Die Naturwissenschaften haben uns weit getragen – und werden es weiter tun. Dafür sollten wir auch dankbar sein. Aber natürlich haben sie uns auch ein Stück weit entfremdet von der Natur. Wir sind nun als Menschen an einem Punkt, wo wir als intellektuelle Wesen, reduziert auf Gehirnleistung, bald evolutionär von der künstlichen Intelligenz überholt sein werden. Wenn es nur um Denkleistung geht, wird der Mensch der künstlichen Intelligenz irgendwann im Weg sein. Passiert das, dann wird es die Menschheit in 200 Jahren nicht mehr geben. Deswegen glaube ich, dass wir uns darauf zurückbesinnen müssen, dass wir ein Teil der Natur sind. Wenn wir auf das, was wir landläufig Stimme des Herzens nennen, hören, wird es eine Renaissance des Menschen als spirituelles Wesen geben.
In Ihrem Buch ist viel die Rede, dass man auf die Stimme seines Herzens hören soll. Auch Träume sind für Sie ein Wegweiser. Was sind die drei wichtigsten Entscheidungskriterien, wenn Sie an einer Weggabelung stehen?
Bei großen Lebensfragen sollte das Triumvirat Herz, Bauch und Kopf die Regie führen und genau in dieser Rangliste. Wenn das Trio gemeinsam in Wirkung kommt, ist es unschlagbar. Wenn nicht alle drei zur Verfügung stehen, dann würde ich dem Herzen den Vorzug geben.
Sie beschreiben fünf Schritte zur persönlichen Neuerfindung. Welcher Schritt in diesem Prozess ist am mühsamsten?
Etwas Neues kann man nur empfangen, wenn man sich dafür frei macht. Deswegen ist das Loslassen am schwierigsten. Alle großen Kulturen und Religionen haben Rituale zum Loslassen. Als Kinder der Postmoderne sind wir aber arm an Ritualen. Dafür sind wir umso voller an materiellen Gütern und Reizüberflutungen. Deswegen ist das Loslassen eine Kulturtechnik, die wir dringender denn je benötigen. Denn die Zeit ist so laut und verwirrend. Noch nie gab es so viele Optionen für die individuelle Lebensgestaltung. Es gab noch nie eine Generation, die so viele Möglichkeiten hatte. Das ist ein Privileg, aber auch eine Last, an der manche zerbrechen. Wir fühlen eine permanente Last, Entscheidungen treffen zu müssen. Auf welcher Basis treffe ich diese Entscheidungen? Auf Basis der Werbung, die auf mich niederprasselt? Auf Basis von gesellschaftlichen Erwartungshaltungen, die natürlich auch sehr stark von wirtschaftlichen Logiken dominiert sind? Das macht nicht glücklich. Ein glückliches Leben braucht ein Grundrauschen von Zufriedenheit mit sich selbst. In diesem Wort steckt Frieden, aber das funktioniert nicht, wenn man sich der Reizüberflutung nicht entziehen kann.
Aber ist neben dem Loslassen, auch die Angst vor der Veränderung eine Hemmschwelle für Veränderungen? Verharren die meisten nicht lieber in alten Mustern, statt mutig Neues zu wagen?
Die Frage ist: Reitet mich die Angst oder wird sie von mir geritten? Und wie viel Platz gebe ich der Angst? Einerseits ist sie ist eine ständige Begleiterin von uns – aber jeder ist der Pilot seines Lebens. Ab und zu greift die Angst ins Steuer, dann muss ich sie wieder auf ihren Platz verweisen. Andererseits ist die Angst ein toller Wegweiser. Denn die Chinesen sagen: „Der größte Drache beschützt den größten Schatz“. Es ist geradezu die Aufforderung, dort wo die Angst aufsteigt, genau hinzuschauen, denn da wartet ein großer Schatz. Das habe ich in meinem Leben immer wieder gemacht. Als ich fünf Tage in den Wald ging, wollte ich mich auch meinen Ängsten stellen, weil ich nachts im Wald immer große Angst erlebte.
Wie groß war die Angst, als Sie die Entscheidung trafen, die Politik zu verlassen?
Die Angst war klein, die Sorgen waren schon größer. Denn ich wusste noch nicht, wie es weitergeht, als ich die Politik verließ. Aber zu sagen, ich muss gleich das Neue in der Hand haben, ist so ähnlich, wie wenn man eine Bergwanderung mit der Stoppuhr macht. Das ist möglich, aber man wird die Blumen am Wegrand nicht sehen oder den Adler, der über dir kreist. Ich habe einen Kredit aufgenommen, um mir Zeit zu nehmen und zum Beispiel eine Ayurveda-Kur zu machen. Als ich die Neos gründete, habe ich ebenfalls Privatkredite aufgenommen. In diesem Punkt bin ich ziemlich angstfrei. Dafür beneide ich jene, die nachts durch den Maurer-Wald laufen und keine Angst haben, wenn sich im Gebüsch etwas bewegt. Jeder hat seinen eigenen Garten an Ängsten, den sollte man bewirtschaften, denn er ist ein Schatzgarten.
