Ein Leben lang ein Arbeitgeber? Diese Zeit ist vorbei

(Symbolbild)
AMS-Chef Herbert Buchinger macht seinen Job seit 1994. Und weiß selbst am besten, dass das sehr selten ist.

Eine Frage zu Beginn: Wie viele Österreicher werden laut Statistik einmal im Jahr arbeitslos? Aus den verschiedensten Gründen, bei rund 3,6 Millionen Beschäftigten. Was schätzen Sie?

Die Antwort lautet: 950.000. Fast ein Drittel aller Beschäftigten in Österreich ist also einmal pro Jahr von Arbeitslosigkeit betroffen. Vor 25 Jahren waren es „erst“ 550.000.

Die Dynamik auf dem heimischen Arbeitsmarkt – Kritiker sprechen lieber vom amerikanischen „hire & fire“ – ist also wirklich enorm und nimmt Jahr für Jahr zu.

Viele Einfluss-Faktoren wären hier zu nennen, vom Gewicht der Saisonbranchen Bau und Tourismus bis zu generell immer kürzer werdenden Beschäftigungsverhältnissen. Mit den Worten des Experten: In den letzten Jahren und Jahrzehnten wurden „Gewissheiten auf dem Arbeitsmarkt durch Wahrscheinlichkeiten“ abgelöst, sagt AMS-Chef Herbert Buchinger.

Längst nicht mehr gewiss

Denn: Je besser man ausgebildet sei, desto wahrscheinlicher sei es, dauerhaft einen guten Job zu finden, der wahrscheinlich ein entsprechendes Auskommen sowie eine spätere Pension sichert. „Gewiss ist das längst nicht mehr“, sagt Buchinger und verweist auf eine andere Statistik – jene der steigenden Arbeitslosigkeit bei Akademikern.

Nur das Gegenteil sei mittlerweile relativ gewiss.

Soll heißen: Wer keine oder eine miserable Ausbildung hat, wird relativ sicher gröbere Probleme auf dem Arbeitsmarkt bekommen.

Unbestritten ist: Die Halbwertszeit von Wissen verfällt, beim rasanten technologischen Wandel kommen längst nicht alle mit.

Belege dafür findet man zuhauf. So hat sich beispielsweise die Arbeitslosenquote bei Menschen mit lediglich Pflichtschulabschluss von elf Prozent im Jahr 1994 auf 25 Prozent mehr als verdoppelt.

Konstante ist Veränderung

1994 ist eine Art Referenzjahr. Damals wurde die zuständige Sektion des Sozialministeriums ausgegliedert und zur Arbeitsmarktverwaltung umgewandelt – dem heutigen Arbeitsmarktservice ( AMS).

Buchinger war der erste Chef und ist es heute noch. Eine relativ selten gewordene Erwerbsbiografie, denn den einen lebenslangen Job gibt es kaum noch. Die einzige Konstante ist heute die Veränderung, sagt er selbst.

Langzeit-AMS-Chef Buchinger kennt all diese Entwicklungen wie kaum ein anderer. Er erinnert sich im KURIER-Gespräch an 1994, das Jahr vor dem EU-Beitritt, als Österreich noch von vielen als kleine, abgeschottete Insel der Seligen gesehen wurde.

„Was seither auch passiert ist, ist die klare Europäisierung des Arbeitsmarktes. Wir haben seither viel an Arbeitskraft, aber auch an Arbeitslosigkeit importiert“, weiß Buchinger. Auch das habe alte Sicherheiten und Gewissheiten stark reduziert. Denn der Verdrängungswettbewerb auf dem Arbeitsmarkt hat stark zugenommen – wenn auch meist bei Niedrigqualifizierten und großteils unter Ausländern, also nicht Ausländer gegen Inländer.

Sichtbar ist das unter anderem daran: 290.000 Ausländer waren hierzulande 1994 beschäftigt, 690.000 sind es heute. Mit 12,5 Prozent ist die Ausländer-Arbeitslosigkeit freilich fast doppelt so hoch wie unter Inländern.

Ein anderer Langzeit-Beobachter heimischer Arbeitsmarktentwicklungen ist Sozialforscher Georg Michenthaler vom IFES-Institut, das seit 1997 im Auftrag der AK Oberösterreich den bekannten Arbeitsklimaindex erhebt. „Wenn man einen Beschäftigten vor 30 Jahren eingefroren hätte und heute wieder auftaut, der würde die heutige Arbeitswelt mit ihrem Tempo und Druck kaum packen und wahrscheinlich schnell ausflippen“, sagt Michenthaler. Bei vielen Berufstätigen regiere die „Illusion der Autonomie“, etwa durch das Verschwimmen von Arbeits- und Freizeit, durch flexiblere Arbeitsformen vom „Home-Office“ bis zur Telearbeit – und All-Inclusive-Arbeitsverträgen als Massenphänomen.

Gerade aber in der jungen Generation seien Karriere, Einkommen und Erfolg im Job nicht mehr alleinige Identitätsmerkmale. Die Gewissheit des beruflichen Aufstiegs sei längst passé, eher konservative Werte wie Familie und Kinder gewinnen parallel dazu an Bedeutung.

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