Die Strasser-Enthüller schlagen zurück

Die Strasser-Enthüller schlagen zurück
Zwei britische Undercover-Journalisten, die sich als Lobbyisten ausgaben, brachten Ernst Strasser zu Fall und vor Gericht. Der KURIER sprach mit den beiden in London.

Unerkannt bleiben: Das wollen jene beiden britischen Undercover-Journalisten, die Ernst Strasser vor eineinhalb Jahren zu Fall gebracht haben. Deshalb werden sie bei der Fortsetzung des Prozesses gegen den Ex-EU-Mandatar am Montag in Wien nicht aussagen.

Die österreichische Justiz hatte die beiden für diesen Tag geladen. Claire Newell und Jonathan Calvert boten einen „verhüllten Zeugenauftritt“ an. Den sieht die österreichische Strafprozessordnung aber nicht vor, die heimische Justiz lehnte ab. Deshalb verweigern die beiden Journalisten – zumindest vorerst – die Aussage.

Ihr Kalkül ist klar: Nur wenn niemand weiß, wie sie aussehen, können die beiden Undercover-Journalisten auch in Zukunft Prominente aus Politik, Wirtschaft, Sport und Showbusiness in die Falle locken.

So wie im Fall Strasser: Newell und Calvert hatten sich gegenüber dem Ex-ÖVP-Minister als Lobbyisten ausgegeben und im November 2010 mehrere Gespräche mit ihm geführt. Strasser ließ bei den verdeckt mitgeschnittenen Treffen die Bereitschaft durchblicken, für ein jährliches Honorar von 100.000 Euro die Gesetzgebung im Europäischen Parlament zu beeinflussen. Nach der Veröffentlichung der Videos musste Strasser Ende März 2011 zurücktreten.

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EPAepa03353221 (FILE) A file photo dated 04 November 2004 shows Austrian Interior Minister Ernst Strasser in Vienna. Former EU lawmaker Ernst Strasser has been charged with corruption in his native Austria, after British media exposed his dealings last ye
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AUSTRIA CORRUPTION TRIAL STRASSER
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Ernst Strasser
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Verteidigungslinie

Seit vergangener Woche muss er sich wegen Bestechlichkeit vor Gericht verantworten. In den ersten Prozesstagen versuchte Strasser, den Spieß umzudrehen. Kriminell seien die beiden Journalisten der Sunday Times gewesen: Sie hätten die Gespräche mit ihm nicht aufzeichnen dürfen; außerdem hätten sie das Video- und Tonmaterial „fälschlich und sinnwidrig“ zusammengeschnitten.

Was sagen die Aufdecker dazu? Der KURIER sprach mit den beiden in London. Die Vorwürfe Strassers sehen sie und ihre Rechtsvertreter von der Sunday Times gelassen: „Wir haben überhaupt kein Problem damit, unser Vorgehen zu rechtfertigen.“ Sie seien gerne bereit, als Zeugen zum Prozess nach Wien zu kommen – wenn ihre Anonymität gewährleistet bleibe.

Die Briten weisen Strassers Kritik zurück, ihr Videomaterial so zusammengeschnitten zu haben, dass er in einem schiefen Licht erscheine. Sie hätten zwar nur Teile der Aufzeichnungen auf der Internet-Seite der Sunday Times veröffentlicht. Das gesamte Material sei aber ungeschnitten und unzensuriert der Justiz in Österreich übermittelt worden. Die Staatsanwaltschaft Wien habe offensichtlich Handlungsbedarf gesehen – sonst hätte sie Strasser nicht angeklagt, argumentieren die Briten.

Auch den zweiten Vorwurf Strassers weisen sie zurück: Das heimliche Aufzeichnen der Gespräche sei keineswegs illegal gewesen; nach britischem Recht dürfe man jedes Gespräch, an dem man teilnimmt, heimlich aufzeichnen.

Der im Vergleich zum Gesetz strengere Verhaltenskodex für britische Journalisten sehe vor, dass heimliche Mitschnitte nur dann erlaubt sind, wenn dies im öffentlichen Interesse ist. Bei Strasser sei das „offensichtlich der Fall gewesen“.

Mitschnitte korrekt

Rückendeckung erhalten die Undercover-Journalisten vom Direktor des „Zentrums für Investigativen Journalismus“ in London, Gavin MacFadyen. „Sie haben korrekt gehandelt, weil sie damit dem Interesse der Allgemeinheit gedient haben. Wenn es keine andere Möglichkeit gibt, so etwas aufzudecken, dann ist ein solches Vorgehen (heimliches Mitschneiden von Gesprächen, Anm.) gerechtfertigt – auch wenn es nicht die feine Art ist.“

Die österreichische Justiz sieht das ähnlich: Sie hat ihre Ermittlungen gegen die Journalisten eingestellt – sehr zum Missfallen Strassers und seines Anwalts.

Beweise sammeln

Dessen Verteidigungslinie, wonach er nur zum Schein auf die „Lobbyisten“ eingegangen sei, um Beweise zu sammeln, hatte Calvert schon vor eineinhalb Jahren als „völligen Nonsens“ bezeichnet. „Strasser hat immer wieder gesagt, er würde für uns Gesetzesanträge einbringen“, erklärte Calvert.

