Fahrt ins Grüne oder ins Blaue?
Der Regierungschef schwitzt. Nicht, weil er parteiintern unter Druck ist, sondern weil sich Sympathisanten um ihn drängen. Mit der "Kanzler-Bim" ist er dieser Tage in Graz unterwegs. Viel mehr Menschen, als Platz haben, wollen zusteigen, mit ihm reden, ihn ablichten.
Christian Kern ist seit seinem Amtsantritt Mitte Mai viel in den Bundesländern auf Tour. In den eigenen Reihen ist die Begeisterung für Werner Faymanns Nachfolger groß. Manche feiern den 50-jährigen Ex-ÖBB-Chef wie einen Popstar. In Salzburg etwa kamen statt erwarteter 700 Leute 1200 in eine Halle, um den neuen Parteichef und Bundeskanzler zu sehen.
Was die ÖVP beklagt, bejubeln die Funktionäre. Die Partei zeige wieder "klare Handschrift", sagt etwa die oberösterreichische SPÖ-Chefin Birgit Gerstorfer. So plädiert Kern für eine "Maschinensteuer"; und er äußert sich kritisch zu den Freihandelsabkommen der EU mit den USA und Kanada, TTIP und CETA. "Zu zeigen, wofür wir stehen, hat gefehlt. Nur Kompromisse mit dem Koalitionspartner vorzulegen, reicht nicht", befindet der Kärntner SPÖ-Geschäftsführer Daniel Fellner. Traiskirchens SPÖ-Bürgermeister Andreas Babler, der einer der schärfsten Faymann-Kritiker war, qualifiziert das, was Kern inhaltlich präsentiert, als "erfrischend". Ihm behagt dessen "Mut zu eigenständigen Positionierungen".
Schwieriger Spagat
Kern sendet nicht nur Signale an die Ideologen in der Partei; es gibt auch welche an die Pragmatiker wie den burgenländischen Landeshauptmann Hans Niessl – durch eine immer schärfere Sicherheits- und Flüchtlingspolitik, die Kerns Verteidigungsminister aus dem Burgenland, Hans Peter Doskozil, exekutiert. Es sollen nicht weitere Wähler "nach rechts wegbrechen", erklärt ein Funktionär.
Spätestens nach der nächsten Nationalratswahl wird dieser Spagat schwierig: bei den Regierungsverhandlungen. Für die wird strategisch schon gerüstet –, weil kaum jemand davon ausgeht, dass der Pakt mit den Schwarzen – wie regulär vorgesehen – bis 2018 hält. In der Koalition geht fast nichts weiter. Ein gewichtiger SPÖ-Mann beschreibt die Situation martialisch: "Hinter den Kulissen herrscht Krieg."
Bau-Holz-Gewerkschafter Josef Muchitsch spricht aus, was viele Rote als Ursache nennen: "Ich habe das Gefühl, dass es in der ÖVP einige Geisterfahrer gibt, die verhindern, dass etwas weitergeht – und die Christian Kern keinen Erfolg gönnen wollen." Insider gehen davon aus, dass im Frühjahr gewählt wird, wenn Rot & Schwarz mit den für Herbst avisierten Reformen scheitern. Im Mai könnte es so weit sein.
Alternativen zu Rot-Schwarz
Eines zeichnet sich jetzt schon ab. Das Gros der Genossen will nicht mehr mit der ÖVP regieren. Dieses Bündnis, in dem es mehr Zwist als Ergebnisse gebe, schade der SPÖ.
Und so wird in roten Zirkeln über Alternativen nachgedacht. Geschildert wird, dass Kern gerne eine Koalition hätte, die es noch nie gegeben hat – aus SPÖ, Grünen, Neos und Irmgard Griss. Das Kalkül: Trete die einstige Präsidentin des Obersten Gerichtshofs, die es im ersten Durchgang der Bundespräsidenten-Wahl mit 18,9 Prozent auf Platz drei gebracht hat, in einer Art Wahlgemeinschaft mit den Pinken an, könnte sich eine parlamentarische Mehrheit für diesen Dreibund ergeben. Kern pflege bereits dahingehenden Kontakt mit Griss, heißt es.
SJ-Chefin Julia Herr gefiele eine solche Konstellation: "Das wäre ein guter Zukunftsweg. Da könnte man eine große Bildungsreform machen. Langfristig muss das Ziel der SPÖ trotzdem sein, jene Wähler zurückzuholen, die wir an die FPÖ verloren haben." Babler kann Rot-Grün-Neos-Griss ebenfalls einiges abgewinnen: "Das wäre ein modernes Bündnis. Es zahlt sich aus, über neue Varianten nachzudenken."
Manche sind da skeptisch. Gewerkschafter Muchitsch verweist auf mögliche realpolitische Probleme eines Dreiers: "Je weniger Parteien in einer Koalition sind, desto leichter ist es, zu regieren."
