Gerhard Zeiler: "Die Positionierung der SPÖ ist zu eng"
Er war Pressesprecher von Fred Sinowatz in den 70ern, ORF-Generalsekretär in den 80ern, ORF-Chef in den 1990ern. 2016 geht die Entscheidung der Faymann-Nachfolge für Christian Kern und gegen ihn aus. Einen Tag nach dem Steiermark-Wahl legt das „einfache Parteimitglied“ Gerhard Zeiler (64) „leidenschaftlich rot“ vor: „ein subjektives Buch“, das er nicht als „Abrechnung“ verstanden wissen will.
Wie die SPÖ genesen kann, ob Andreas Khol die Wettschulden bei ihm begleichen wird und was Sumoringer mit den Casinos Austria zu tun haben, das erzählte er im KURIER-Interview.
Interview Gerhard Zeiler
KURIER: Sie wollen Ihr Buch „Leidenschaftlich Rot“ dezidiert nicht als Bewerbung für die SPÖ-Spitze verstanden wissen. Was ist es dann?
Gerhard Zeiler: Es ist kein Bewerbungsschreiben und schon gar keine Abrechnung. Es ist aus dem Wunsch geprägt, eine inhaltliche Definition der Sozialdemokratie zu geben, wie ich glaube, dass es sie die nächsten fünf bis zehn Jahre benötigt: Eine breite Aufstellung. Es ist aus meiner beruflichen Tätigkeit in Amerika, in Lateinamerika, in Asien und Europa meine felsenfeste Überzeugung, dass wir ein Mehr an sozialdemokratischen Ideen, Werten und Politik benötigen. Das ist der Kontext, warum ich dieses Buch geschrieben habe.
Zeitgleich zu Ihrer Buchpräsentation ist Michael Schickhofer in der Steiermark zurückgetreten, in Deutschland sagt Juso-Chef Kevin Kühnert: „An Nikolaus ist GroKO-Aus“. Woran krankt die Sozialdemokratie in Europa?
Ich glaube es gibt eine Diagnose in mehreren Teilen. Erstens: Nicht genug Menschen wissen, wofür heute die Sozialdemokratie steht oder nicht steht. Das war zu Zeiten Bruno Kreiskys, Franz Vranitzkys aber auch zu Zeiten Gerhard Schröders, Willy Brandts und Helmut Schmidts anders. Da hat man das genau gewusst. Zweitens glaube ich nicht, dass ein „Zurück zur reinen Lehre“ – also das Beschränken nur auf die Interessen und Bedürfnisse der Stammwählerschaft – die richtige, inhaltliche Profilierung ist.
Was ist richtig?
Schauen Sie doch zurück: Unter den genannten Personen waren die sozialdemokratischen Parteien Volksparteien. Linke, progressive Volksparteien, denen es gelungen ist, eine Koalition zu schmieden, aus Arbeitnehmern und Intellektuellen. Aus Studenten und Lehrlingen, städtischer und ländlicher Bevölkerung. Deshalb glaube ich, dass die heutige Positionierung der SPÖ vielfach zu eng ist. Um nicht missverstanden zu werden: Das zentrale Thema jeder sozialdemokratischen Partei muss immer die Frage der sozialen Gerechtigkeit, des sozialen Ausgleichs sein.
Ihre Definition einer breiten Sozialdemokratie klingt mehr nach Volkspartei?
Nein. Ich glaube nicht, dass das die Volkspartei so definiert. Ich definiere es so: Ein deutliches Mehr an sozialer Gerechtigkeit, ein Mindestlohn von 10 Euro pro Stunde, ein soziales Wohnbauprogramm, Beihilfe für Alleinerziehende und im Klimawandel für mehr Nachhaltigkeit an vorderster Front zu stehen. Ich habe es für einen Fehler gehalten, dass die SPÖ dieses Feld, dass das Thema für die Jugend ist, ausschließlich den Grünen überlassen hat. Mein Hausverstand sagt mir, dass wir diejenigen Brennstoffe, die mehr CO2 ausstoßen verteuern und die kein oder wenig Co2 ausstoßen verbilligen müssen. Das ist die Beschreibung einer CO2-Abgabe, die natürlich mit sozialem Ausgleich umgesetzt werden sollte. Dass die Sozialdemokratie da nicht aufgesprungen ist, das verstehe ich aus inhaltlichen und taktischen Gründen nicht.
Klimawandel und soziale Gerechtigkeit sollten jeder demokratischen Partei gemein sein. Gibt es ein Thema, mit dem sich die SPÖ besonders profilieren könnte?