Apropos Schatz. Dem Tod, der in unserer Gesellschaft tabuisiert wird, geben Sie auch einen besonderen Stellenwert, um Entscheidungen zu treffen...
Ich drehe derzeit für den ORF eine Dokumentation über den Tod, wo ich mit einem Leichenwagen unterwegs bin. Da können die Menschen im Sarg probeliegen oder ihren Grabstein entwerfen. Das führt die Menschen in die Auseinandersetzung mit den Fragen: Was sind meine Werte? Was ist mir wichtig im Leben? Selten ist es der neue Turnschuh, sondern da ist die Frage der Liebe ganz zentral. Habe ich genügend Liebe gegeben und bekommen? Holt man den Tod ins Leben, dann tun wir uns leichter, den schnöden weltlichen Verführungen zu entsagen. Man kommt in eine grundsätzlichere Tiefe. Gerade unsere Vergänglichkeit eröffnet einen sehr liebevollen Blick auf uns selbst und unser Leben. Der Tod ist der beste Coach des Lebens.
Kommt der Tod in unserer Gesellschaft fälschlicherweise zu kurz?
Der Tod, die Sexualität und das Geld sind vollkommen überhöht, gleichzeitig tabuisiert. Was den Tod betrifft: Auf der einen Seite sehen wir ständig in Filmen, Videospielen und TV-Nachrichten, wie Menschen getötet werden, andererseits hat der Tod in der Realität keinen Platz mehr. Rituale, wie Totenaufbahrung, gibt es nicht mehr. Ich habe dieses Ritual bei meinem Vater erlebt, das ist eine schöne Art des Abschiedsnehmens. Heute haben wir den Reflex: Herzschlag erloschen, ab in die Kiste und weg aus dem Blickfeld! Das finde ich einen erbärmlichen und verräterischen Umgang mit dem Tod. Den Tod ins Leben einbinden, ist die größte Integrationsleistung, die wir erbringen müssen. Wenn wir das nicht schaffen, werden wir einen gewissen Grad an Reife nicht erreichen.
Ein kurzer Abstecher in die Politik: Ein Jahr nach Ihrem Ausstieg aus der Politik. Was war Ihre erste Reaktion, als Sie das Ibiza-Video gesehen haben?
Bist du deppert! Die ersten Tage nach dem Video habe ich mit Humor reagiert. Das war meine Bewältigungsstrategie, um mit dieser „unpackbaren“ Geschichte fertig zu werden.
Sie haben ja mit Strache an manchen Plenartagen auch mal eine Zigarette geraucht. Sprich Sie hatten eine Gesprächsbasis. Hätten Sie ihm das zugetraut?
Inhaltlich habe ich es befürchtet, dass er so denkt. Meine Sympathie erstreckt sich auf die menschliche Dimension und nicht auf die inhaltliche. Die Dreistigkeit und das völlige Fehlen von Demut im Nachgang bei Strache erschüttern mich.
Wie erklären Sie sich die vielen Sympathisanten?
Es gibt wahrscheinlich viele, die haben – jedenfalls ich – auch so einen kleinen Bauchansatz wie Strache (lacht), die denken sich: „Der sitzt in Ibiza in einer Villa mit einer feschen Frau auf der Couch und sauft auf Kosten Dritter. Was hat der für ein geiles Leben! Das hätte ich auch gerne. Zum Glück lebt der HC das für mich!“ Also um es übertrieben zu formulieren. Deswegen schöpft er hier Sympathie ab. Ich habe auch einen kleinen HC-Versteher in mir, aber den muss man in die Schranken weisen. Ich finde, dass er nicht in die Politik zurückkommen soll. Wenn Strache einen Funken Anstand und Respekt vor der Republik und der Demokratie hat, dann hat er die Konsequenzen und die Verantwortung zu tragen.
Hans Peter Haselsteiner hat Sie vor wenigen Wochen überraschend hart kritisiert und meinte, dass ihr letztes Wahlergebnis eine Enttäuschung war. Hat Sie diese Kritik getroffen?
Ich war verwundert und habe mich gefragt, was ist Hans Peter Haselsteiner da über die Leber gelaufen. Aber ich mag ihn und da schaue ich liebevoll drauf.
