Ex-Innenminister Schlögl: “Es ist eine dramatische Situation für die SPÖ“
Rund 40 Jahre war Karl Schlögl (68) in der Politik. Der SPÖ-Mann gehörte dem Parlament an, war unter Kanzler Franz Vranitzky Staatssekretär und unter Kanzler Viktor Klima Innenminister. Einmal stand er knapp davor, Bundesparteivorsitzender zu werden. Dann wechselte er in die niederösterreichische Landespolitik als Landeshauptmannstellvertreter. Am Ende der politischen Laufbahn war er Bürgermeister in Purkersdorf.
Er kennt die SPÖ in- und auswendig und ist mit der momentanen Situation (auch mit der Art der Mitgliederbefragung) gar nicht zufrieden. Gleichzeitig hofft er, dass nach dem Sonderparteitag am 3. Juni die Sozialdemokratie wieder geeint ist.
KURIER: Man kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus, wenn man genau verfolgt, was da rund um die Mitgliederbefragung in der SPÖ passiert. Wie sehen Sie das?
Karl Schlögl: Es ist eine dramatische Situation für die SPÖ. In meiner langen politischen Laufbahn kann ich mich nicht an so einen Riss in der Partei erinnern. Allerdings ist es eine Situation, die für mich nicht unerwartet kommt. Es hat zu einigen Themen in der Partei wie Asyl, unkontrollierte Zuwanderung, das Verhältnis zu anderen Parteien, etc. gebrodelt. Jetzt wäre die Zeit zur Klärung. Ich hoffe, dass die Partei nach diesem Prozess geeinter auftritt.
Aber momentan wird weniger geklärt, ob Links oder Rechts, um welche Themen es geht, sondern nur, welche Person in Zukunft an der Spitze stehen soll?
Für mich stehen hinter den Personen vor allem unterschiedliche politische Positionen. Den Prozess nur auf Personen zu reduzieren, hielte ich für falsch. Die handelnden Akteure – es sind ja derzeit mit Pamela Rendi-Wagner, Hans Peter Doskozil und Andreas Babler nur drei ernst zu nehmen – sind politisch klar positioniert.
Wie? Hans Peter Doskozil rechts, Pamela Rendi-Wagner eher links und Andreas Babler ganz links?
Ich würde diese Kasterl nicht verwenden, weil es zu den unterschiedlichen politischen Themen unterschiedliche Antworten gibt. Doskozil ist sicher jemand, der in Asylfragen sehr konsequent ist und gegen unkontrollierte Zuwanderung auftritt, andererseits in der Sozialpolitik sehr linksorientiert ist. Babler ist in der Zuwanderung und in der Sozialpolitik links eingestellt. Pamela Rendi-Wagner fährt halt einen Mitte-Kurs, wo man immer wieder überrascht ist, welche neuen Positionen sie vertritt.
Ist eine Mitgliederbefragung überhaupt der richtige Weg, um solche Fragen zu lösen? Man merkt nach den ersten Tagen, dass man als Partei da wenig geübt ist.
Das Thema Mitgliederbefragung hat eigentlich Rendi-Wagner im Jahr 2020 begonnen, um ihre Stellung als Parteivorsitzende zu festigen. Erstmals wurde diese Möglichkeit ernsthaft geschaffen. Der traditionelle Weg, über Parteigremien und Parteitag den Vorsitz zu entscheiden, wäre besser.
Es wirkt kurios, dass sich in den vergangenen Tagen Tausende neue Mitglieder gemeldet haben, um mitmachen zu können. Möglich war das nur, weil mit dem 24. März ein so später Stichtag gesetzt worden ist.
Ich halte das für einen schweren Fehler. Das trägt dazu bei, dass Manipulationsgerüchte entstehen. Man hätte klar entscheiden müssen, dass nur jene stimmberechtigt sein können, die mit Ende des Jahres 2022 bereits Mitglied der SPÖ waren und den Beitrag bezahlt haben. Andererseits freue ich mich natürlich, dass neue Menschen zur Sozialdemokratie stoßen.
In der Art und Weise, wie über die Mitgliederbefragung diskutiert wird, merkt man auch, wie viel Misstrauen derzeit in der SPÖ vorhanden ist. Auch wenn es um das Verhältnis so mancher Landespartei zur Zentrale in der Wiener Löwelstraße geht. Es dürfte großes Misstrauen vorherrschen. Das passt nicht zur Sozialdemokratie und darüber bin ich auch bestürzt. Das hängt aber natürlich auch mit der aktuellen Parteiführung zusammen. Das ist mein persönlicher Vorwurf, man hätte die Eskalation vermeiden müssen.
