Flüchtlingsstreit um "Wendehälse" und "Umfaller"
Sieben Tage war es ein blamabler Frontenkrieg zwischen ÖVP-Innenminister Wolfgang Sobotka und SPÖ-Bundeskanzler Christian Kern, der von seinem Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil dabei kräftig unterstützt wurde. Ausgerechnet der schwarze Hardliner Sobotka gab sich einmal als Humanist und löste mit der Zusage der Aufnahme von 50 minderjährigen Flüchtlingen in Österreich ein tagelanges Hick-Hack aus.
Kritik kommt vor allem von Wiens (nicht mehr ganz so) mächtigem Bürgermeister. Gegenüber dem Standard meinte Michael Häupl salopp: "Wir haben uns an geltende Beschlüsse zu halten. Die 50 nehme ich sofort in Ottakring." Damit stellt sich der Wiener Bürgermeister klar gegen die Linie von Kern und Doskozil, die meinen, dass Österreich die vereinbarte Quote von knapp 2.000 Flüchtlingen durch illegale Übertritte quasi indirekt schon erfüllt habe. Man kann sich nicht "sang- und klanglos" von EU-Beschlüssen verabschieden, kritisiert Häupl.
Doch wie kam es zu dem "Kasperltheater" (O-Ton Rupprechter)? Wie konnte es passieren, dass während am Mittelmeer am Wochenende allein 250 Flüchtlinge ertrinken, die Regierung wegen 50 Flüchtlingskindern bald der höchsten Eskalationsstufe entgegensteuert? Für die Genese muss man neun Tage zurückspulen.
Montag 20. März
Begonnen hat alles beim Treffen der Innenminister zum Thema Migration in Rom. Innenminister Sobotka sagt seinem italienischen Amtskollegen zu, knapp 2000 Asylwerber im Rahmen des EU-Relocationprogramms von Italien nach Österreich holen. Als erster Schritt kommen 50 Minderjährige. "Mir war ein gutes Verhältnis zu Italien wichtig. 2000 Flüchtlinge sind so viele, wie in einem Monat illegal nach Österreich kommen", versucht Sobotka zu relativieren.
Donnerstag, 23. März
Das zählt für Doskozil nicht. Der Verteidigungsminister will keine Asylwerber aus Italien übernehmen. Seine Argumentationslinie: Österreich hatte 2016 36.000 Asylverfahren, Italien rund 120.000. Bei der Bevölkerungszahl betrage das Verhältnis zwischen Österreich und Italien 1:7, bei den Asylverfahren dagegen 1:3. Das ist der Start für das heftige Scharmützel.
Sobotka weist die Doskozil-Aussagen zurück. "Der Beschluss wurde von den Innenministern der EU 2015, also vor meiner Zeit getroffen. Meine Vorgängerin wollte ein Aussetzen der Vereinbarung für Österreich erreichen, aber das kam für die damalige SPÖ-Führung nicht infrage".
Der Innenminister, der bekanntlich ein erklärter Kritiker Kanzlers ist, nützt den Disput, um auch Kern in der Causa anzupatzen. "Kern hat im EU-Rat drei Mal für das Programm gestimmt." Zur Erklärung: Ganz so, wie die ÖVP die Situation darstellt, ist es nicht. Am Ende jedes EU-Rates gibt es eine gemeinsame längere Abschlusserklärung, wo sich die Staatschefs neben vielen anderen Punkten drei Mal zum Relocation-Programm bekannt haben. "Aber eigens eine Abstimmung gab es nicht", heißt es aus dem Bundeskanzleramt.
Freitag, 24. März
Doskozil läuft weiter Sturm gegen die Aufnahme von Flüchtlingen. Er fordert Sobotka auf, eine Ausnahme aus dem EU-Umverteilungsprogramm für Österreich zu verhandeln. Der Innenminister spielt den Ball zurück: Er sei auch "nicht glücklich" damit, die Regierung brauche aber einheitliche Linie in der Frage. Kern meldet sich in der ZiB 2 zu Wort. Der Kanzler fordert mehr Solidarität von osteuropäischen Ländern beim EU-Relocationprogramm und fordert Sanktionen, wenn sich etwa Polen und Ungarn weigern. Grundsätzlich bekennt sich Kern aber zum Programm.
Sonntag, 26. März
ÖVP-Klubchef Reinhold Lopatka attackiert Kern. Der Kanzler "solle den Zick-Zack-Kurs beenden und die SPÖ auf Regierungslinie bringen." Es könne nicht sein, dass er im Land anders argumentiere als auf europäischer Ebene. Nun rückt SPÖ-Klubchef Andreas Schieder aus. Lopatka soll bei der Wahrheit bleiben und wirft ihm "Aussendungen aus der Giftküche" und "Fake News" vor.
Montag 27. März
Die Wogen gehen nun endgültig hoch. Sobotka verkündet vor Beginn des EU-Innenministerrats: Österreich startet die Flüchtlings-Umverteilung. Daraufhin lädt der Heeresminister kurzfristig zu einer Pressekonferenz ein. Doskozil erläutert, warum der Standpunkt der SPÖ auch rechtlich gedeckt ist. Der Beschluss des Rates der EU zur Umverteilung sei im September 2015 unter der Prämisse des Grundsatzes der Solidarität und gerechten Verteilung der Flüchtlinge innerhalb der EU gefasst worden.
Der Blick auf die Statistik zeige aber, dass Italien in den Jahren 2015 und 2016 "weitaus weniger Belastung" stemmen musste als Österreich. Kern legt am Rande einer Diskussion zum 60-jährigen Jubiläum der EU noch ein Schauferl nach: Die ÖVP sei schuld , dass die Verlängerung der Ausnahmeregelung versäumt wurde.
Dienstag 28. März
Showdown beim Ministerrat. Es hagelt Beschimpfungen. Kern will jetzt persönlich in Brüssel erreichen, dass Österreich an der "Relocation"-Flüchtlingsumverteilung der EU vorerst nicht teilnehmen muss. Doch die EU winkte bereits ab.
Kommentare