Europa setzt jetzt auf Flüchtlings-Abschreckung

Europa setzt jetzt auf  Flüchtlings-Abschreckung
Mit harter Hand zeigt Italiens Innenminister, wie er sich die neue EU-Flüchtlingspolitik vorstellt.

Mit Grenzzäunen hat es Ungarns Regierungschef Viktor Orbán vorgemacht. Mit der Schließung von Häfen für Flüchtlinge zieht Italiens neuer Innenminister Matteo Salvini nach. „Das ist ein Zeichen, dass sich etwas ändert“, sagte der Chef der rechtspopulistischen Lega. „Unser Ziel ist der Schutz der europäischen Außengrenzen, und Italien ist eine europäische Grenze.“

Nach der harten Linie der neuen Regierung in Rom bedeutet dies: Flüchtlingsschiffe, wie die Aquarius mit mehr als 600 geretteten Menschen an Bord, werden fortan abgewiesen. Das deutsche Rettungsschiff Sea Watch, das sich derzeit vor der Küste Libyens bewegt, wird das nächste sein: Kein Migrant soll mehr von einem Flüchtlingsboot aus italienischen Boden betreten.

So heftige Kritik Salvini damit europaweit erntete, so unübersehbar ist aber auch: Der radikale Schritt des italienischen Innenministers treibt die Spaltung der europäischen Politik darüber, wie die Migrationsfrage in Europa zu lösen ist, weiter voran. Volle Kraft auf den Schutz der EU-Außengrenzen – das ist die Stoßrichtung jener Staatengruppe, die eine europa-interne Verteilung von Flüchtlingen ablehnen und sich stattdessen der Bekämpfung der illegalen Migration widmen wollen.

Abschreckung

Österreichs Regierung hat diesen Kurs eingeschlagen. Ungarn, die Slowakei, Polen und Tschechien praktizieren ihn schon länger. Man steht auf dem Standpunkt: Sind die Außengrenzen der EU stark genug, kämen ohnehin keine illegalen Migranten mehr. Asylanträge sollten die Flüchtlinge am besten außerhalb der EU stellen – in großen Auffanglagern etwa in Nordafrika. Vor allem will man abschrecken: Es sei vollkommen sinnlos, so die Botschaft, sich illegal auf den Weg nach Europa zu machen.

Unter massivem Druck zu handeln, legte die EU-Kommission am Dienstag ihre Pläne für den Ausbau des Außengrenzschutzes vor: Die EU-Grenzschutzagentur Frontex soll von derzeit 1500 Mitarbeitern in den kommenden Jahren auf 10.000 Mitarbeiter verstärkt werden. Gemeinsam mit den nationalen Grenzschützern sollen illegale Grenzübertritte damit verhindert und Schlepperbanden aufgespürt werden. Kenner der unwegsamen Grenzregionen, etwa im Südosten Europas, aber zweifeln: „Um diese Grenzen wirksam überwachen zu können, bräuchte man mindestens 40.000 bis 60.000 Mann“, gibt ein EU-Beamter gegenüber dem KURIER zu bedenken.

Auf insgesamt mehr als 30 Milliarden Euro sollen die Mittel der EU für Grenzschutzmaßnahmen in den kommenden Jahren verdreifacht werden. Dies kündigte Flüchtlingskommissar Dimitris Avramopoulos vor dem EU-Parlament in Straßburg an. „Unsere Bürger wollen stärkere und sichere Grenzen, aber ohne ihre Bewegungsfreiheit zu verlieren“, sagte der Kommissar aus Griechenland. „Europa ist keine Festung.“

Politisches Pingpong

Europa brauche aber auch, so Avramopoulos, ein „effizienteres Asylsystem“. Das aber bedeutet nach Lesart Brüssels: Die ungleiche Migrationslast, die vor allem die Erstaufnahmeländer Italien, Griechenland und Spanien zu tragen haben, muss besser verteilt werden. „Wir können das politische Pingpong nicht fortführen“, mahnte Avramopoulos, „wir alle sind verantwortlich, alle Mitgliedsstaaten, wir alle müssen nachhaltige und wirksame Lösungen finden.“

Doch die Suche nach einem gemeinsamen Asylrecht bleibt eine der Großbaustellen in der EU. Ende Juni, beim Gipfel der Staats- und Regierungschefs, will man in Brüssel abermals versuchen, auf einen gemeinsame Nenner zu kommen. Doch die Chancen stehen schlecht. Damit wird das Thema auf die österreichische Ratspräsidentschaft und zu Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) übergehen. Der kündigte schon in der Vorwoche an: Sein Fokus wird auf der Sicherung der EU-Außengrenzen liegen. Dem setzte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel entgegen: Eine starke Außengrenze allein ersetze keine Migrationspolitik.

Flüchtlings- und Migrantenzahlen sinken

Mittelmeerroute
Seit dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise im Jahr 2015, als über eine Million Menschen in Boote stiegen und in Europa landeten, sind die Zahlen an Flüchtlingen und Migranten stark gesunken. Im Vorjahr waren es rund 172.000 Menschen, 2016 waren es noch   362.700. Heuer kamen bisher nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerkes UNHCR  35.000 Menschen an.

Italien, Spanien, Griechenland
Den stärksten Zustrom verzeichnet dabei weiter Italien, wo heuer knapp 14.300 Flüchtlinge ankamen. In Spanien wurden seit Jahresbeginn 11.300 Flüchtlinge und Migranten registriert. In Griechenland, wo die Zahlen derzeit am deutlichsten steigen, kamen heuer rund 12.100 Menschen an. Die größte Gruppe der heuer  in der EU angekommenen Flüchtlinge stellen Syrer dar –  22 Prozent, gefolgt von Irakern (11 Prozent).  

Todesfalle Mittelmeer
Unverändert hoch blieb hingegen die Zahl der auf ihrer Bootsflucht Ertrunkenen: Mehr als 3000 Menschen starben im Vorjahr, heuer sind es laut Schätzungen bereits an die 800.

Balkanroute
Wegen geschlossener Grenzen  in Ungarn verlagern sich Flucht- und Schlepperrouten von Griechenland statt über Serbien zunehmend über Albanien und Bosnien-Herzegowina. Die Zahlen sind  relativ niedrig: Albanien verzeichnet derzeit rund 1000 Flüchtlinge, Bosnien zählte heuer 4500 Fälle illegale Einreisen.

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