Gab es nach dem Ibiza-Video einen Moment, wo es Sie gejuckt hat, wieder in die Politik zu gehen…
Ich hatte in den vergangenen Monaten als Gründer viele stille „Vaterfreuden“, weil meine Nachfolgerin sehr kraftvoll Politik macht. Mit Ibiza gab es ein paar Tage, wo es mich wild herum gebeutelt hat. Ich bekam auch unglaublich viele Zuschriften und Anrufe, die meinten, dass ich wieder zurückkommen muss. Aber nach zwei Wochen war ich mit diesem Gefühl auch wieder durch und in meiner inneren Ruhe.
Sind Sie heute noch glücklich über Ihren Ausstieg aus der Politik?
Die Entscheidungen sind für mich stimmig. Was mich abturnt ist, wie brutal und dreist derzeit national und international in allen Demokratien gelogen wird. Dieses Niveau gab es nach meiner Einschätzung seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Dass die Lüge zur Politik gehört, ist mir klar. Das ist so. Aber in der Hemmungslosigkeit und Kaltschnäuzigkeit wie die Lüge als Standardinstrument in der Politik eingesetzt wird, läuft es mir kalt und warm den Rücken runter. Das Problem sind aber nicht nur die Politiker, sondern auch die Wähler, die den bewussten Einsatz von Lüge goutieren und sogar noch belohnen. Wir haben derzeit einen Lügenbaron in Brasilien, wir haben einen im Weißen Haus oder in den Philippinen. Und auch in Österreich sind wir nicht frei von diesen Tendenzen. Wer auf die Lüge als Standardinstrument verzichtet, hat einen absoluten und harten Wettbewerbsnachteil. In diesem Strudel zu sein und diesen Wettbewerbsnachteil jeden Tag in Kauf zu nehmen, das geht mir nicht ab. Ich bin ein Gärtner des Lebens und kultiviere soziale Felder. Nun bin ich einige Felder weitergezogen. Da passt so. Auch hier bin ich froh und hoffentlich wirksam.
Die Strolz-Methode zu einem erfüllten Leben
Wer kennt das nicht, dass man im Leben plötzlich vor einer Weggabelung steht und nicht weiß, welchen Weg man wählen soll?
Matthias Strolz will in seinem Buch eine Anleitung für solche Veränderungsprozesse geben. Bei einer Ayurveda-Kur in Indien kam der Neos-Gründer auf die High-Five-Methode der persönlichen Entfaltung, wie Strolz das in seinem Lebensratgeber nennt.
Die Methode ist das Leitmodell und beschreibt jene „fünf Schichtungen“, in welche ein solcher Findungsprozess ablaufen soll. Da steht zuerst das Bewusstwerden (Schritt eins) über das Loslassen (Schritt zwei), bevor man in Verbindung mit der persönlichen Berufung (Schritt drei) treten kann. Als vierten Schritt beschreibt Strolz, wie man die innere Klarheit, die man gefunden hat, nach außen emergiert. Am Ende und quasi als fünfter Schritt steht das Verkörpern. „Das füllige Sein und Tun. Nun sind wir voll und ganz neu präsent“, schreibt der Ex-Politiker in seinem Buch.
Das Bewusstwerden ist eine Phase des Innehaltens, des Wahrnehmens und Erkennens.
Das Loslassen ist der wichtigste, aber gleichzeitig auch der mühsamste Punkt in jedem Veränderungsprozess. Denn es schafft die nötigen Freiräume, damit überhaupt Neues entstehen kann. „Es ist eine unbedingte Vorleistung“, so Strolz. Erst wenn wir die Angst vor dem Loslassen und dem Unbekannten überwunden haben, entsteht Stück für Stück eine neue Welt, so die Botschaft.
Die Berufung Hat man das geschafft, geht es um das Verbinden mit der eigenen Berufung. „Hier horche ich auf die Stimme meines Herzens“, beschreibt Strolz seine Methode. In dieser Phase geht der Buchautor an einen inneren Ort, wo er seiner „Essenz, seinem Wesenskern“ begegnet.
Das Formgeben Wenn man diese drei Schritte geschafft hat, ist man schon fast am Ziel. Als Nächstes folgt das Formgeben. „Je klarer der innere Ort ist, umso kraftvoller wird das Form-Geben werden“. Das Neue wird erkundet, noch ohne es in der Praxis vollends zu institutionalisieren. „ Es ist ein Ertasten der Zukunft. Ein experimentelles Erproben“, so Strolz.
Das Verkörpern „Das Neue fühlt sich richtig an und es füllt uns aus.“ Man läuft wieder rund, so Strolz.
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