Asfinag vs. ÖBB: "Es ist wurscht, welche Farbe jemand hat"
Zu den laufenden KV-Verhandlungen wollen sich die Vorstände von ÖBB und Asfinag nicht äußern – wohl aber darüber, wie schwer es gegenwärtig ist, Arbeitskräfte zu finden und gegen Vorurteile anzugehen. Asfinag-Chef Hartwig Hufnagl und ÖBB-Chef Andreas Matthä über den Konkurrenz-Kampf Straße versus Schiene, den Kampf um Talente und ihr Verhältnis zu Klimaministerin Leonore Gewessler.
KURIER: Wären Asfinag und ÖBB an der Börse: Wo würden Sie Aktien halten?
Hartwig Hufnagl: Ich würde ein Portfolio aus beiden anlegen, weil beide zukunftsorientiert und nachhaltig denken und handeln.
Andreas Matthä: Als langfristiger Investor, der ich bin, würde ich massiv in den Schienen-Güterverkehr investieren. Kurzfristig würde ich mir noch ein paar Autobahn-Aktien dazu nehmen.
Gibt es den Konkurrenz-Kampf Straße gegen Schiene?
Matthä: Das ist längst vorbei! Asfinag und ÖBB haben ein natürliches Habitat. Flächenverteilung mit der Eisenbahn ist keine gute Idee. Viele Güter über längere Distanzen zu transportieren, das ist wiederum auf der Schiene effizienter.
Hufnagl: Mobilität ist ein Grundbedürfnis und der Kuchen groß genug für alle. Die Asfinag hat sich als Mobilitätspartner etabliert. Wir sehen unser Tun Verkehrsträger-übergreifend und grenzüberschreitend. Unsere Kundinnen und Kunden wollen vom Individual- auf den öffentlichen Verkehr switchen und vice versa. Wir funktionieren mit den ÖBB in einer Symbiose.
Der Jurist (46) arbeitet erst für die Industriellenvereinigung im EU-Parlament ehe er 2004 als Referent für Straßen ins Verkehrsministerium unter Hubert Gorbach (FPÖ) wechselt. Seit 2006 ist der Vater dreier Kinder für die Asfinag tätig, seit 2019 deren Vorstandsdirektor für Bau und Betrieb.
3.105 Mitarbeiter zählt die Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft (ASFINAG), die der Republik gehört. Umsatz: 2,79 Mrd. €
Wo ist diese Symbiose sichtbar?
Matthä: In Stockerau zeigt sich, wie gut Straße und Schiene miteinander funktionieren. Dort ist der Bahnhof in Autobahnnähe. Die dynamischen Überkopfanzeigen zeigen, wann der nächste Zug geht, wie viele Parkplätze vorhanden sind, wo es sich staut und mit welchem Verkehrsmittel ich am schnellsten am Ziel bin.
In Lockdown-Zeiten waren die Züge halb leer, jetzt sind sie teils übervoll. Der Spritpreis ist oft das Entscheidungskriterium, ob Auto oder Zug. Wie schwierig ist Ihre Planung?
Hufnagl: Es ist nicht schwer planbar, weil wir die Verfügbarkeit garantieren müssen. Wir attraktiveren das Angebot für unsere Kundinnen und Kunden laufend, damit sie diese Umstiegsmöglichkeiten an Mobility-Hubs nutzen. Gleichzeitig versorgen wir sie mit akkuraten Verkehrsinformationen.
Matthä: Wir hatten einen Jahrhundert-Sommer und noch nie so viele Gäste in unseren Fernverkehrszügen. Das hat sicher mit dem Spritpreis zu tun, aber auch mit Convenience. Der Mobilitätskunde möchte möglichst schnell von A nach B kommen und das günstig. Dabei ist es oft egal, ob er mit Gummi oder Eisen unterwegs ist.
Angesichts der Inflation: Kann das Klimaticket weiter 1.095 Euro kosten?
Matthä: Beim Klimaticket sind wir ein Mobilitätspartner. Das Pricing wird nicht bei uns, sondern bei One Mobility entschieden. Bei ÖBB-Tickets haben wir ein System von Nachfrage und Angebot. Wir haben genug Kapazitäten, aber wir brauchen Lenkung über den Preis, damit die Menschen nicht nur den einen Zug am Freitag um 15 Uhr nehmen, sondern vielleicht auch den dazwischen, davor oder danach.
Der HTL-Ingenieur und Mag. FH für Unternehmensführung (60) beginnt 1982 in der ÖBB-Bauleitung Wien und übernimmt zahlreiche Leitungsfunktionen ehe er 2016 in den Vorstand der ÖBB Holding AG zum Nachfolger von Christian Kern bestellt wird. Der Vater einer Tochter ist u. a. Präsident der Gemeinschaft der Europäischen Bahnen.
43.673 Mitarbeiter (inklusive Lehrlinge) hat der ÖBB-Konzern. Umsatz: 7 Mrd €
Gelingt die Lenkung über den Preis?