In Wien sagt man, den Vorwurf muss sich Hans Peter Doskozil gefallen lassen, weil er immer wieder an der Parteiführung Kritik geübt hat. Können Sie dem zustimmen?
Kritik ist an und für sich nichts Schlechtes. Und wenn man eine starke Parteivorsitzende ist – und wir hatten viele starke Parteivorsitzende – , dann lässt man solche Diskussionen gar nicht aufkommen. Innerparteiliche Kritiker muss man einbinden und mitgestalten lassen. Das ist leider nicht gelungen.
Trotz all dieser Schwierigkeiten, kann es die SPÖ schaffen, dass nach der Mitgliederbefragung und dem Sonderparteitag im Juni wieder Ruhe und Geschlossenheit in die Partei einkehren?
Ich weiß es nicht, aber ich hoffe es.
Es gibt in der SPÖ starke Persönlichkeiten, vom Wiener Bürgermeister Michael Ludwig bis zu ÖGB-Chef Wolfgang Katzian. Warum haben die nicht stärker eingegriffen, damit es gar nicht so weit kommen konnte?
Ich bin auch überrascht, dass diese Entwicklung so dynamisch passiert ist. Ich möchte da niemanden von Schuld freisprechen.
Es gibt den Vorwurf von Landesparteien, dass bisher zu viel in der SPÖ immer nur von einem kleinen Kreis in Wien entschieden worden ist. Ist der Vorwurf berechtigt?
Das kann ich persönlich nicht beurteilen. Für mich ist Bürgermeister Michael Ludwig eine höchst integre Persönlichkeit. Ich glaube nicht, dass der bei solchen Spielen dabei ist. Anderen Personen traue ich das aber zu.
Wem trauen Sie das zu?
Das sind auch jene Personen, die schon im Jahr 2000 massiv gegen mich Stimmung gemacht haben. Das reicht von Brigitte Ederer bis Harald Kopietz.
Sie werden an der Mitgliederbefragung teilnehmen?
Ich nehme an der Mitgliederbefragung natürlich teil, weil das mittlerweile die einzige Chance ist, um das Dilemma zu lösen. Und ich hoffe auf klare Ergebnisse.
Sollten die nicht auch bindend sein, weil momentan ist es möglich, dass es trotz der Mitgliederbefragung zu einer Kampfabstimmung am Sonderparteitag kommt?
Das ist natürlich das Problem, weil jeder Delegierte am Bundesparteitag, in seinem Abstimmungsverhalten frei ist. Ich hoffe aber, dass die Disziplin der Delegierten so groß sein wird, dass sie die Siegerin oder den Sieger der Mitgliederbefragung zur oder zum Parteivorsitzenden machen. Wenn nicht, besteht die Gefahr einer endlosen Diskussion.
Ein Schwenk nach Niederösterreich. Sie waren SPÖ-Landeshauptmannstellvertreter, haben ein sehr gutes Verhältnis zu Ex-Landeshauptmann Erwin Pröll von der ÖVP. Was sagen Sie zur schwarz-blauen Koalition?
Ich bin darüber sehr unglücklich. Ich habe fix damit gerechnet, dass sich Schwarz und Rot zu einem gemeinsamen Pakt für Niederösterreich finden werden. Mich wundert, dass die Freiheitlichen so umgefallen sind. Die Aggressionen der FPÖ gegenüber der ÖVP und vor allem der Landeshauptfrau waren ja vor der Landtagswahl sehr groß.
Es gibt Kritik am Verhandlungsteam der SPÖ. Dieses habe zum Scheitern der schwarz-roten Gespräche beigetragen.
In diesem Verhandlungsteam waren erfahrene Profis wie der St. Pöltner Bürgermeister Matthias Stadler und Arbeiterkammerpräsident Markus Wieser. Ich weiß, dass diese beiden Großkoalitionäre sind und sich sehr für eine schwarz-rote Vereinbarung eingesetzt haben. Offensichtlich gab es in der ÖVP Niederösterreich Kräfte, die meinten, es mit der FPÖ in den kommenden fünf Jahren leichter zu haben. Ich bin skeptisch, ob das eine gute Entscheidung der ÖVP war.
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