Gegen Verschwörungstheorien: So rüsten sich Politiker für den Sommer
Wenn die Bürgermeister und Gemeinderäte im Juni wieder dort unterwegs sind, wo sie in den vergangenen Monaten nicht politisieren durften – nämlich in Wirtshäusern und Gastgärten – dann werden sie dort vermehrt auf eine Wählergruppe treffen, die es vor der Pandemie so nicht gegeben hat, nämlich: Wähler, die zumindest sanft zu Verschwörungstheorien neigen.
„Die Pandemie hat die Entwicklung befeuert. Die allgemeine Unsicherheit hat den Nährboden für Verschwörungstheorien aufbereitet“, sagt Bettina Rausch, Präsidentin der Politischen Akademie, kurz PolAk.
Die PolAk ist die Bildungsakademie der Kanzlerpartei. Und sie hat nun einen Online-Kurs entwickelt, um die politischen Funktionäre für Gespräche mit Menschen zu rüsten, die zumindest ein wenig daran glauben, dass Bill Gates mithilfe von Pandemie und Schutzimpfung demnächst die Weltherrschaft an sich reißen will.
"Grundlage einer Demokratie"
Das Warum erklärt Rausch so: „Im Gespräch zu bleiben ist die Grundlage einer Demokratie.“ Die Krise und vor allem die soziale Isolation hätten aber dazu geführt, dass die Stimmung aufgeheizt und polarisiert wurde. „Und in dieser Situation wollen wir Politikern bei der Frage helfen ,Wie gehe ich’s an, wie komme ich wieder ins Gespräch?‘“
Der Online-Kurs wird von Experten wie Michael Butter (Universität Tübingen), Andre Wolf (Verein Mimikama) und Ingrid Brodnig (Autorin, Schwerpunkt Hass im Netz) getragen. Das Interesse ist groß: Innerhalb von drei Wochen haben mehr als 1.000 Personen Teile des Kurses absolviert.
Impfdebatte
Für PolAk-Chefin Rausch gibt es ein konkretes Thema, das im Sommer auf Politik und Gesellschaft zukommt. Und das bleibt die Impfung. „Nach der Frage ,Wann bin ich endlich dran?‘ wird es im Sommer eine Motivationsdebatte geben.“ Und zwar dergestalt, dass sich Ungeimpfte skeptisch fragen: „Wenn eh’ schon so viele Bekannte und Freunde geimpft sind, muss ich mich dann wirklich noch impfen lassen?“
Diese Frage werde zu einem nicht unwesentlichen Teil in persönlichen Gesprächen und an den Stammtischen beantwortet. „Und insofern ist es dringend geboten, darauf zu reagieren.“
Mit dem Kampf gegen diverse Verschwörungstheorien entspricht die ÖVP dem, was Rausch das Selbstverständnis einer „faktenbasierten und auf die Wissenschaft vertrauenden Partei“ nennt.
Doch das ist nicht alles: Im Falle der Kanzler-Partei sind belastbare Argumente gegen Verschwörungstheorien – auch – eine Versicherung gegen allfällige Wählerwanderungen zur FPÖ. Denn nur wenn ÖVP-Funktionäre schlüssig erklären können, warum der Masken-skeptische und Impf-kritische Kickl-Kurs der Freiheitlichen der falsche ist, werden diese Wählergruppen auch weiterhin bei der Volkspartei bleiben.
Dass Verschwörungstheorien in der Corona-Krise nicht nur viel häufiger geteilt werden, sondern in ihrer Ausprägung auch zunehmend extremer und irrationaler ausfallen, diese Einschätzung teilen auch professionelle Beobachter wie Ulrike Schiesser von der Bundesstelle für Sektenfragen.
Aus der Mitte
Erst am Montag trat Schiesser gemeinsam mit Innenminister Karl Nehammer und Kanzleramtsministerin Susanne Raab auf, um vor irritierenden Entwicklungen zu warnen. Als „besonders gefährlich“ bezeichnete Raab, dass „abstruse Theorien“ zu Impfungen, Masken und Testungen zuletzt immer häufiger mit „einem antisemitischen Kern“ verbunden würden.
Eine Aufklärungskampagne in sozialen Medien sowie Sicherheitsstammtischen mit Bürgern und eine Broschüre für allen Polizeidienststellen sollen zumindest ein wenig Abhilfe schaffen.
Vor allem aber räumt Schiesser mit dem Vorurteil auf, dass es vornehmlich Außenseiter seien, die auf Verschwörungstheorien einsteigen. „Menschen, die an Mythen glauben, sind aus der Mitte der Gesellschaft.“
Zu eben diesen zählen deklariert Rechtsextreme jedenfalls nicht. Diese Gruppe, so warnt der Innenminister, sieht in den Verschwörungstheorien und den Corona-Demos „eine Jahrhundertchance“: Alte und neue Rechtsextreme würden sich der vorhandenen Ängste bemächtigen, die Demos kapern – und so „die Grundsäulen der Demokratie angreifen“.
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