Gegenwind für Ursula von der Leyen auf ihrer Werbetour

Will sie Chefin der Kommission werden, braucht die deutsche Politikerin das Parlament. In Brüssel wirbt sie um jede Stimme.

Er war ihr nicht anzumerken – jener unsichtbare Rucksack, den Ursula von der Leyen gestern den ganzen Tag lang durch das Europäische Parlament mitschleppte. Die designierte Präsidentin der EU-Kommission ist auf Werbetour, bei ihr teils sehr skeptisch gegenüberstehenden EU-Abgeordneten.

Deren Mehrheit braucht sie, um kommende Woche zur Chefin der Kommission gekürt werden zu können.

Die umstrittene Art und Weise, wie die EU-Regierungschefs die 60-jährige deutsche Verteidigungsministerin überraschend zur Kommissionschefin nominiert hatten, verstellte bisher die Frage: Hat Ursula von der Leyen überhaupt das Zeug, die Nachfolge von Jean-Claude Juncker anzutreten? Kann sie Europa?

„Sie muss nachliefern“

Gegenwind für Ursula von der Leyen auf ihrer Werbetour

EU-Parlamentspräsident Sassoli und die designierte Kommissionschefin von der Leyen

Darüber wollten sich die sozialdemokratische, die liberale und die grüne Fraktion im Parament in Brüssel ein Bild machen. Doch zum Siegeszug geriet von der Leyens Werben gestern nicht.

Unbestritten kompetent, hoch energetisch und mit gewinnender Art vermochte die künftige Kommissionschefin während ihrer Anhörungen dennoch nicht zu überzeugen, schildert NEOS-Abgeordnete Claudia Gamon dem KURIER: „Auf alle Fragen, die uns Liberalen wichtig sind – Rechtsstaatlichkeit, klares Bekenntnis zum Klimaschutz, ein Reformprozess zur transparenten Ernennung von Kommissionspräsidenten – auf alle diese Fragen hat sie sehr unverbindlich geantwortet. Sie ist weit wie ein Ozean ausgewichen.“ Wolle von der Leyen auf die Stimmen der Liberalen zählen, „muss sie bis nächste Woche nachliefern“, sagt Gamon.

Ähnlich reagierten die europäischen Sozialdemokraten. Ihre 154 Abgeordneten kauen noch immer schwer daran, wie ihr Spitzenkandidat Frans Timmermans aus dem Rennen um die EU-Top-Jobs geschossen wurde. Die deutsche SPD ebenso wie die SPÖ legen sich offen quer – sie wollen gegen von der Leyen stimmen.

Entscheidend aber sind die viel stimmenstärkeren spanischen und italienischen Sozialdemokraten. Und diese forderten ebenso wie die Liberalen Nachbesserungen von Ursula von der Leyen.

Äußerlich war der für ihre unerschütterliche Selbstbeherrschung bekannten Ministerin kaum Müdigkeit anzumerken. Termin folgte auf Termin, Anhörungen auf Gespräche und pausenlose Überzeugungsarbeit: Für gemeinsame Asylregeln für Europa wolle sie sich stark machen, versprach sie, ebenso wie für Europas Klimaneutralität im Jahr 2050. Die Schengenzone solle erweitert werden und die Rechtsstaatlichkeit gestärkt.

Vor der Fraktion der Grünen im EU-Parlament sagte Von der Leyen, die selbst nicht als Spitzenkandidatin zur EU-Wahl angetreten ist, sie wolle sich für das System der Spitzenkandidaten weiter einsetzen. Es sei „schmerzlich“, dass sich dieses Verfahren so entwickelt habe.

Mehr Kommissarinnen

Und eine leicht zu erfüllenden Aufgabe stellte sie sich schließlich auch noch: Die Geschlechtergerechtigkeit will die künftige Chefin der Kommission gestärkt wissen. Daher ihr Wunsch an die Regierungen, also auch an die Übergangsregierung in Wien: Je ein Mann und eine Frau sollen als künftige/r Kommissar/in vorgeschlagen werden – die Auswahl würde sie dann selbst treffen.

Bei Europas Grünen kam von der Leyen dennoch keinen Meter voran. „Es würde an ein Wunder grenzen, wenn die Grüne Fraktion Frau von der Leyen wählen würde“, bestätigte Monika Vana, Delegationsleiterin der österreichischen Grünen. Die Anhörung mit ihr sei eine "einzige Enttäuschung gewesen", sagte Vana. "Ein Gespräch ohne Visionen, sie war an Zurückhaltung kaum zu überbieten, inhaltlich hat sie uns Grünen nichts geboten", zeigte sich Vana enttäuscht. Im Vergleich dazu sei das Gespräch mit Jean-Claude Juncker vor fünf Jahren ein "sprühendes Feuerwerk der Ideen gewesen."

Mehrheit gesucht

Und so wird für die um eine Parlamentsmehrheit kämpfende Ursula von der Leyen die Zeit knapp. Bis zur Abstimmung am Mittwoch muss sie 376 (von insgesamt 751) Abgeordnete überzeugen und hinter sich bringen.

Die Christdemokratin hat die sichere Unterstützung der Europäischen Volkspartei, von Teilen der Sozialdemokraten, der Liberalen und sogar der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR), der die polnische PiS angehört. Auch die 29 italienischen Abgeordneten von Matteo Salvinis Lega und die Fünf-Sterne wollen für von der Leyen votieren. Eine Mehrheit für die erste Frau an der Spitze der Kommission dürfte sich also ausgehen.

Und was, wenn nicht? Kommt es dann zur großen institutionellen Krise in der EU, wie Experten befürchten? „Das sehe ich nicht kommen“, wehrt NEOS-Abgeordnete Gamon dieses Szenario ab. „Dann muss der Europäische Rat eben einen anderen Vorschlag vorlegen. Und alles dauert eben ein bisschen länger.“

ZUR PERSON Ursula von der Leyen

Die heute 60-Jährige kam in Brüssel zur Welt und lebte bis zu ihrem 13. Lebenjahr in der belgischen Hauptstadt. Als Tochter des niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht war  ihr Leben schon früh von der Politik bestimmt.  Von 1977 bis 1980 studierte sie an der renommierten London School of Economics, aus Furcht vor dem Terror der RAF
allerdings unter dem Pseudonym „Rose Ladson“. Ihr Medizinstudium schloss sie 1987 ab, sie bekam sieben Kinder und lebte einige Jahre in Kalifornien. Leyen, die als extrem disziplinierte und harte Arbeiterin gilt, kam erst spät, mit 42 Jahren, in die Politik.

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