Andere SPÖler haben generell Vorbehalte gegen ein solch links-dominiertes Konstrukt. Allen voran die SPÖ Burgenland, die mit der FPÖ koaliert. Auch in Teilen der Gewerkschaft sowie in den sogenannten Wiener Flächenbezirken wird mit Rot-Blau kokettiert (siehe unten). Ein roter Landeschef sagt: "Viele Wähler wünschen sich, dass man sich die FPÖ-Option offenhält."
Eine OGM-KURIER-Umfrage hat Mitte Mai ergeben, dass die SPÖ-Wähler gespalten sind: 44 Prozent wollten, dass sich die SPÖ weiterhin nicht mit der FPÖ zusammentut. 39 Prozent wollten weg von diesem Dogma. Es geht in dieser Frage auch um Taktik. Gerstorfer befindet, man müsse mit allen, also auch mit den Blauen, verhandeln. Muchitsch meint: "Die generelle Ausgrenzung der FPÖ ist strategisch in Richtung ÖVP nicht gescheit." Nachsatz: "Die FPÖ müsste sich aber verändern. Stichwort Angstmache und Österreich-Schlechtrederei."
Grundsätze für Koalition
Die SPÖ will bis zum Parteitag im Frühjahr festlegen, was unumstößliche Grundsätze für eine Regierungsbeteiligung sind. Damit werden die Blauen von den Roten nicht mehr als potenzieller Partner abgelehnt. Fellner: "Der Kriterienkatalog hätte keinen Sinn, wenn wir die FPÖ von vornherein ausschließen." Nicht ausgeschlossen ist für ihn aber auch ein anderer Weg als bisher: "Bevor wir uns verkaufen oder jemandem ausliefern, sollten wir in Opposition gehen."
Fellner & Co hoffen freilich, dass die SPÖ mit Kern derart zulegt, dass sie den Ton bei den Koalitionsgesprächen angeben kann. Derzeit rangieren zwar die Schwarzen in Umfragen mit rund 20 Prozent auf Platz drei, die Blauen mit mehr als 30 Prozent aber auf Platz eins. Die Roten kommen auf 26 Prozent. Das ist mehr, als sie bei Faymanns Abgang hatten. Dennoch bewegen sie sich damit nur auf dem Niveau des Nationalratswahl-Resultats von 2013. Damals hatte die SPÖ 26,8 Prozent erreicht. Es war das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte.
Wien ist und bleibt die rote Machtzentrale. Doch in keinem Bundesland geht der Graben zwischen dem linken und rechten Lager so quer durch die Partei wie in Wien.
Gezeigt hat sich das erneut nach der Wiederholung der Bezirksvertretungswahl in der Leopoldstadt, die die SPÖ überraschend verlor. Die Genossen aus den großen Flächenbezirken gaben daraufhin der Flüchtlingspolitik der Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely die Schuld, auch die vielen roten Wahlempfehlungen für den grünen Präsidentschaftskandidaten Alexander Van der Bellen goutierten sie nicht.
"In Wien ist ein Kurswechsel erforderlich. Vor allem in der Sicherheits- und Integrationspolitik", sagt der Nationalratsabgeordnete Harald Troch, gleichzeitig auch Bezirksparteichef in Simmering. Sein Bezirk war der erste Wiens, in dem ein Blauer Bezirksvorsteher wurde. In Floridsdorf und Favoriten scheiterte die FPÖ nur knapp. Seitdem fordern die Flächenbezirke, mehr auf die brennenden Themen einzugehen. An vorderster Front steht dabei Donaustadts Bezirksvorsteher Ernst Nevrivy. Er forderte von Häupl erst ein Machtwort, traf sich aber kurz darauf mit FPÖ-Vizebürgermeister Johann Gudenus auf einen Kaffee – am nächsten Tag nachzulesen in einer Gratiszeitung.
"Bei uns sind einige extrem verärgert über diese Aktion", sagt eine Funktionärin, die dem linken Flügel zuzuordnen ist. "Ich hätte das nicht gemacht", sagt auch Parteimanagerin Sybille Straubinger. Sie sieht derzeit keine Chance auf eine Koalition mit der FPÖ: "Deren Politik ist nur destruktiv und auf Zerstörung ausgerichtet."
Außen gegen Innen
Verstärkt wird der rote Richtungsstreit in Wien durch die Nachfolgedebatte um Michael Häupl. Auf der einen Seite steht Wohnbaustadtrat Michael Ludwig, der als Vertreter der Flächenbezirke gilt. Auf der anderen Seite Sonja Wehsely, die auf die Stimmen der Innenbezirke hoffen darf.
Um die beiden Lager wieder zu einen, rief Häupl eine Sondersitzung des Parteivorstandes ein. Dort erinnerte er seine Funktionäre daran, dass es einen Parteitagsbeschluss zur Flüchtlingsfrage gebe – und dass die öffentliche Auseinandersetzung nur der Partei schade. Die Anhänger des rechten Flügels sprachen daraufhin von einem "Maulkorberlass". Zwei Tage später traf sich Nevrivy mit Gudenus.
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