, und in den Koalitionsverhandlungen reden wir gerade über ein verpflichtendes zweites Kindergartenjahr, wenn ein Bedarf festgestellt wird. Ich halte diesen Vorschlag von Staatssekretär Kurz für gut. Man könnte noch ein Jahr früher als jetzt nicht nur eine Sprachstandsfeststellung machen, sondern auch die kognitiven und motorischen Fähigkeiten der Kinder testen.

Die Volksschule ist eine Gesamtschule, also jene Schulform, die die SPÖ für richtig hält. Dennoch können viele Kinder nicht lesen. Was läuft falsch?

Ich glaube, der Eingangstest und das verpflichtende Kindergartenjahr sind eine wesentliche Verbesserung. Wenn wir jetzt das zweite verpflichtende Kindergartenjahr machen, bringt uns das unserer Zielsetzung näher: Kein Kind kommt in eine Wiener Volksschule, das nicht Deutsch kann. Aber wir wollen mehr: In zehn Jahren soll jedes Kind in Wien zweisprachig sein.

Muttersprache und Deutsch oder Deutsch und Englisch?

Was immer. Deutsch und Englisch, Deutsch und Französisch, Deutsch und die Muttersprache auch, ja.

Also Deutsch und Türkisch?

Ja, oder auch Tschechisch und Deutsch.

Wir lesen Ihnen einen Leser-Tweet vor: Trinken, Rauchen und das Auto werden teurer. Jetzt muss man steuerfrei erben, damit man sich das alles wieder leisten kann.

Dass man mehr verlangt für Schnaps und fürs Rauchen und die Autoeinkaufssteuer erhöht und damit die Senkung des Eingangssteuersatzes vorbereitet – daran kann ich nichts Verwerfliches erkennen. Apropos sozialdemokratische Handschrift.

Die Schnapssteuer bringt ein paar Millionen, eine Steuerreform kostet drei Milliarden ...

Mit der Schnapssteuer allein wird man die Steuersenkung nicht finanzieren können, aber unsere anderen Gegenfinanzierungsvorschläge hat der Herr Leitl ja samt und sonders verworfen.

Wir reden hier über Steuern, die nur Millionen bringen, allein die Hypo verschlingt bis zu zehn Milliarden. Was halten sie von der Idee, dass die Gläubiger mitzahlen sollen?

Alles gut und richtig. Politisch halte ich vor allem fest: Die Verursacher des Desasters sitzen im Parlament und beschuldigen die Regierungsparteien, dass sie vor der Wahl die Leute angelogen haben. Da ist ein bisschen mehr Scham seitens der FPÖ angebracht. Im Gegensatz zu anderen nehme ich die Unverfrorenheit der FPÖ nicht einfach hin. Wo die FPÖ regiert hat, in Kärnten, steht das Land vor einem Debakel und trägt den Mühlstein der Haftung für die Hypo.

Kommt eine Pleite Kärntens für Sie in Frage?

Nein, das ist völliger Unfug!

Es gibt Leute im Finanzministerium, die das so wollen.

Oh ja! Da gibt es auch Leute im Finanzministerium, die uns allen möglichen Unsinn erzählen über die künftige Wirtschaftsentwicklung. Es sagen zwar alle Experten etwas anderes, aber es bricht plötzlich eine völlig skurrile Budgetloch-Diskussion auf, zu Zahlen, die aus dem Finanzministerium kommen, nur weil man dort um keinen Preis eine Steuerreform will.

Interessant. Warum wollen Beamte des Finanzministeriums keine Steuerreform?

Weil man dort denkt, es sei wichtiger, das allseits geliebte Nulldefizit zu erreichen, als dass die maßlosen Politiker schon wieder über Steuergeschenke an die Bevölkerung nachdenken. Dass es so etwas wie eine Steuergerechtigkeit geben sollte, und ein Eingangssteuersatz von 35 Prozent sicher nicht gerecht ist, spielt in den Gedanken dort offenbar keine Rolle.

Die Beamten im Finanzministerium machen Politik?

So könnte man das auch formulieren.

Und wie kann das passieren?

Da darf man mich nicht fragen. Bei mir passiert das nicht.

War’s das Führungsvakuum im Finanzministerium?

Ich werfe niemandem einen Stein nach – abgesehen davon ist es zurzeit besser, Wasser aufs Feuer zu gießen, nicht Öl.

Was wird denn in 20 Jahren über die Regierung Faymann in den Geschichtsbüchern stehen?

Das ist eine super Frage. Der Vorteil von Historikern und Pathologen ist, dass sie alles wissen, aber zu spät. Ich bin ein kleiner Bürgermeister, kein Prophet. Ich stehe noch zu nahe am Bild und kann die einzelnen Mosaiksteine noch nicht ganz zusammenfügen.

Damit der Koalitionspakt nicht nur den Anstrich eines Belastungspaketes bekommt, wollen die Verhandler auch Zuckerln hineinpacken. Wie berichtet, erwägen Rot und Schwarz, die Familienbeihilfe nun doch zu erhöhen. Und der Papa-Monat (in der Privatwirtschaft) ist nun „fix“, wurde dem KURIER am Dienstag aus Verhandlungskreisen bestätigt.

SPÖ-Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek hat seit Langem einen Rechtsanspruch auf einen Papa-Monat gefordert. Männer sollen (bis zu) vier Wochen nach der Geburt ihres Kindes daheim bleiben können – und in dieser Zeit Kindergeld beziehen. ÖVP-Wirtschafts- und Familienminister Reinhold Mitterlehner hatte den Wunsch stets abgelehnt. In den Koalitionsverhandlungen habe er aber Zustimmung signalisiert, erzählen Insider.

Als wahrscheinlich gilt, dass nur größere Betriebe in die Pflicht genommen werden, um kleinere nicht über Gebühr zu belasten – ähnlich wie bei der Elternteilzeit: Einen Rechtsanspruch darauf haben nur Mütter und Väter von Firmen mit mehr als 20 Mitarbeitern. So ähnlich könnte die Regelung für den Papa-Monat aussehen.

Derzeit gibt es einen Papa Monat im öffentlichen Dienst (unbezahlt) und in diversen Bundesländern. Einige Firmen offerieren Vätern einen zwei- oder vierwöchigen Sonderurlaub.

Was die Familienbeihilfe betrifft, ist der Druck aus den Ländern groß. Zwischen SPÖ und ÖVP ist ja vor der Wahl paktiert gewesen, dass es mehr Geld für Eltern und Kinder geben soll. Hernach wurde der Plan angesichts des Budgetlochs verworfen – um nun ausgegraben zu werden.

Derzeit wird gerechnet, wie man die Beihilfe, die pro Jahr 200 Millionen Euro kostet, finanzieren könnte. Im Gespräch ist, Mittel für den Ausbau der Ganztagsbetreuung und der Wohnbauförderung heranzuziehen. Dabei soll es sich um Töpfe handeln, die von den Ländern nicht ausgeschöpft worden sind.

Auch Geld aus dem derzeit defizitären Familienlastenausgleichsfonds soll verwendet werden. Möglich ist zudem, dass es die höhere Beihilfe nicht schon 2014, sondern erst ab 2015 gibt.

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