Erhard Busek: "Wir sind am Beginn des Dritten Weltkriegs"
KURIER: Der EU-Betritt wäre 1994 fast daran gescheitert, dass Außenminister Mock keinen Sinn mehr sah, weiterzuverhandeln und heim wollte. War das echt so dramatisch?
Erhard Busek: Ja, da gab es scheinbar unüberwindliche Hürden in Agrarfragen. Ich war damals Parteiobmann und Vizekanzler und stand gemeinsam mit Franz Vranitzky in ständigem telefonischen Kontakt mit den Verhandlern. Da ich Mock gut kannte und wusste, worauf er anspringt, habe ich ihm gesagt: Als Parteiobmann erteile ich dir die Weisung, du bleibst in Brüssel. Die Deutschen waren auf uns zwar auch sehr sauer, weil die Delegation einfach Themenlisten mit viel Klein-Klein abgearbeitet und zu wenig aufs große Ganze geschaut hat. Sehr hilfreich war aber Helmut Kohl und ein von ihm entsandter Beamter, dem ich dann nachträglich dafür einen Orden verliehen habe. Für Mock war es ein schwerer Schlag, dass sich Staatspräsident Jacques Chirac, dem er sich sehr verbunden gefühlt hat, vor ihm versteckt hat und nicht erreichbar war.
In der ÖVP waren die Bauern am massivsten gegen die EU?
Ja, aber Landwirtschaftskammerchef Rudolf Schwarzböck hat mir nachträglich gestanden: Du hast recht gehabt, dass du so einen Druck für den Beitritt ausgeübt hast. Wir waren da „bled“. Der hatte eine Einsicht gehabt und dann auch gehalten. Der damalige ÖVP-Landeshauptmann Wendelin Weingartner hat eine egoistische Tirol-Politik gemacht. Er war ein politischer Zyniker: Er hat zu mir gesagt, ich weiß eh, dass das mit der EU kommt, aber es muss was rausschauen für uns.
Rot-Schwarz hat damals noch unbeschadet gehalten. Warum?
Ich hatte sehr guten Kontakt zu Vranitzky, dem ich darüber hinaus auch Rosen streuen muss. Er hat es intern wesentlich schwieriger gehabt als ich. Er hatte Arbeiterkammer und Gewerkschaft als starke Gegner gegen den Beitritt.
Haben Sie das breite Ja bei der Abstimmung 1994 erwartet?
Ich war sicher, dass wir gewinnen werden. Am stärksten gegriffen hat ein emotionales Argument: Wir wollen nicht übrigbleiben, da muss man einfach mitmachen. Und eigentlich haben wir schon immer irgendwie dazugehört.
Wie würde heute eine Abstimmung über die EU ausgehen?
Sie würde knapp, aber doch Pro ausgehen, weil die Leute begreifen, dass wir wirtschaftlich davon abhängen.
Wird die EU bis 2030 eher zerfallen oder größer werden?
Im Moment ist alles offen. Es ist keine Blödheit auszuschließen. Das liegt auch daran, dass die alte und neue Regierung es verabsäumt haben, unsere neuen Nachbarn im Osten stärker hereinzunehmen. Das ist das, was ich mit meinem Institut sehr einsam betreibe. Ich habe überraschenderweise hier einen neuen Verbündeten, den Nationalratspräsidenten Wolfgang Sobotka. Der nimmt sich sehr konsequent des Themas Mittel- und Osteuropa an. Man kann unterschiedlicher Meinung mit Orbán sein, aber man muss den Kontakt weiter pflegen. In Ungarn orte ich keine Austrittstendenzen aus der EU. Schwieriger ist das mit den Polen, wo ein fundamentalistischer Katholizismus unheilvoll wirkt.
Ist das Einfrieren der Beziehungen mit Orbáns Partei für die Dauer des EU-Wahlkampfs nicht ein wenig halbherzig?
Das wird sich auch nicht halten. Ungarn besteht nicht nur aus Orbán. Gerade wir Nachbarn brauchen Gemeinsamkeiten – daran muss man arbeiten.
Rechnen Sie mit einem Machtwechsel in Brüssel?
Die EU-Wahl wird uns keine Freude bereiten. Die Mehrheit wird nicht hingehen. Die Rechten werden hingehen und so über ihrem tatsächlichen Wert eine gewisse Stärke bekommen, sodass danach Christ- und Sozialdemokraten nur über eine Dreierkoalition mit den Liberalen ihre Mehrheit behalten werden können. Türkis widmet all diesen Fragen leider zu wenig Aufmerksamkeit. Es muss allen mehr bewusst gemacht werden: Die Europäer machen gerade noch sieben Prozent der Weltbevölkerung aus, bald werden es nur noch vier Prozent sein. Das müsste im EU-Wahlkampf im Mittelpunkt stehen: Wenn wir noch irgendeine Rolle spielen wollen, dann muss es mehr Europa geben und nicht weniger. Und die zweite zentrale Frage ist: Wie weit reicht Europa? Da bin ich ein Anhänger, dass man auch auf Sicht – nicht heute und nicht morgen – einen Weg zu den Russen suchen muss. Denn auch Putin muss klar sein: damit, dass er in Syrien an Bedeutung gewinnt, wird er auf Dauer auch nicht weiterkommen.
Eine Mitgliedschaft der Russen in der EU bleibt aber utopisch?
Ja, aber es geht darum, gemeinsame Interessen zu formulieren. Europa muss sich von der NATO-Strategie lösen und darf nicht mehr auf die Interessen der Amerikaner hineinfallen. Russland hat ein vitales Interesse, wirtschaftlich wieder auf die Beine zu kommen. Die Deutschen haben das erkannt, aber da könnten alle in der EU durch wirtschaftliche Zusammenarbeit noch mehr zu einer besseren Annäherung beitragen.
Ein EU-Mitglied Türkei ist wohl endgültig Geschichte?
Die Türkei hat drei Millionen Flüchtlinge als bleibende Drohung. Wenn sie die loslassen, dann Gnade uns Gott. Kein Mensch in der Türkei glaubt aber mehr, dass das mit der EU noch etwas wird. Noch dazu, wo die Türkei am Weg in eine Diktatur ist. Daher ist die Frage: haben wir Kontakte zu Kräften in der Türkei, die anders denken.
Die Vision eines EU-Finanzministers ist auch Geschichte?
Das ist tot. Die gemeinsamen EU-Themen, die funktionieren können, sind die, wo das Wort „war“ (Krieg) vorkommt: Also Kampf gegen Cyberwar, Krieg gegen die Schlepper und Kriminalitätsbekämpfung. Ich muss das in aller Brutalität sagen: Wir sind in Wirklichkeit am Beginn des Dritten Weltkriegs – nur auf einer anderen Ebene. Das ist nicht nur ein Wirtschaftskrieg, sondern auch ein Kommunikationskrieg. Alles in allem geht es darum: wer spielt bei der Globalisierung welche Rolle? Da sind die Bürger intelligenter als die Politiker: Sie kommen mit dem Argument, die EU ist ein Friedensprojekt, daher nicht mehr gut durch. Denn die Leute spüren, wir sind in einem Fast-Kriegszustand.
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