Kurz’ Vorzeige-Reform im Praxis-Test

Kurz’ Vorzeige-Reform im Praxis-Test
Für den KURIER nehmen zwei Spitzenmediziner die neue Gesundheitskassa unter die Lupe.

Für Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache ist es ihr erstes Leuchtturmprojekt. Die Zusammenlegung der Sozialversicherungen von 21 auf fünf Kassen. Eine Milliarde und Hunderte von Funktionären sollen durch die Strukturreform eingespart werden.

Glaubt man Strache, dann lösen sich mit dieser Maßnahme alle Probleme unseres Gesundheitssystems: „Keine lange Wartezeiten mehr für Operationen, mehr niedergelassene Ärzte, keine überfüllten Spitalsambulanzen“, versprach der FPÖ-Vizekanzler bei der Präsentation der Reform.

Aber ist das wirklich so? Wird man wirklich eine Milliarde Euro einsparen können? Kann die Strukturreform die Probleme lösen? Der KURIER befragte zwei profunde Kenner des Systems. Beide, sowohl der renommierte Gynäkologe Peter Husslein als auch der Arzt, Ex-ÖVP-Abgeordnete und Ex-Gesundheitssprecher Erwin Rasinger, analysieren unisono: Die Reform der Regierung ist kein Leuchtturmprojekt. Wiewohl die beiden Mediziner die Lösung der Probleme des Gesundheitssystems vollkommen unterschiedlich sehen. Husslein favorisiert das Modell, dass es künftig nur mehr eine Sozialversicherung für alle Österreicher geben sollte. Seine Theorie: Erst wenn ein Sozialversicherer für alle Leistungen im System zahlen muss, wird der niedergelassene Arzt wieder gestärkt.

Von dieser Konzentration hält Rasinger nicht viel. Er setzt auf die Konkurrenz der unterschiedlichen Kassen, wo der Patient wählen kann, bei welcher Krankenkasse er versichert sein möchte. Die Mediziner machen deutlich: Das Suchen der Lösung ist ein Labyrinth.

Kurz’ Vorzeige-Reform im Praxis-Test

Peter Husslein: Der Wiener Professor ist Chef der Gynäkologie am Wiener AKH und dafür bekannt, dass er immer wieder mit seinen  Aussagen provoziert. 
Erst im April kündigte er an,  dass künftig im AKH in der Ambulanz Patienten abgewiesen werden  und nur noch Notfälle behandelt werden sollen.

Ein Reförmchen reicht zum Sanieren des Systems nicht

von Peter Husslein, Chef der Gynäkologie am Wiener AKH.

KURIER: Herr Husslein, Bundeskanzler Sebastian Kurz hat die Sozialversicherungsreform  als „eines der größten Projekte der Geschichte“ bezeichnet. Wird  die angekündigte Reform dieser Bezeichnung gerecht?

Peter Husslein: Ich würde sagen, es ist gerade mal ein Reförmchen, aber in die richtige Richtung. Zum Sanieren des Gesundheitssystems wird es nicht reichen. Es müssen relativ rasch weitere Schritte folgen, sonst wird die Bevölkerung bald spüren, dass das System eigentlich nicht mehr funktioniert.  Die Österreicher glauben, Sie haben das beste Gesundheitssystem der Welt, aber   das stimmt nicht. 

Wie schnell?

In ein, zwei, spätestens drei Jahren muss es eine weitere Bewegung geben. 

In welche Richtung?

Was derzeit passiert, ist eine Art Volleyballspiel. Die Sozialversicherungen haben das System der niedergelassenen Ärzte ausgehungert. Es gibt zu wenig Kassenverträge. Und jenen, die einen Vertrag haben, werden die Leistungen nicht ordentlich honoriert.  Wenn man am Freitagnachmittag einen Arzt braucht,  stehen die Patienten auf der Straße.  Die Folge ist: Alles, was teuer und mühsam zum Behandeln ist, wird in die Spitäler geschickt.  Aber in einem Spital sollten nur akute Notfälle und jene Erkrankungen behandelt werden, die die die Infrastruktur einer Klinik brauchen.  Dieses Volleyballspiel mit dem Patienten muss ein Ende haben. Das wird nur gehen, wenn es am Ende eine zahlende Versicherung gibt. 

Sie sind dafür, dass es nur eine  Krankenkasse gibt. Das wäre das englische System, das sich aber nicht bewährt hat ...

