Alles normal? Zeit für "climate action" und verantwortungsvolle Politik
Es ist wahrlich ein bemerkenswerter Monat, den wir so gut wie hinter uns gebracht haben. Während auf Rhodos und Sizilien Waldbrände außer Kontrolle geraten sind, fiel im Veneto Europas bisher größtes Hagelkorn mit einem Durchmesser von 19 Zentimetern vom Himmel und im Umland von Mailand bildete sich nicht nur ein Tornado, sondern – wiederum in Folge eines Hagelunwetters - auch ein regelrechter Eis-Fluss.
In der Schweiz zerstörte wiederum ein „Downburst“, also ein heftiger Gewitter-Fallwind aus einer sogenannten Superzelle, mit mehr als 200 Stundenkilometern zahlreiche Gebäude im Städtchen La Chaux-de-Fonds, im Kärntner Kühnsdorf riss ein Sturm die Kirchturmspitze herunter (siehe großes Bild). Willkommen in der neuen Normalität.
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Auch weltweit war der Juli 2023 ein Monat der Superlative im negativen Sinn. Die globalen Durchschnittstemperaturen waren sowohl zu Land (siehe erste Grafik) als auch zu Wasser (siehe zweite Grafik) höher als je zuvor, die ersten drei Juli-Wochen die heißesten der Messgeschichte, der Juli wird den Allzeit-Hitzerekord eines Monats mit ziemlicher Sicherheit deutlich brechen und selbst das Jahr 2023 könnte am Ende 2016 als heißestes Jahr der Messgeschichte ablösen.
Folgerichtig war die Ausbreitung des antarktischen Meereises zu diesem Zeitpunkt des Jahres – auf der Südhalbkugel herrscht Winter - noch nie so gering (siehe dritte Grafik) und der US-Wetterdienst NOAA erwartet in weiten Teilen des tropischen Pazifik mit einhundertprozentiger Wahrscheinlichkeit eine Korallenbleiche (siehe vierte Grafik).
UNO-Generalsekretär António Guterres, der sich in Sachen Klimakrise bereits seit seinem Amtsantritt kein Blatt vor den Mund nimmt, brachte die aktuellen Zustände am Donnerstag auf den Punkt: Die Ära der globalen Erwärmung sei vorbei, „die Ära des globalen Kochens ist gekommen“.
Der neue Chef des Weltklimarates IPCC, Jim Skea, gab sich wiederum überrascht von der Geschwindigkeit, mit der die Hitzewellen über die Welt hereinbrechen. Eine Form von Überraschung, die aus den Reihen der Klimawissenschaft in letzter Zeit öfter zu vernehmen war, obwohl gerade sie seit Langem genau davor gewarnt hat. Keine sehr beruhigende Entwicklung inmitten all dieser beunruhigenden Entwicklungen, wenn Sie mich fragen.
Laut Skea sei mittlerweile auch klar, dass wir die Pariser Klimaziele, die Erderwärmung auf 1,5 Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit zu begrenzen, nicht mehr erreichen werden und plädiert daher dafür, diesen etwas weniger Bedeutung beizumessen. „Ich glaube, wir haben uns ein bisschen zu viel auf diese ikonischen Ziele wie die 1,5 Grad fixiert“, sagte er. Egal an welchem Punkt der Geschichte - es sei klar, dass die Vorteile, etwas gegen den CO2-Ausstoß zu tun die Kosten dafür „bei Weitem“ übertreffen.
Guterres will sich im Gegensatz dazu noch nicht von den 1,5 Grad verabschieden. Der Klimawandel sei hier, er sei furchteinflößend, es sei aber nach wie vor möglich, das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen und das Schlimmste zu verhindern – „but only with dramatic, immediate climate action“.
Jetzt werden Sie sich vielleicht wundern, warum ich den Mann auf einmal im englischen Original zitiere. Der Grund ist simpel: Ich empfinde „climate action“ als weitaus passender als das deutsche Äquivalent Klimaschutz, transportiert die action doch eine weitaus größere Dringlichkeit.
