Kinderflüchtlinge aus der Ukraine: "Dann geben sie ihre Heimat auf"

Kinderflüchtlinge aus der Ukraine: "Dann geben sie ihre Heimat auf"
Eine Asylunterkunft in Wien-Penzing zeigt, wie wichtig intensive Betreuung bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen ist.

von Fabian Balber

Wumms! Ein Mädchen schlägt die Badezimmertür zu. Es hallt durch die leeren Gänge der Altbauwohnung. Die großen Fenster fluten die Zimmer mit Licht. Auf einem ungemachten Bett sitzt eine Gruppe von Jugendlichen. Als sie die Erwachsenen bemerken, werfen sie ihnen genervte Blicke zu. Und wieder: Wumms!

Eltern von Teenagern mag dieses Verhalten bekannt vorkommen. Doch bei diesen Kindern handelt es sich nicht um gewöhnliche: Sie sind unbegleitete Kinderflüchtlinge aus der Ukraine. Hier, in der Einrichtung des Vereins Tralalobe in Wien-Penzing sind sie gut 700 Kilometer von der nächsten Grenze ihrer Heimat entfernt.

Fremde Jugendjahre

Sich um 15 Teenager im Alter von 14 bis 18 Jahren zu kümmern, ist nicht immer einfach, wie Christoph Fleischer, Leiter der Einrichtung, und seine Stellvertreterin Lara Smech schildern. Gemeinsam mit acht weiteren Betreuern versuchen sie, die Jugendlichen auf ihrem Weg zu begleiten. Neben einer „pädagogischen Erziehung“ gibt es auch regelmäßig psychologische Gespräche mit den Kindern.

Auf einer Bank liegt ein Mädchen. Sie hat Kopfhörer auf den Ohren und schaut auf ihr Handy. Die beiden Betreuer würdigt sie keines Blickes. „Das sind Jugendliche in der Pubertät. Die ist schon schwer genug“, sagt Lara Smech mit einem Augenzwinkern.

Kinderflüchtlinge aus der Ukraine: "Dann geben sie ihre Heimat auf"

Betreuer bei Tralalobe: Fleischer, Diendorfer und Smech.

Dass ihre Situation keine einfache ist, zeigt sich schon bei der Bildung. Die Kinder hatten bis zum Zeitpunkt des Angriffskrieges Russlands eine normale Schullaufbahn. Für viele sei es ein Rückschritt, jetzt mit Deutschkursen von vorne anzufangen, so Christoph Fleischer. Hinzu kommt: „Die Kinder haben das Gefühl, wenn sie sich hier etwas aufbauen, dann geben sie ihre Heimat auf“, erklärt Betreuerin Smech.

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Zu kämpfen haben die Kinder auch mit Frustration und Ängsten – gerade, wenn die russischen Truppen vorrücken. Manche haben ihre Eltern bereits im Krieg verloren, andere wurden von ihnen nach Österreich geschickt, damit sie in Sicherheit sind.

Doch es gebe auch kleine, schöne Momente. „Wenn man gemeinsam beim Essen sitzt und die Ausgelassenheit der Kinder trotz verschiedener Traumata wahrnimmt“, erzählt Smech mit einem Lächeln.

Geld reicht nicht

Kleine Einrichtungen mit gutem Betreuungsschlüssel stehen finanziell stark unter Druck: Der Tagsatz von 95 Euro reicht nicht aus für Unterkunft, Essen, Kleidung, Schulsachen, Freizeitgestaltung und Betreuungspersonal. Vereine wie Tralalobe sind deshalb auf Spenden angewiesen.

In Wien läuft derzeit ein Pilotprojekt zur Erhebung der Realkosten (siehe unten) – das habe die Situation etwas einfacher gemacht, erklärt Geschäftsführer Andreas Diendorfer. Außerhalb Wiens würden die Häuser aber um ihre Existenz bangen. „Das Geld, das reinkommt, wird durch die Inflation immer weniger wert und die Ausgaben werden durch die Teuerung höher“, erklärt er.

Tralalobe hat noch zwei Einrichtungen in Niederösterreich, in Wien soll demnächst eine weitere Unterkunft für 15 Kinderflüchtlinge eröffnen. Zudem soll wieder ein breit aufgestelltes Team aufgebaut werden, so Geschäftsführer Diendorfer. In dem Haus mit Garten sollen nicht ausschließlich Ukrainer, sondern andere Nationalitäten ein Zuhause finden.

Dass es einen dringenden Bedarf gibt, zeigen die Vorfälle im Großquartier Steyregg. In Wien-Penzing brennen keine Müllcontainer, stattdessen – Wumms – fliegt zum dritten Mal die Badezimmertür zu.

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