Fünf Thesen, wie es mit der SPÖ so weit kommen konnte
Sicher hat sie schon schlimmere Wochen gesehen, die SPÖ. Immerhin ist die Partei bald 130 Jahre alt.
Sehr viele sehr viel schlimmere Wochen können es in der jüngeren Zeitgeschichte aber kaum gewesen sein. Denn was in den vergangenen Tagen in, mit und um die Bundes-SPÖ passiert ist, bleibt ohne Vergleich:
Da ist der Umstand, dass die Bundespartei finanziell de facto am Ende ist.
Da ist die Tatsache, dass man zum ersten Mal in der Geschichte rund ein Viertel der Parteimitarbeiter zur Kündigung anmelden musste.
Und als wäre all das nicht beklagenswert genug, setzten Mitte der Woche einzelne Landesparteichefs zu einem Aufstand gegen Pamela Rendi-Wagner an, der nicht etwa deshalb misslungen ist, weil Wien, Klagenfurt und Eisenstadt so überzeugt von den Führungsqualitäten der strauchelnden Bundesparteichefin wären, sondern nur, weil man es – noch – für wahltaktisch günstiger hält, sie zu halten.
Wie konnte es nur soweit kommen? Wie konnte die älteste Partei des Landes in eine Situation schlittern, in der sie Meinungsforscher schon hart an der 20 Prozent-Marke sehen? Der KURIER begab sich auf Ursachenforschung – und fand folgende Gründe.
1. Die SPÖ ist strukturell falsch aufgestellt
„Teile der Partei sind zu strukturkonservativ“, befundete zuletzt der frühere Sprecher von SPÖ-Kanzlern und Medienmanager Gerhard Zeiler – und er ist mit dieser Ansicht nicht nur nicht allein, sondern vermutlich zu milde. Die SPÖ ist die strukturkonservativste Partei im Land. Organisation und Funktionsweise orientieren sich an den 1980er Jahren, man denkt in Bezirken und Sektionen.
Das Zauberwort für den Erfolg heißt: Kampagnenfähigkeit. Die SPÖ ist fürs Kampagnisieren nicht gut aufgestellt. Insofern ist ihre Finanzkrise möglicherweise eine Chance. Denn nun muss sich die Partei viel intensiver mit der Frage auseinandersetzen, wie man im digitalen Zeitalter Sympathisanten erreicht – und Wahlen gewinnt.
2. Die SPÖ ist zu pragmatisch geworden
Bedingt durch eine jahrzehntelange Regierungsbeteiligung hat die Sozialdemokratie in Österreich wie im Rest Europas die Fähigkeit verloren, mutige, ja vielleicht sogar kompromisslose Visionen zu formulieren.
Der deutsche Politikwissenschafter Felix Butzlaff ortet Parallelen zwischen SPD und der SPÖ. Er beschreibt das Problem so: „Konzepte müssen ausgefeilt und ,umsetzbar’ sein, bevor man sich traut, öffentlich über sie zu sprechen.“ Wer es wage, zu sehr über Ideen zu reden, der müsse wie der deutsche Juso-Chef Kevin Kühnert damit rechnen, „dass ihm von der eigenen Partei sogleich Unernsthaftigkeit und Parteischädigung vorgeworfen wird. Utopien hätte man schon gerne – aber bitte gegenfinanziert“.
3. Die SPÖ hat den Avantgarde- und Fortschrittsbegriff aufgegeben
Die Sozialdemokratie ist in ihrem Kern fortschrittsbejahend. Ideologisch eint ihre Mitglieder der feste Glaube, dass die Welt – und damit die Lebenssituation jedes Einzelnen – besser werden kann und muss. Diese vitale Funktion, also ein Sammelbecken für all jene zu sein, die über eine bessere Welt nachdenken wollen, hat die Partei längst anderen Bewegungen und Parteien überlassen.
4. Wichtige Teile der Partei werden von alten Clan-Fehden behindert
Seit Jahrzehnten lähmt ein Machtkampf zwischen zwei rivalisierenden „Clans“ die Wiener Landespartei – und damit den Bund. Zu diesem Schluss kommt auch eine in höchsten Wiener Parteikreisen zirkulierende Analyse (der KURIER berichtete).
Im Wesentlichen geht es bei dem Konflikt um die Konkurrenz zwischen dem Häupl-Lager und der Liesinger Gruppe um Werner Faymann. An zentraler Position der Liesinger agieren bis heute Doris Bures und Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch. Ihnen wurde intern von Kritikern vorgehalten, sie hätten die nötigen Kündigungen in der Löwelstraße vor allem nach „Clan-Zugehörigkeit“ entschieden. Allein dass dies so diskutiert wird, zeigt: Der Konflikt ist ungelöst – und zerstört die Partei.
5. Die SPÖ ermöglicht Mitarbeit – nimmt diese aber nicht ernst
Die Vertrauenskrise der SPÖ besteht – auch – darin, dass Wähler zunehmend nicht darauf vertrauen, dass die Partei ihre Wünsche konsequent ernst nimmt. Die Mitgliedschaft in der SPÖ bietet Mitgliedern kaum politische Vorteile.
Wesentliche Entscheidungen wie Parteivorsitz oder Regierungsbeteiligung werden von den „Gremien“ entschieden. Direkt demokratische Instrumente wie die Bürger-Befragung in Wien werden mit „No-Na“-Fragen ad absurdum geführt – und verfestigen den Eindruck, dass letztlich eine verschworene Gruppe an der Spitze entscheidet, was sie für richtig hält – unabhängig davon, was das Gros der Genossen will.
Kommentare