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Eine Dringlichkeit, die in Italien sogar die regierenden Postfaschisten der „Fratelli d’Italia“ zu spüren beginnen. Wie praktisch alle rechten bzw. rechtspopulistischen Parteien sind auch die Fratelli von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni tendenziell auf der den Klimawandel verharmlosenden bis -leugnenden Seite angesiedelt. Angesichts der Horrornachrichten entlang des gesamten Stiefels sagte Zivilschutzminister Nello Musumeci nun unlängst Bemerkenswertes: „Die Wahrheit ist doch, dass wir uns immer noch an alte Fakten und Argumente klammern, obwohl nichts mehr so sein wird wie früher. Wenn wir so weitermachen, werden wir noch viele Tote betrauern.“
Das ist noch lange kein konsequenter Klimaschutz – „words are not action“, würde der UNO-Generalsekretär vielleicht sagen -, aber es ist zumindest das Anerkennen von Realitäten. Davon sind wir in Österreich noch ein gutes Stück entfernt. Es gebe keinen wissenschaftlichen Beweis für die Untergangsapokalypse, die gezeichnet werde, sagte ÖVP-Bundeskanzler Karl Nehammer in einer großen Rede im März. Wie Nehammer das angesichts der Ereignisse und Meldungen der letzten Wochen beurteilt, ist nicht überliefert.
Zwar soll betont werden, dass der Bundeskanzler bestimmt kein Klimawandelleugner ist. Doch sein Glaube, man könnte den enormen Herausforderungen, vor denen wir stehen, nur mit Kreativität und und Innovation – mit anderen Worten: mit technologischem Fortschritt – begegnen, ist ein Irrglaube.
„Ökomodernismus“ nennt sich diese aus den USA stammende Denkschule, die von namhaften Fachleuten wie dem Weltklimarat IPCC zurückgewiesen wird. „Das steht einem wissenschaftlichen Konsens diametral entgegen, der sich längst etabliert hat“, sagte dazu der Klimapolitik-Professor Reinhard Steurer von der Universität für Bodenkultur unlängst zum Standard.
Die Klimakrise stellt uns vor gewaltige Herausforderungen, die wir nur gemeinsam als Gesellschaft bewältigen können werden. Um diesen Kraftakt zu schaffen, braucht es jedoch politische Führung, die sich ihrer Verantwortung bewusst ist. Die nicht der Mehrheit nach dem Mund redet, sondern diese von dem überzeugt, was nötig ist. Die sich den Herausforderungen stellt, sich wissenschaftsbasierte Lösungen dafür überlegt und bei den Menschen für diese wirbt.
Ist das ein Garant für Wahlerfolg? Natürlich nicht. Aber Politikerinnen und Politiker werden dafür gewählt, Verantwortung zu übernehmen, und nicht dafür, um jeden populistischen Preis ihre eigene Macht zu erhalten, auch wenn das zugegeben ein etwas naiver Zugang sein mag. Das nicht zuletzt ökonomische Potenzial einer nachhaltig aufgestellten Wirtschaft aufzuzeigen, hätte aber das Potenzial, beiden Ansprüchen gerecht zu werden.
Stattdessen startet die ÖVP eine Debatte darüber, was normal sei und was nicht (Schnitzel essen: normal, mit dem Fahrrad in die Arbeit fahren: nicht normal), organisiert Verbrennergipfel (während sich die Autoindustrie von E-Fuels längst weitestgehend verabschiedet hat) und stellt die Klimaktivistinnen und -aktivisten der Letzten Generation auf eine Stufe mit Rechtsextremen (man muss die Straßenblockaden nicht mögen, um den Irrweg dieses Gedankengangs zu erkennen).
Stattdessen blockiert die SPÖ ein wirklich durchschlagskräftiges Erneuerbare-Wärme-Gesetz, also die Grundlage für den Ausstieg aus fossilen Heizungen, aus parteitaktischen Gründen. Stattdessen sind die Fronten in der Koalition so verhärtet, dass sich Türkis und Grün weder auf ein Klimaschutzgesetz noch auf eine Bodenstrategie einigen können – beides zentrale Gesetzesvorhaben im Klima- und Umweltbereich.
„Wir stehen gerade erst am Anfang“, sagt António Guterres. Die Herausforderungen, vor die uns die Klimakrise stellt, werden nur mehr und ganz bestimmt nicht weniger. Was viele ihr Leben lang als normal empfunden haben, kommt nicht wieder – egal, ob es im Frühling einmal wieder etwas mehr regnet als im Dürrejahr davor oder der August vorerst keine weiteren Rekorde bricht. Was normal sein sollte, ist, dass sich gewählte Verantwortungsträger dem stellen.
Haben Sie einen angenehmen Sonntag - und fordern Sie bei jeder passenden und von mir aus auch unpassenden Gelegenheit climate action ein. Es ist nämlich keinesfalls zu spät, auch das sagt UNO-Klimarats-Chef Skea: „Die Zukunft des Menschen liegt in unserer Hand. Nutzen wir das." Die Technologien und Instrumente, um den Klimawandel einzudämmen, seien vorhanden, sie müssten nur auch angewendet werden.
Ihr Andreas Puschautz
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