Man kann sehr viele Krankheitsbilder außerhalb des Spitals behandeln. Im Spital sind die Kosten für die Behandlung viel höher.  Die Akzeptanz für diese Tatsache wird es solange nicht geben, solange  es mehrere Bezahler gibt.  Gibt es nur mehr eine Sozialversicherung, dann wird man auf Grund der Kostenanalyse sehr schnell erkennen, dass viele  medizinische Behandlungen  im niedergelassenen Bereich besser und billiger zu bewältigen sind.  Das wird dazu führen, dass der niedergelassene Bereich wieder gestärkt und auch besser bezahlt wird.  In England ist eines der  wesentlichen Ziele, die Kosten niedrig zu halten. Wenn man nur einen Zahler hat, muss es eine Kontrolle über die Qualität der angebotenen Medizin geben. 

Die Regierung behauptet, dass durch die Reform innerhalb von fünf Jahren bis zu einer Milliarde Euro eingespart werden können. Experten bezweifeln das. Wie ist Ihre Einschätzung?

Das kann ich nicht gewissenhaft beantworten.  Aber ich gebe der Regierung insofern recht, dass niemand 21 Kassen und so viele Funktionäre braucht. Die Erfahrung zeigt, dass sich immer am meisten jene aufregen, die Einfluss und Macht verlieren. Wir brauchen das Geld im Gesundheitssystem auch für innovative Entwicklungen.  Denn derzeit gibt es zwei Kostentreiber im Gesundheitssystem, die man nicht ändern kann. Das ist einerseits die steigende Lebenserwartung und andererseits wird die moderne Medizin durch Innovationen zwar immer besser, aber auch immer teurer. 

Die neue Reform soll auch ermöglichen, dass es zwischen Vorarlberg und Wien für jeden Patienten die gleichen Leistungen gibt.  Wird das nicht die Kosten hinaufschnellen lassen?

Prinzipiell sollte es eine Selbstverständlichkeit sein, dass ein Sozialversicherter in Wien und Vorarlberg die gleichen Leistungen bekommt. Die Gefahr besteht, dass das Niveau bei der Angleichung nach unten geht. Das wäre schlecht. Allerdings muss man  auch sagen, dass man in diesem System davon ausgeht, dass man die allerbeste Behandlung bekommt. Warum ist das so? Weil man es nicht selber zahlt. Es gibt keine Limits. Das wird  nicht mehr gehen. Die öffentliche Hand wird nicht alle Heilmethoden, die existieren, zur Verfügung stellen können. Da wird es Limits geben müssen. 

Soll heißen, man muss künftig selber in die Tasche greifen ...

Man kann Selbstbehalte einführen oder man kann sich das kanadische Modell anschauen, wo man für Krankheitsbilder  Leitlinien  für die Behandlungen erstellt hat. Alles was über diese Leitlinie hinaus geht, muss man selber zahlen. 

Kurz’ Vorzeige-Reform im Praxis-Test

Erwin Rasinger hat seine Ordination in Wien-Meidling und ist täglich mit den Schwächen des Gesundheitssystems konfrontiert.  Von 1994 bis 2017 saß er mit Unterbrechungen als ÖVP-Abgeordneter im Parlament und war viele Jahre Gesundheitssprecher. Einer breiteren Öffentlichkeit wurde Rasinger  als Abgeordneter bekannt, als er im Mai 2014 den Kleidungsstil mancher Abgeordneten kritisierte, namentlich jenen von Grünen-Abgeordneten Julian Schmid und Neos-Klubchef Matthias Strolz.

Wette 1000 Euro, dass eine Milliarde nicht eingespart wird
 

von Erwin Rasinger, Hausarzt und ehemaliger ÖVP-Abgeordneter im Parlament.

KURIER: Herr Rasinger, FPÖ-Vizekanzler Heinz-Christian Strache präsentierte die Sozialversicherungsreform  als Leuchtturmprojekt der Regierung. Wie fällt Ihr Urteil aus?

