Flüchtlinge: Psychotherapeuten orten Retraumatisierung

Edirne, Flüchtlinge
Wiener Hilfsverein "Hemayat" betreute 2019 über 1.300 traumatisierte Flüchtlinge und Folteropfer. Retraumatisierung durch Bilder von griechisch-türkischer Grenze

Die Bilder von den Flüchtlingen an der türkisch-griechischen Grenze wirken retraumatisierend für Geflüchtete, die es bereits nach Österreich geschafft haben. Dies berichten Vertreter des Wiener Hilfsvereins "Hemayat", der derzeit rund 1.300 traumatisierte Flüchtlinge und Folteropfer in Österreich psychotherapeutisch betreut, in einer Pressekonferenz am Donnerstag.

Die 43 Psychotherapeuten von "Hemayat" spürten die Auswirkung der Ereignisse an der EU-Außengrenze schon jetzt, "weil wir Angehörige hier haben, die Verwandte in Idlib (Kriegsschauplatz in Syrien, Anm.) oder an der griechisch-türkischen Grenze haben", sagte "Hemayat"-Mitgründerin und Psychotherapeutin Barabara Preitler. Aber auch die Bilder an sich brächten Traumata unter den Geflüchteten wieder hervor, erklärte Preitler. Etwa, wenn ihre Klienten die Nachrichten im Fernsehen verfolgen und daran erinnert werden, als sie selbst versucht hatten, über die Grenze zu kommen.

"Genau auf diese Weise werden Klientinnen und Klienten von morgen gemacht", sagte die Geschäftsführerin des Vereins, Cecilia Heiss. "Menschen, die von traumatischen Erlebnissen geflüchtet sind, erleben schon wieder kriegsähnliche Situationen." Der Arzt Siroos Mirzaei, der auch seit der "Hemayat"-Gründung im Jahr 1995 mit dabei ist, appellierte an die europäischen Politiker, "die Menschenrechte nicht außer Acht zu lassen". Die Politik müsse sich mit den Nicht-Regierungs-Organisationen (NGOs) zusammentun. Es gebe NGOs, die sehr viel Erfahrung hätten und der EU behilflich sein könnten, so Mirzaei.

Neben den 43 Psychotherapeuten arbeiten für "Hemayat" momentan auch zwei Shiatsu-Therapeuten, 38 Dolmetscher und drei Ärzte. Im Jahr 2019 wurden insgesamt 1.309 traumatisierte Flüchtlinge und Folteropfer aus 47 Ländern betreut. Die zentrale Aufgabe des Vereins ist laut Preitler, "Menschen, die so verunsichert wurden wie nur irgendwie möglich, einen Raum zu geben, in dem sie sich sicher fühlen können." Menschen sollen in einer schweren Lebensphase begleitet werden, um "zu lernen sich selbst zu vertrauen und sich zuzutrauen im Land Fuß zu fassen". Einer ihrer früheren Klienten sei nun Facharbeiter in seinem erlernten Beruf, ein anderer Filialleiter. "Es gelingt immer wieder, im Großen wie im Kleinen", bilanziert die Psychotherapeutin.

Die Nachfrage nach der Betreuung habe in den 25 Jahren seit Gründung des Vereins nie gelitten, sagte Geschäftsführerin Heiss. "Die Zahl der traumatisierten Menschen, die Hilfe benötigen, steigt seit Jahren an." Jedoch fehle das nötige Budget, um alle Nachfragenden sofort betreuen zu können. Momentan stehen rund 600 Personen auf der Warteliste. Die Wartezeit kann bis zu drei Jahren dauern. Dringliche Fälle, etwa Suizidgefährdete, werden aber vorgezogen.

Im Schnitt kostet die Betreuung einer Person 1.000 Euro im Jahr. Eine Therapiestunde kommt auf 55, der Dolmetscher auf 29 Euro. Ein Teil der Kosten wird von der Krankenkasse refundiert. Den Rest finanziert der Verein aus Spenden- und Fördergeldern. Über 60 Prozent davon machen private Spenden aus. Dazu kommen zum Beispiel Förderungen vom Innenministerium und der Stadt Wien.

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