Gesundheitsökonom: "Die Patientenmilliarde war von Anfang an reine Show“

ÖGK galt als das Prestige-Projekt der ÖVP-FPÖ-Regierung
Es war eines der Prestigeprojekte der türkis-blauen Regierung: die Krankenkassenreform, bei der die 21 Sozialversicherungsträger auf fünf reduziert, und die neun Gebietskrankenkasse zur Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) zusammengelegt wurden. Eine Milliarde werde man sich so bis 2023 ersparen, hatte Türkis-Blau noch 2019 getönt. Der Rechnungshof hat das nun nachgeprüft und festgestellt: Es wird anders kommen. Statt der ersparten Milliarde werden bis 2023 knapp 215 Millionen an Mehrkosten entstehen – das profil berichtete. Bei dieser Zahl handelt es sich um eine Berechnung anhand der vorliegenden Prognosen aus dem Februar 2022. Der KURIER hat bei Gesundheitsökonom Ernest Pichlbauer nachgefragt.
Herr Pichlbauer, überrascht Sie das Ergebnis des Rechnungshofberichts?
Ernest Pichlbauer: Nein. Die Milliarde war von Anfang an Zahlenmystik und reine Show. Die politische Zielsetzung war zum Scheitern verurteilt.
ÖGK-Direktor Wurzer hat gesagt, am Ende des Tages werde die Reform ein Erfolg sein. Ist es vielleicht einfach zu früh, Bilanz zu ziehen?
Wurzer und dem Management kann man keine Vorwürfe machen. Die Versprechungen sind von Menschen gekommen, die es jetzt in der Politik nicht mehr gibt. Aber zu glauben, die Verwaltung könnte billiger werden, als sie ist, ist schlicht irrational. Zumal die Verwaltungskosten im internationalen Vergleich gar nicht so hoch sind.
Wurde der Erfolg durch die Pandemie verzögert?
Das ist sehr schwierig. Die Ausgaben sind massiv gefallen, weil die Patienten weniger zum Arzt gegangen sind. Darum waren die Kosten für die Krankenkassen überschaubar.

Ernest Pichlbauer
Wie hätte man die Reform denn besser angehen sollen?
Statt die Milliarde ins Spiel zu bringen, hätte man eine Reform ohne parteipolitische Brille und konkrete Einsparungsziele machen müssen. Man hätte zunächst die Prozesse, wie man die Patienten durchs System bringt, verbessern müssen. Und dann hätte man schauen können, wie hoch die Einsparungen sind.
Abgesehen von der Patientenmilliarde, was halten Sie grundsätzlich von der Fusion der Krankenkassen?
Der Grundüberlegung einer zentralen, bundesweiten Krankenkasse kann ich etwas abgewinnen. Auch wenn mir die Reform immer zu „weicheirig“ gewesen ist, gibt es Hoffnung, dass das Projekt auf lange Frist funktionieren kann. Auch bei der Umsetzung der Fusion ist viel mehr weiter gegangen, als ich in der kurzen Zeit erwartet habe.
Sind die versprochenen gleichen Versicherungsleistungen für alle heute Realität?
Nein, das ist ja die Crux. Wir haben neun Länder- und eine Bundesärztekammer und die haben, was die Honorarordnung betrifft, eine verfassungsmäßige Option, ihren Katalog weiterzuverhandeln. Auch die Landesstellen dürfen weiterverhandeln. Wir haben also weiterhin alle möglichen Vetorechte, die jeden kleinsten Schritt auch konsequent blockieren.
Hat es eine Verbesserung für die Versicherten gegeben?
Bis jetzt ganz sicher nicht. Das hat vor allem damit zu tun, dass die politische Aussage „wir sparen am System“ zu enormen inneren Widerständen geführt hat. Hätten wir das nicht unter dem Titel „Einsparungen“ gemacht, wäre viel mehr weitergegangen.
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