Erwin Rasinger: Mir fehlt in dieser Reform die Definierung der Ziele. Das Ziel, die Kassen zu zerschlagen und zu zentralisieren, bringt dem österreichischen Patienten gar nichts.  Auch die Höhe der Einsparung  halte ich für mehr als unwahrscheinlich. Ich verwette 1000 Euro, dass die Einsparung von einer Milliarde Euro  nicht kommen wird.   Schaut man sich weltweit die Systeme an, dann geht man einen anderen Weg: Man versucht den Wettbewerb zu stärken. Die Bürger bekommen in anderen Ländern die Möglichkeit, die Kassen zu wechseln. Beispielsweise in den Niederlande hat man das so eingeführt. In  Deutschland gibt man auf die Bevölkerung bezogen um drei Milliarden Euro mehr aus als in Österreich. Der neue deutsche Gesundheitsminister  kündigt sogar an, noch mehr Geld ins System zu stecken.  Hierzulande findet keine faire Debatte  statt. Die Regierung sagt: Schuld sind die Funktionäre und dann wird sich alles lösen lassen. Das stimmt  nicht. 

Wie könnte eine faire Debatte ausschauen?

Ich vermisse eine Stärken-Schwächen-Analyse. Im Prinzip haben wir ein Weltklasse-System, aber es gibt auch Lücken.  Man  muss Lösungen für Fragen wie diese finden: Wie ermöglicht man  einem 80-Jährigen, der multimorbid ist, eine Versorgung in seinen eigenen vier Wänden auf hohem Niveau.   Oder:  Wie geht man  mit dem dramatischen Hausarztmangel um? Denn Hausärzte bekommen um 40 Prozent weniger bezahlt als Fachärzte.    Wie gehen wir mit der Tatsache um, dass es in Österreich keinen einzigen  Kassen-Facharzt  für Schmerz- oder Krebstherapie gibt? Wie gehen wir damit um,  dass 80 Prozent der Psychiater nur auf  Privatbasis ordinieren?   Auf all diese Fragen gibt es von der Regierung keine Antwort.    Im Gegenteil: Jetzt werden wir damit beschäftigt sein, die neuen Strukturen aufzubauen.  Ich halte nichts von Zentralisierung.  Denn von Wien aus kann man nicht die Probleme im Kleinwalsertal lösen. 

Aber es gibt ein Machtproblem im österreichischen Gesundheitssystem. Da sprechen die Kassen, die Länder und auch die Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter mit. Sind das nicht eindeutig zu viele?

Man kann die Macht den Kassen oder den Ländern geben. Ich habe es immer wieder in meiner  aktiven Politikzeit erlebt, dass wir gute Ideen hatten, aber die Krankenkassen  sich dagegen stemmten, weil sie kein Geld dafür freigeben wollten. Der Gesundheitslandesrat musste aber öffentlich dafür den Kopf hinhalten. Er war  der Schwache im System.   Was die Regierung nicht reformiert ist die Tatsache, dass in den Kassen die Arbeitnehmer- und die Arbeitgeber den Ton angeben. Die Wirtschaftskammer und der ÖGB sind mächtiger als jeder Gesundheitsminister.  Das ist weltweit einzigartig.  

Tatsache ist, die Medizin wird besser, aber auch immer teurer. Ist es wirklich aufrecht zu halten, dass die Krankenkassen alles abdecken?

Das ist eine gesellschaftspolitische Frage, die man stellen muss.  Wir brauchen endlich eine klare Sprache:  Wenn man den Rolls Royce  haben will, muss man Mittel zuschießen. In Österreich beträgt der Beitragssatz 7,5 Prozent, in Deutschland 15,8   Prozent.  Dieser Beitragssatz ist aber eine Heilige Kuh, der nicht verändert werden darf. 

Klingt danach, als wenn nur mehr Geld das System retten könnte...

Es gibt pro Jahr  100 Millionen Patienten-Arzt-Kontakte, wobei die Hausärzte zwei Drittel dieser Kontakte  schultern. Wenn ich heute  einen Patienten zum Orthopäden überweise, bekomme ich in drei bis vier Wochen einen Termin. Ist das ein Organisationsversagen oder fehlen einfach Ärzte? In Wien gab es vor 15 Jahren 834 Hausärzte mit Kassenverträgen. In diesen Jahren ist Wien um 300.000 Bürger gewachsen, aber es gibt nur mehr 736 Kassenärzte.   12 Prozent weniger Hausärzte müssen 20 Prozent mehr Menschen versorgen. Das ist eine Rechnung, die sich nicht ausgehen kann. Wichtiger als diese Strukturreform wäre die Rettung des Hausarztes. 


 

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