Weil sich schon länger abzeichnete, dass er und seine Kollegin Claire Newell vorerst nicht zum Prozess nach Wien kommen werden, hat die Staatsanwaltschaft den beiden einige Fragen schriftlich zukommen lassen, bestätigt Erich Mayer, der Sprecher der Korruptions-Staatsanwaltschaft in Wien. „Ihre Antworten sollen am Montag beim Prozess verlesen werden“, erklärt Mayer. Offen sei, ob Richter Georg Olschak die Antworten für glaubwürdig hält, da die beiden Journalisten nicht vereidigt werden konnten.

Aufdecker-Tradition

Die „Insight-Redaktion“ der Sunday Times hat seit den frühen 1960er-Jahren immer wieder Aufsehen erregt. 1986 enthüllte sie basierend auf Informationen des Nuklelartechnikers Mordechai Vanunu, dass Israel über mehr als 100 Atomsprengköpfe verfügt. 1993 deckte die Zeitung auf, dass Kim Philby, ein ranghoher Offizier im britischen Geheimdienst MI6, jahrzehntelang als Doppelagent für die Sowjets spioniert hatte. Vor zwei Jahren sorgte ein Sunday-Times-Bericht über Stimmenkauf beim Weltfußballverband FIFA weltweit für Aufregung.

Alles begann damit, dass die vermeintlichen Lobbyisten 2010 mehr als 60 Abgeordnete der 754 EU-Parlamentarier kontaktierten. Zuerst als Repräsentanten einer britischen Lobbying-Firma, später im Auftrag einer russischen Investment-Firma. Sie boten den Abgeordneten lukrative Beraterverträge an.

Die meisten Mandatare, die kontaktiert wurden, reagierten nicht – oder ließen ihre Assistenten entrüstet antworten, dass so etwas für sie nicht infrage komme. 14 Abgeordnete zeigten Interesse; Vier Abgeordnete trafen sich mit den verdeckten Journalisten; einer davon, der Spanier Pablo Zalba Bidegain, stellte nach dem ersten Treffen den Kontakt wieder ein.

Tatsächlich angebissen haben schließlich drei Politiker: Der Slowene Zoran Thaler, der Rumäne Adrian Severin (beide Sozialdemokraten)– und Ernst Strasser.

Thaler wurden 100.000 Euro angeboten, um Gesetzesvorschläge abzuändern. Nach Auffliegen des Skandals trat er sofort von allen Ämtern zurück. Er hat stets seine Unschuld beteuert.

Die Ermittlungen der Behörden in Laibach sind bis zum heutigen Tag nicht abgeschlossen. Thaler droht nach slowenischem Recht bei einer Verurteilung eine Haftstrafe von bis zu acht Jahren.

Honorarnote gestellt

Besonders dreist scheint der Fall des Rumänen Severin: Dieser hatte nach mehreren Treffen mit den falschen Lobbyisten sogar ein „Beratungshonorar“ in Höhe von 12.000 Euro gestellt – für einen Abänderungsantrag im Plenum. Seine Fraktion als auch die rumänischen Sozialdemokraten schlossen Severin nach Auffliegen des Skandals aus. Doch dieser weigert sich bis heute, zurückzutreten – er ist nach wie vor Mitglied des EU-Parlaments. Die Ermittlungen der rumänischen Behörden wurden im Juli 2012 wegen weiterer Korruptionsvorwürfe sogar ausgedehnt.

Er wollte nur die Machenschaften von Geheimdienst-Agenten aufdecken: So verteidigt sich Ex-Innenminister Ernst Strasser in seinem Gerichtsverfahren. Die Mehrheit der Österreicher hält das für eine Schutzbehauptung. Laut einer OGM-Umfrage für den KURIER glauben 79 Prozent dem ehemaligen Minister nicht.

Die größte Glaubwürdigkeit genießt der frühere Delegationsleiter der Volkspartei im Europa-Parlament noch bei den ÖVP-Wählern. Doch selbst hier sind zwei Drittel (65 Prozent) überzeugt: Ernst Strasser hat die Geschichte mit dem Geheimdiensten erfunden.

Spannend ist für OGM-Meinungsforscherin Karin Cvrtila, dass dennoch nur vier von zehn Österreichern (39 Prozent) überzeugt sind, Strasser werde verurteilt: „Es gibt noch eine gewisse Skepsis gegenüber der Justiz.“ Angesichts der zuletzt eher harten Urteile wie etwa gegen Ex-Parteichef Josef Martinz sei das bemerkenswert.

Cvrtila: „Offenbar glauben nach wie vor viele Wähler, dass man es sich als prominenter Politiker immer noch irgendwie richten kann.“

Wahlsieg
Im Juni 2009 gewinnt die ÖVP mit Spitzenkandidat Strasser die EU-Wahl.

Anbahnung
2010 nehmen die verdeckten Journalisten mit Strasser Kontakt auf. Dinner-Einladungen folgen.

Rücktritt
Am 20. März erscheint in der Sunday Times der doppelseitige Artikel „EU-Abgeordnete in Geld-für-Gesetze-Skandal entblößt“. Strasser tritt von allen Ämtern zurück.

Ermittlungen
Die Korruptionsstaatsanwaltschaft in Wien und die EU-Korruptionsbehörde OLAF leiten noch im März 2011 Ermittlungen ein.

Politik reagiert
Das Justizministerium kündigt im April 2011 eine Verschärfung der Korruptionsbestimmungen an; Im Juni 2012 beschließt der Nationalrat diese.

Anklage
Am 9. August 2012 wird Strasser angeklagt. Der Prozess startete in Wien am 26. November

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