Matthias Strolz: „Ohne Ausstieg wäre ich wahrscheinlich krank geworden“

Matthias Strolz: „Ohne Ausstieg wäre ich wahrscheinlich krank geworden“
Der Neos-Gründer über seine Motive für die Entschleunigung und warum er nach Indien geht.

Was Matthias Strolz seit seinem Abschied aus der Politik betreibt, ist für ihn eine Form von Archäologie – nur mit dem Unterschied, dass er keinen historischen Fundort umgräbt, sondern in seiner Psyche und seinem Leben wühlt. „Ein Archäologe bewertet nicht sofort, er nimmt nur wahr. Derzeit schaue ich mir selbst zu. Am Abend sage ich dann, interessant, was ich da gefunden hab’“, schildert er den Prozess, seit er beschlossen hat, sein Leben zu entschleunigen.

Wie ein Archäologe versucht der Ex-Parteichef dann Hypothesen aufzustellen, was ihm die Information für sein neues Leben bringen könnte. Noch ist der Neos-Gründer nicht am Ziel. Noch hat er, der sich selbst als „Gärtner des Lebens“ begreift, die Felder, die er künftig bestellen will, nur sehr grob abgesteckt. Für die finalen Festlegungen braucht es nochmals einen klaren Schnitt – der komplette Rückzug ist als letzter Schritt der Entschleunigung angesagt. „Auch von den sozialen Kontexten und Medien. Das gelingt mir in Österreich nicht.“ Deswegen taucht Strolz im Jänner nun für drei Wochen in Indien ab.

Einfach treiben lassen

Nur die ersten drei Tage sind vorerst fix verplant, dann möchte er sich treiben lassen. „Das ist ein attraktiver Gedanke für mich, nur ins Blaue hinein zu leben. Das gibt mir ein gewisses Freiheitsgefühl“, so Strolz. Ursprünglich wollte er eine extreme Form von Achtsamkeitsyoga praktizieren, aber seine Ehefrau riet ihm mit den Worten „warum muss bei dir immer alles eine Grenzerfahrung sein?“ ab. Dieser Argumentation konnte der Ex-Neos-Chef nichts entgegensetzen. In Indien hofft er, die letzten Wunden, die die vergangenen sieben Politikjahre bei ihm hinterlassen haben, heilen zu können. „Ich bin noch nicht ganz durch. Vor allem mein Körper ist mit den letzten sieben Jahren noch nicht versöhnt“, gibt Strolz zu. Der Rücken schmerzt noch, vor allem im unteren Bereich. „Da gilt es noch einiges aufzulösen.“

Den Ausstieg aus der Spitzenpolitik bereut er keine Minute, obwohl er auch künftig eine politische Person und als Publizist eine öffentliche Person bleiben wird. Vielmehr passierte sein Abschied zum richtigen Zeitpunkt. Sonst, so gibt Strolz offen zu, wäre er wahrscheinlich „krank geworden“. Die Oppositionsarbeit, das permanente Kritisieren, die ständige negative Energie statt konstruktiv sein zu können, bezeichnete der Ex-Neos-Chef in seinem Abschiedsinterview mit dem KURIER als eine tägliche Dosis Gift für ihn. Als er die Politik losließ, folgte eine Phase der Erschöpfung. „Ich muss viel mehr schlafen als früher. Da lasse ich mich jetzt auch bewusst gehen.“

Nicht nur seine Physis war knapp daran, Schaden zu nehmen, auch das Strolz’sche Familienleben. Seine Frau hat ihm stets die Stange gehalten, doch jetzt spürte er, dass sein Guthaben aufgebraucht war. „Ich war ja zehn Jahre bei der Dorfmusik. Bei einem Zeltfest hat man eine gewisse Anzahl an Konsumationsbons zur Verfügung, die hatte ich bei meiner Frau in Sachen Politik alle aufgebraucht.“

Nein-Sagen lernen

Seine Frau Irene baut sich ein Atelier auf, er versucht nun als Vater präsenter zu sein. Zwei bis drei Papa-Tage absolviert der Ex-Politiker derzeit pro Woche. Auch das war ein Lernprozess. Da waren die drei Töchter, daneben warf er ständig einen Blick auf den Laptop. „Man ist irgendwie zerrissen.“ Der Laptop soll nun ins Atelier seiner Frau abgesiedelt werden, wo er sich ein Büro einrichtet, um präsenter für die Mädchen da sein zu können. Seine Erkenntnis aus den ersten Wochen: Das Abkapseln von der Außenwelt, nur für die Familie da sein, fällt ihm schwerer als seiner Frau. „Im Umsorgen der Familie kann ich meine Frau nicht erreichen. Wenn eine Tochter krank ist, stehe ich in der Nacht auf, aber viel später als meine Frau. Vielleicht bin ich hier eine Spur ignoranter.“

Auch wenn das Kunst- und CD-Projekt von Strolz („Es war ein Ausbruch von Lebensfreude) den Titel „Lost in Space“ trägt, hat er eine wichtige Lektion gelernt, um sich nicht zu verlieren: „Nein-Sagen ist das wichtigste Vokabel für eine gute Selbstführung. Da habe ich immer noch einiges zu lernen.“

 

Seit dem Ausstieg aus der Politik wird er täglich zu einer Podiumsdiskussion, einem Charity-Projekt, den Besuch eines Start-ups eingeladen. Hier muss er Grenzen setzen, auch weil man davon nicht leben kann. Das Ehrenamt bleibt ein wichtiges Betätigungsfeld für Strolz. Aber ab Februar wird er auch wieder in seinen unternehmerischen Alltag eintauchen, unter anderem um den Kredit abzuzahlen, den er zur Überbrückung der Auszeit aufgenommen hat. Ein Buch über Selbstermutigung soll im Herbst erscheinen. Parallel absolviert der Neos-Gründer eine Ausbildung zum Social Architekten. Er lerne hier neues Handwerkszeug, um mit komplexen globalen Problemen umzugehen. Das seien spannende Ansätze, wie sie in der internationalen Friedensarbeit schon punktuell Anwendung finden. „Da gehen plötzlich neue Felder auf.“ Das freilich wird einen Gärtner des Lebens freuen.

Kommentare