Die Nationalstaaten als Feinde der EU

Helmut Brandstätter über Brenners Rücktritt.
Der Kompromiss für das Personalpaket ist ein neuer Beweis für die Notwendigkeit einer Reform.

Kompromisse sind nichts Schlechtes, im Gegenteil. Die Demokratie lebt davon, dass sich unterschiedliche Gruppen mit widerstreitenden Interessen zusammenraufen. Aber die Spielregeln sollten klar sein und müssen für alle gelten. Genau das war bei den Verhandlungen in Brüssel um das künftige Führungspersonal nicht der Fall. Es soll aber jetzt niemand sagen, dass die EU schwach sei. Nein, die Nationalstaaten und ihre selbstsüchtigen Regierungschefs haben eben wieder ein Stück gemeinsames Europa verhindert.

Nun kann man ja sagen, dass vielen Wählerinnen und Wählern, die im Mai über das neue EU-Parlament abgestimmt haben, nicht so klar war, dass sie auch über die neue Führung der Kommission mitbestimmen können. Aber die großen Parteiengruppen haben Spitzenkandidaten aufgestellt, wie das bei nationalen Wahlen der Fall ist. Schon dieser Vorgang war Macron, Merkel, Orbán und Co. wahrscheinlich gleichgültig.

Sie dachten schon damals daran, dass sie die neue Führung der EU auspackeln würden. Dabei ist besonders bedauerlich, dass ein Pro-Europäer wie der Franzose Macron sich genauso nur aufs Verhindern des deutschen Spitzenkandidaten der Christdemokraten Weber kapriziert hat wie der Anti-Europäer Orbán. Im Kampf um die Macht sind sie einander dann doch ähnlicher, als ihnen lieb ist.

Christine Lagarde ist ganz bestimmt qualifiziert als Chefin der Europäischen Zentralbank. Bei Ursula von der Leyen sind sich nicht alle sicher, ob sie die EU-Kommission besser führen wird als das schwierige deutsche Verteidigungsministerium. Von der Leyen muss noch vom EU-Parlament bestätigt werden, und das ist gar nicht sicher. Wenn sich die Mehrheit der EU-Abgeordneten Mitte Juli gegen die Deutsche entscheidet, dann landet Europa unvermittelt in einer tiefen institutionellen Krise. Mitten in den Brexit-Verhandlungen wäre das fatal.

Direktwahl von Präsidentin/Präsident

Das Parlament wäre also besser beraten, Ursula von der Leyen zu akzeptieren, aber nur unter der Bedingung, dass die Staats- und Regierungschefs sofort zu Verhandlungen über echte Reformen der Europäischen Union bereit sind.

Das beginnt bei der weiteren Stärkung der Rechte des Parlaments und muss einen neuen Wahlmodus für die EU-Führung in fünf Jahren inkludieren. Dann sollten wir eine echte Wahl haben, nämlich zwischen verschiedenen Persönlichkeiten, von denen wir eine zur EU-Kommissionspräsidentin oder zum -präsident wählen.

Da ist dann genug Zeit für Politikerinnen und Politiker sich zu profilieren, die Probleme der Menschen in den einzelnen Mitgliedsländern verstehen zu lernen, auch eine europäische Öffentlichkeit anzusprechen. Die Macht der Regierungschefs würde dadurch geschwächt, aber die EU wäre deutlich gestärkt.

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