Matthä: Wir kennen das alle von Flugtickets: Wer früher bucht, der zahlt weniger. Wie jeden Herbst haben wir auch heuer die Tickets angepasst – allerdings unter der Inflation – 2. Klasse um durchschnittlich 3,9 Prozent.
Wird die Vignette unter 100 Euro bleiben?
Hufnagl: Die Vignette kostet derzeit 93,80 Euro und wird im nächsten Jahr weiter unter 100 Euro kosten. Wir unterliegen der Vignettenpreis-Verordnung, die jährlich erlassen wird und sich am Verbraucherpreisindex des Vorjahres orientiert. Das heißt, der Vignettenpreis erhöht sich heuer um 2,8 Prozent.
Die Teuerung ist auch der Energiekrise geschuldet. Wie energieabhängig oder -autark sind Sie?
Hufnagl: Unser Ziel ist es bis 2030 stromautark zu sein. Wir versuchen, den Verbrauch zu reduzieren und erneuerbare Energiepotenziale auszuschöpfen. Sie müssen sich vorstellen, dass wir allein 120 Gigawattstunden/Jahr für unsere Tunnelanlagen brauchen. Gleichzeitig haben wir ein Potenzial von 250 Megawatt-Peak. Wir betreiben 29 PV-Anlagen und Kleinwasser-Kraftwerke und nutzen Mikro-Windturbinen an Brücken- und Rastanlagen. Der Tunnel Flirsch in Tirol läuft beispielsweise schon autonom.
Matthä: Wir sind gelebte Elektromobilität – verbrauchen im Jahr 1.900 Gigawatt-Stunden. Den Bahnstrom erzeugen wir zu etwa 35 Prozent in eigenen Kraftwerken, 25 Prozent kommen von Turbinen in Flusskraftwerken von Partnern und 40 Prozent müssen wir noch zukaufen. Unser Ziel ist es, bei steigendem Strombedarf und Verkehr unseren Bedarf bis 2030 zu 80 Prozent selbst decken zu können.
Und wo sparen Sie Energie?
Matthä: „Gleiten statt hetzen“ gilt auch auf der Schiene. Jeder Güterzug, der rollt und nicht bei einem Signal halten muss, spart Energie. Unser Sparpotenzial liegt bei 3 bis 4 Prozent und ist für unsere Kundinnen und Kunden hoffentlich in einem verträglichen Ausmaß. Bahnhöfe werden, wenn sie nicht in Betrieb sind, nicht beleuchtet.
Hufnagl: Wir arbeiten gerade Maßnahmen aus, die uns zwischen 11 und 15 Prozent an Einsparungen bringen sollen. Dabei geht es vor allem um betriebliche Einrichtungen und etwa den Umstieg auf LED-Lampen.
Inwiefern bereiten Sie sich auf Blackouts vor?
Hufnagl: Wir haben nicht erst seit dem Ukraine-Krieg Krisenpläne, die ständig geübt und überprüft werden. Sollte es zu einem Ausfall kommen, dann sind wir bestens vorbereitet.
Matthä: Wir Eisenbahner haben Übung mit Krisenplänen. Das gilt auch fürs Blackout. Wir haben insofern eine leicht angenehmere Situation, weil wir ein eigenes Hochspannungsnetz mit Strom haben.
Für wie wahrscheinlich halten Sie ein Blackout?
Matthä: Ich höre immer, dass es in Österreich nicht sehr wahrscheinlich ist.
Hufnagl: Und dann ist es immer die Frage, wie lange ein Blackout vorherrscht und wie großflächig es ist.
Zusammen stehen Sie stellvertretend für 45.000 Arbeitsplätze und suchen dringend Personal. Ist der Arbeitsmarkt eine größere Herausforderung als die Energieversorgung?
Hufnagl: Trotz unterschiedlicher Größenordnungen haben wir das gleiche Problem. Von Elektrotechnikern über Mechatroniker bis hin zu Projektleitern suchen wir nach Arbeitskräften. Der "War of Talents“ ist aber vorbei, denke ich. Es geht um "Attracting of Interests“. Unternehmen müssen für sich als attraktive Arbeitgeber werben.
Früher mussten Arbeitssuchende überzeugen…
Matthä: … das ist vorbei. Seit zwei, drei Jahren ist es anders. Wir bilden 2.000 Lehrlinge aus: Das ist unsere Grundsäule, ohne die wir sonst mausetot wären. Bei ungelernten Kräften haben wir derzeit mit extremer Verknappung zu kämpfen. Auch Absolventen von HTLs und Unis sind gefragter denn je.
Was suchen die Genannten?
Matthä: Unser Recruiting sagt mir, dass es in vielen Gesprächen heißt: „Drei oder vier Tage zu arbeiten, das kann ich mir vorstellen. Fünf Tage nicht.“ Die 7-Tage-Woche hat bei uns sogar den Vorteil, dass durch Schichtpläne längere Freizeitblöcke entstehen. Die ÖBB wirbt damit, ein sicherer Arbeitgeber zu sein, der Jobs mit Sinn anbietet, die nachhaltig sind.
Was verstehen Sie unter nachhaltig?
