Viel später wurde erst bekannt, dass das Tondokument, welches fast jeder im Ohr hat, erst 20 Jahre später aufgezeichnet wurde – vom Original gab es weder Manuskript noch Aufnahme. Der Journalist Hans Magenschab und der spätere ORF-Mann Ernst Wolfram Marboe (ein zweitgradiger Neffe von Figls Frau) standen hinter dem Projekt zum 20-jährigen Republiksjubiläum; Magenschab rekonstruierte den Text und ließ ihn sich von Figl autorisieren: „Figl hat bestätigt, dass diese Worte in etwa jene Worte sind, die er 1945 gesagt hatte und die er sagen wollte“, berichtete Magenschab einmal. Im ORF-Funkhaus in Wien sprach dann der bereits todkranke Figl im April die Rede auf Band; wenige Wochen später, am 9. Mai, starb er im 63. Lebensjahr.
„Glaub an Österreich“
Wiederum knapp 60 Jahre später versucht Karl Nehammer – als Kanzler und ÖVP-Chef einer der Nachfolger Figls – in seiner politischen Not, jenen Geist der damaligen Zeit wiederzubeleben: „Glaub an Österreich“ lautet das Motto der Kampagne, mit der Nehammer um Zustimmung wirbt.
➤ Mehr lesen: Aus für Museum: „Es war eine Pilgerstätte der Dollfuß-Fans“
In Wahrheit weiß natürlich auch Nehammer, dass 1945 und 2023 in keiner Weise miteinander zu vergleichen sind. Aus einem darniederliegenden Land ist eines der wohlhabendsten, freiesten und sichersten Länder der Welt geworden – auch wenn es gewiss Notlagen gibt. Zudem kann unter gegenwärtigen Verhältnissen kein Politiker in dem Maße die Rolle einer Integrationsfigur einnehmen, wie das bei Figl der Fall war. Solches ist Kennzeichen von Ausnahmezeiten, in welchen die Menschen eher zusammenrücken und auch bei der politischen Führung Schutz suchen.
Nehammers Slogan fügt sich freilich in eine immanente Logik des Politbetriebs: Regierende neigen zu affirmativen („Wohlfühl-“)Kampagnen, während die Opposition zwangsläufig die bestehenden Defizite und Baustellen in den Fokus nimmt: Die einen wollen zeigen, dass die von ihnen mitverantwortete Lage gut (oder zumindest besser als vielfach dargestellt) ist, die anderen müssen den Anspruch stellen, dass sie wüssten, wie es besser geht.
„Volkskanzler“
Der Kanzler und ÖVP-Chef dürfte indes im Besonderen jemanden im Visier haben, der sich ebenfalls zum politischen Erben Figls stilisiert: FPÖ-Chef Herbert Kickl. Der nämlich will bekanntlich „Volkskanzler“ werden. Ein Begriff, der durch seine Inanspruchnahme in der Frühzeit Hitlers belastet ist, der aber auch später – etwa von Alfred Gusenbauer – verwendet wurde. Kickl nahm indes ausdrücklich Anleihe bei Figl, wie er etwa im ORF-Sommergespräch erklärte. „Das heißt ja nichts anderes als ein Kanzler aus dem Volk, für das Volk“, sagte er damals. Und im Rahmen seiner Herbsttour geißelte er den „Grad an intellektueller und moralischer Verwahrlosung“ bei der ÖVP, um hinzuzufügen: „Wenn Leopold Figl nicht schon tot wäre, würde er spätestens jetzt sterben, aus lauter Gram darüber, was aus seiner ÖVP geworden ist.“
➤ Mehr lesen: Kickl wettert gegen ÖVP: "Leopold Figl würde spätestens jetzt sterben"
Für die politischen Adepten: Figl wurde 1953 wegen zu großer Kompromissbereitschaft mit der SPÖ von Julius Raab abgelöst – und Außenminister; 1959 wurde Kreisky Außenminister und Figl Nationalratspräsident. Die letzten drei Jahre war er NÖ-Landeshauptmann.
Kommentare