Die SPÖ muss aus meiner Sicht die gesamte Breite abbilden. Bei sozialer Gerechtigkeit hat die SPÖ de facto ein Alleinstellungsmerkmal. Im Kampf um Nachhaltigkeit und Klimaschutz gibt es derzeit nur die Grünen. Hier muss die SPÖ an vorderster Front stehen. Da ist die ÖVP weit weg und von den Freiheitlichen und Neos gar nicht zu reden. Wir brauchen eine sozialdemokratische Antwort auf die Migration.
Was ist ihre Antwort auf die Frage der Migration?
Nicht die Aushöhlung des Asylrechtes, sondern ganz klar Regeln schaffen für das Zusammenleben, de facto einen Vertrag schließen mit jedem, der zu uns kommt Auf der einen Seite stehen Rechte wie „Wir tun das Bestmögliche für Dich, damit Du eine Ausbildung, eine Job und eine leistbare Wohnung bekommst.“ Auf der anderen Seite hast Du Pflichten: Die Pflicht, Deutsch zu lernen und unsere europäischen Werte – die Gleichstellung von Mann und Frau, die Trennung von Kirche und Staat, österreichische Gesetze und nicht die Scharia, Meinungsfreiheit, Menschenrechte – das alles musst Du akzeptieren. Das ist der Vertrag, ich glaube, dass das eine Antwort ist, die man geben kann und geben soll. Da darf sich die Sozialdemokratie nicht herumschwindeln.
Ein großes Thema in ihrem Buch ist die Bildung.
Wir werden die Herausforderungen des technologischen Wandels, der Digitalisierung nur dann schaffen, wenn wir massiv in Bildung investieren. Die SPÖ war immer die Partei der Bildungsreform und sie sollte es wieder sein. Da geht es um die Schule der 10- bis 14-Jährigen, die kommen wird, weil man schon heute im Westen Österreichs sieht, dass die Landeshauptleute der Övp ganz anders zu diesem Thema stehen als in Niederösterreich oder Wien. Es geht um ein zweites, verpflichtendes Kindergartenjahr, eine flächendeckende Ganztagesschule, die fast in ganz Europa Regelschule ist. Das hilft dem Bildungsstandard, den Familien, den Frauen wieder nach der Geburt der Kinder in den Beruf zurückzufinden und es hilft der Wirtschaft, denn es ist ein massives Investitionsprogramm. Die SPÖ muss ein positives „Ja!“ zur Wirtschaft sagen. Wirtschaftsfreundlichkeit, die richtigen Rahmenbedingungen zu setzen, heißt nicht automatisch, arbeitnehmerfeindlich zu sein, im Gegenteil. Hinzu kommt: Ein klares Bekenntnis zu Europa.
Sie schreiben viel von Optimismus in Ihrem Buch. Was nährt Ihren Optimismus nach einem Wahltag wie gestern?
Ganz einfach: Weil die Krise immer auch die beste Gelegenheit ist. Das Schlimmste ist ein Wahlergebnis, bei dem man sagen kann: „Wir sind zwar nicht zufrieden, aber wir können damit leben.“ Jede Krise ist die beste Gelegenheit, es besser zu machen. Es ist keine Frage, dass die SPÖ einen Neuanfang benötigt, und zwar in inhaltlicher und in personeller Hinsicht. In personeller Hinsicht ist es passiert vor einem Jahr mit der Wahl von Pamela Rendi-Wagner zur Parteivorsitzenden. Man sollte ihr jetzt die Zeit geben, damit sie die breite, inhaltliche Diskussion führt und sich ein Team schaffen kann von jungen Mitarbeitern und mehr Frauen, die die SPÖ in die Zukunft führen.
Bei Werner Faymann stellten Sie den Vergleich mit dem Fußball-Trainer an. Nach einer gewissen Anzahl an Niederlagen stellt sich die Trainer-Frage. Nach wie viel Wahlniederlagen stellt sich die Trainer-Frage bei Rendi-Wagner?
Es geht jetzt um inhaltliche Arbeit. Bruno Kreisky hatte – nachdem er Parteivorsitzender wurde und nach einer schrecklichen Wahlniederlage 1966 – etwa drei Jahre Zeit für einen inhaltlichen und personellen Neuanfang zu sorgen. Man sollte der Parteivorsitzenden Zeit geben. Es hat keinen Sinn, von einer Personaldiskussion zur nächsten zu schreiten. Die Partei hat Rendi-Wagner zur Parteivorsitzenden gewählt und sie hat die Loyalität der Partei verdient. Meine Loyalität als einfaches Parteimitglied hat sie.
Die SPÖ muss also weiblicher und jünger werden. Muss sie auch mehr Migranten als Wähler ansprechen, nachdem beispielsweise die klassische Arbeiterschicht wie unter Kreisky nicht mehr existiert?