Matthä: Wir haben CSR-Richtlinien, Richtlinien beim CO₂ -Ausstoß, soziale und wirtschaftliche Kriterien, die wir erfüllen. Alle ÖBB-Gesellschaften haben ein A-Rating, womit wir als ÖBB wiederum günstigere Finanzierungen bekommen und langfristig einen Wettbewerbsvorteil haben.
Für viele stehen Nachhaltigkeit und Straße im Widerspruch.
Hufnagl: Das widerspricht sich überhaupt nicht! Wer Arbeitskräfte will, muss sinnstiftende Jobs anbieten. Menschen wollen gestalten. In diesem Transformationsprozess, in dem wir sind, gibt es so viele charmante Hebel, die Du in Bewegung setzen kannst – und genau das macht uns als Arbeitgeber attraktiv. Und damit muss man werben und das Versprechen dann einhalten.
Apropos Werbung: Warum werben Asfinag und ÖBB, wo Sie doch de facto allein am Markt sind?
Matthä: Das ist eine interessante Sicht. Die unterstellt nämlich, dass man nur eine Wahl hat. In Wirklichkeit leben wir beide in einem Mobilitätsmarkt. Ich muss mir meine Marktanteile auf der Strecke Wien – Salzburg erkämpfen gegen Mitbewerber auf der Schienen- und Straßenseite, bei Städtereisen in Europa auch gegen den Flugverkehr. Auf der Weststrecke kann ich bestehen, auf der Südstrecke nicht. Dort tut uns der Bus noch weh. Aber nicht mehr lang.
Herr Matthä, Sie feierten jüngst 40-Dienstjahre, Herr Hufnagl, Sie sind Ihr halbes in der Asfinag und Politik. Der ÖBB-Chef gilt als Roter, der Asfinag-Chef als Blauer. Angesichts der veröffentlichten Chat-Protokolle: Wie realistisch oder verlogen ist die Diskussion über politische Besetzungen?
Matthä: Das ist doch spannend: Da sitzen also ein Roter und ein Blauer und beide haben eine grüne Klimaministerin, das passt doch gar nicht ins Schema! Es könnte doch einfach etwas mit Kompetenz zu tun haben, oder? Und – wenn ich für uns beide sprechen darf – vielleicht sind unsere Parteifarben rot-weiß-rot? Meine jedenfalls und, soweit ich Hartwig kenne, seine auch.
Hufnagl: Bei der Fragestellung muss ich korrigierend eingreifen: Ich bin seit 20 Jahren ausschließlich im Infrastrukturbereich tätig. Von den 20 Jahren 16 in der Asfinag. Ich bin quasi Eigenbau-Spieler in der Asfinag und ausschließlich meinem Unternehmen verpflichtet. Ich bin der felsenfesten Überzeugung: Vorurteilen kannst Du nur mit Leistung, einem glaubwürdigen Charakter und kreativen Ideen entgegnen.
Matthä: Es ist wurscht, welche Farbe jemand hat. Solange er als Mensch in Ordnung ist und loyal zum Unternehmen, ist es mir total egal, in welche Kirche er geht, welche Hautfarbe er hat… Wir haben abgesehen davon in allen Positionen Menschen aus allen Parteien.
Hufnagl: Parteizugehörigkeit spielt bei uns keine Rolle. Wir suchen unsere Mitarbeitenden nach Kompetenz, Qualifikation und Engagement aus. Und Diversität ist uns sehr wichtig.
Die Zusammenarbeit mit Leonore Gewessler würden Sie dem gemäß wie beschreiben?
Matthä: Ich bin systemisch auf der Sonnenseite, weil wir mit 100 Prozent grünem Strom fahren. Wir haben kaum einen CO₂ -Abdruck. Jede Bahnfahrt ist gelebter Klimaschutz. Das heißt aber auch, dass unsere Kapazitäten angepasst werden müssen, die vom Staat bestellt und finanziert werden.
Hufnagl: Es ist eine sehr gute und professionelle Zusammenarbeit, weil wir uns Themen widmen, die früher vielleicht nicht präsent waren, gesellschafts-, klima- und geopolitisch aber immer wichtiger werden. Wir haben mit der Ministerin die Möglichkeit, die Asfinag nicht zu verwalten, sondern tatsächlich zu gestalten.
Gehört zum Gestalten auch der Lobau-Tunnel?
Hufnagl: Die strategische Prüfung Verkehr ist eingeleitet worden. Die gilt es zu bewerten und zu würdigen. Die Ergebnisse der konsultierten Stellen fließen in einen Umweltbericht und die Asfinag wird dazu Ihre Stellungnahme abgeben.
Matthä: Ich glaube, ich muss jetzt auch eine Lanze für die österreichische Politik brechen. Es gibt zum Beispiel seit den 1980er Jahren ein Bekenntnis zur Modernisierung der Schienen-Infrastruktur. Alle Parteien hatten einmal das Verkehrsministerium, alle haben zu den Investitionen „Ja“ gesagt und heute gehören die ÖBB zu den Top3 in Europa.
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