FPÖ-Warnung vor "Schächtungstourismus" sorgt für Verwunderung
Die Debatte um schärfere Regeln fürs Schächten wurde am Dienstag plötzlich um eine Facette reicher. Die FPÖ ortete im Gespräch mit dem KURIER und anderen Medien einen richtiggehenden "Schächtungstourismus vor allem aus den Niederlanden. Von dort, wo die rituelle Schlachtung ohne vorherige Betäubung verboten ist, würden Lebendtiere nach Niederösterreich transportiert, um hier geschächtet zu werden. Das wolle man stoppen, um "nicht das Schächtzentrum Europas" zu werden, wie aus dem Büro von Vizekanzler Heinz-Christian Strache zu erfahren war. Und das sei genau jener Misstand, den der niederösterreichische Tierschutzlandesrat Gottfried Waldhäusl (FPÖ) mit seinem vieldiskutierten Vorstoß gemeint habe, wie der jüdische FPÖ-Abgeordnete David Lasar am Mittwoch bekräftigte.
Glaubensgemeinschaften: Keine weiten Transportwege
Die mit der Thematik befassten Stellen reagieren auf die Frage nach einem " im großen Stil nur mit Kopfschütteln. In der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) kann man die Darstellung über weite Tiertransporte in keiner Weise nachvollziehen. Wenn ein Tier koscher sein soll, seien lange Transporte ausgeschlossen, heißt es zum KURIER. In Österreich geschlachtete, koschere Tiere würden außerdem fast ausschließlich in Österreich gehalten.
Aber auch für jene Betriebe, die eine Schächtung nach muslimischen Halal-Vorschriften betreiben, werden solche Geschäftsbeziehungen klar in Abrede gestellt. Dem Halal-Beauftragten bei der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGÖ), Enis Buzar, ist "in keinster Weise bekannt", dass Lebendtiere aus den Niederlanden für die Schächtung nach Österreich gebracht würden. Man achte allgemein darauf, "die Transportwege so gering wie möglich zu halten".
Tiere hauptsächlich aus Österreich
Bei der zweiten österreichischen Halal-Zertifizierungsstelle, der in Linz ansässigen Islamic Information Documentation and Certification GmBH (IIDC), spricht man gar von "Blödsinn". Dass Tiere aus den Niederlanden zur Schächtung in einen der zehn IIDC-zertifizierten Betriebe in Österreich gebracht werden, kann sich IIDC-Chef Günter Ahmed Rusznak "überhaupt nicht vorstellen", so etwas höre er zum ersten Mal. Es gingen zwar neunzig Prozent des dort produzierten Halal-Fleischs in den Export, die Tiere würden aber hauptsächlich aus Österreich stammen. Zahlen könne er keine nennen, weil die betroffenen Schlachtbetriebe der IIDC gegenüber nicht meldepflichtig seien.
Fleischer-Innung: "An den Haaren herbeigezogen"
Bei der Wirtschaftskammer sieht man das Argument der FPÖ "an den Haaren herbeigezogen". Dem Bundesinnungsmeister der Fleischer, Rudolf Menzl ist "nicht bekannt, dass man Tiere so weit transportieren würde". Ein Transportweg von mehr als tausend Kilometern wäre für Lebendtiere viel zu weit, sagt Menzl, allein der Kostenfaktor spreche dagegen. Länder wie Frankreich, in denen Halal-Schlachtung viel weiter verbreitet ist, seien für die Niederlande wesentlich naheliegender. Höchstens aus den benachbarten Ländern Tschechien, Ungarn oder der Slowakei würden Lebendtiere zu diesem Zweck nach Österreich geliefert.
Schächtverbot in den Niederlanden
In den Niederlanden wurde das Schächten ohne vorherige Betäubung im Jahr 2011 per Parlamentsbeschluss verboten. Für das Schlachten nach jüdischem oder muslimischen Ritus gibt es seitdem lediglich die Möglichkeit von streng limitierten Ausnahmegenehmigungen aus religiösen Gründen.
Beim Schächten werden Tiere wie Hühner, Schafe oder Rinder durch ein besonders scharfes Messer mit einem einzigen Halsschnitt getötet, der die großen Blutgefäße sowie Luft- und Speiseröhre durchtrennt. Man lässt sie dann ausbluten, da der Verzehr von Blut im Judentum und im Islam untersagt ist.
In Österreich sorgt das Thema für Aufregung, seit bekannt wurde, dass FPÖ-Landesrat per Informationsschreiben eine Erfassung von Kunden ankündigte, die regelmäßig koscheres oder „halal“ produziertes Fleisch beziehen. In der IKG fürchtete man die Erstellung von Listen über streng religiöse Juden und war alarmiert.
Von ÖVP-Minister Gernot Blümel und Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) hieß es daraufhin: Keinesfalls würden Juden registriert werden. Auch seien die bestehenden Tierschutzgesetze zum Schächten ausreichend.
Waldhäusl kritisierte Import von Niederösterreich nach Wien
Von der FPÖ heißt es nun, man könne auch ohne persönliche Erfassung klären, wie viel Fleisch man für die Community hierzulande brauche. Die Linie sei: "Schächten ja, aber nur für die in Österreich ansässigen Glaubensgemeinschaften und nur für die Leute der in Österreich ansässigen Glaubensgemeinschaften", war aus dem Strache-Büro zu erfahren.
Ursprünglich hatte FPÖ-Politiker Waldhäusl den Export zwischen Wien und Niederösterreich als Problem bezeichnet. Man wolle "prüfen, ob der Bedarf des Fleisches an den Wohnsitz gekoppelt werden kann", sagte Waldhäusl Mitte Juli in einem ersten Statement gegenüber der Wiener Zeitung. Es sei "nicht einzusehen, warum Wiener nach Niederösterreich fahren und hier Tausende Tiere schächten lassen". In Wien, wo die meisten Mitglieder der islamischen und jüdischen Communitys leben, gibt es allerdings derzeit keinen einzigen Schlachtbetrieb, der Schächtungen durchführen darf.
Betroffen von den strengeren Regelungen wären jedenfalls hauptsächlich Juden, nicht Muslime. Zwar gibt es in beiden Religionen Schächtungen. Im Islam kann für Halal-Fleisch die Betäubung aber vor der Schlachtung stattfinden. Auch für den Zertifizierer IIDC reicht diese Methode aus. Es muss lediglich ein Muslim anwesend sein, der eine islamische Gebetsformel spricht.
Die IGGÖ legt die Halal-Vorschriften strenger aus und sieht sich dabei nach Eigendarstellung im Einklang mit der überwiegenden Mehrheit im Islam. Ähnlich wie nach orthodoxer jüdischer Auslegung muss der Schnitt zuerst gemacht werden, sehr kurz danach wird das Schlachttier betäubt („Post-cut-stunning“). Die sechs österreichischen Betriebe laut IGGÖ-Zertifikat machen daher derzeit Gebrauch von den Ausnahmeregelungen zum Tierschutzgesetz.
Peter Temel, Lukas Kapeller
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