Sofern sie österreichische Staatsbürger sind und wählen können: Ja. Da meistens Flüchtlinge und Migranten zu den schwächeren Schichten gehören ist es naturgemäß auch Aufgabe der SPÖ, diese anzusprechen. Die SPÖ soll sich um jede Wählerschicht bemühen.
Die Casinos Austria sind derzeit Gesprächsthema Nummer eins. Sie verstehen nicht, warum der Staat Anteile an den Casinos hält, wie Sie schreiben.
Das habe ich geschrieben, bevor alles bekannt geworden ist. Christian Kern hat einmal gesagt: „Der Staat soll kein schlankes Rehlein sein.“ Und ich gebe ihm insofern recht, als ich für einen schlanken, aber starken Staat bin. Er soll kein schlankes Rehlein sein, er soll aber auch nicht ausschauen wie ein Sumoringer. Ich bin mir nicht sicher, wenn ich mir den heutigen Staat anschaue, ob er in die eine oder andere Richtung ausschaut. Was die Effizienz der staatlichen Institutionen und Organisationen betrifft, so gibt es noch deutliches Potenzial, um es vorsichtig zu formulieren. Grundsätzlich ist der Staat nicht der beste Unternehmer. Aber natürlich darf er dort, wo es darum geht, Netze zur Verfügung zu stellen - ob das die Schienen-, Energie- oder Telekommunikationsnetze sind – das Feld nicht den Privaten überlassen. Ansonsten gibt es keinen Grund, warum der Staat die Münze Österreich, die Casinos besitzen muss; und selbst bei der Telekom Austria bin ich mir nicht zu 100 Prozent sicher. Das war einmal historisch wichtig, auch um die Konsumentensicherheit und –versorgung sicherzustellen.
Apropos Christian Kern. Hätten Sie gewusst, aus welchem „Persönlichkeitsholz er geschnitzt ist“, hätten sie sich womöglich anders – nämlich für den Vorsitz entschieden. Wie definieren Sie das Persönlichkeitsholz?
Ich habe das im Buch sehr deutlich geschrieben, ich muss das jetzt nicht wiederholen. Tatsache ist, dass damals die Wahl zwischen Christian Kern und mir war und die Mehrheit der Landesparteivorsitzenden, nicht der Wiener Vorsitzende, sich für Christian Kern ausgesprochen haben. Dass das nicht gut ausgegangen ist, das wissen wir. Dabei möchte ich es belassen.
Der Landesvorsitzende des Burgenlands, Hans Peter Doskozil, könnte mit Hilfe der FPÖ Bundeskanzler werden, schreiben Sie. Halten Sie daran eingedenk seiner Stimmband-Erkrankung fest?
Ich wünsche dem Landeshauptmann des Burgenlandes alles Gute. Die Stimmbanderkrankung verhindert nichts, was seine politische Karriere betrifft. Viele Kapitel des Buches wurden im Sommer geschrieben, deshalb ist diese Passage nicht mehr aktuell. Heute geht es sich weder arithmetisch noch von der politischen Ausrichtung aus und ist an eine politische Koalition zwischen SPÖ und FPÖ zu denken. Gott sei Dank.
Sie verbringen einen Großteil des Jahres im Ausland. Hat dieses Jahr und vor allem die Ibiza-Affäre das Image Österreichs ramponiert?
Das Image Österreichs war wirklich ramponiert zu Zeiten der kleinen Koalition von Wolfgang Schüssel mit der FPÖ. Als Sebastian Kurz Kanzler wurde, hieß es: „Wie kann ein 31-Jähriger Bundeskanzler sein? Wer ist dieser Wunderknabe?“. Erst mit BVT und Liederbuch-Affäre kam die Frage auf: „Was ist das für eine Partei, mit der Kurz koaliert?“ Es muss ihm selbst bewusst geworden sein, dass es auch seiner persönlichen Reputation im Ausland schadet, wenn er diese Koalition fortsetzt. Seine Entscheidung, nach der Ibiza-Affäre einen Schlussstrich zu ziehen, war wohl auch dadurch geprägt. Aber man hätte früher wissen koennen, auf wen man sich da eingelassen hat.
Andreas Khol und Sie haben bei Schwarz-Blau eins gewettet. Khol, dass die Koalition nicht zustande kommt. Er hat die Wettschulden nie eingelöst, wie Sie schreiben. Wird er das jetzt tun?
Das weiß ich nicht.
Werden Sie diese Woche Gelegenheit haben, mit Pamela Rendi-Wagner zu sprechen?
Das Buch war nicht als eine Ansprache an sie gedacht, sondern als subjektiver Diskussionsbeitrag von meiner Seite. Ganz bewusst in einer Woche, nach einem Wahlkampf, weil ich diesen nicht stören wollte.
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