Die Dramatik um Mitterlehners Abgang

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Rückzug des ÖVP-Chefs stand seit Tagen fest, Kanzler Kern war vorinformiert.

Der Anruf erreichte den KURIER am vergangenen Donnerstag um 14.35 Uhr. Am Telefon war Vizekanzler Reinhold Mitterlehner. Der ÖVP-Chef wollte eine brisante Botschaft absetzen, aber nicht explizit on records gehen. Das Gespräch fand am Höhepunkt der Affäre um die Hammer&Sichel-Broschüre und am Ende einer weiteren, zermürbenden Woche in der Koalition statt.

Der Inhalt des Gesprächs war Basis für die KURIER-Story am Sonntag: "Mitterlehner droht mit Konsequenzen. Streitgrund sind Neuwahlen. Übergibt er an Kurz?" (siehe Faksimile).

Die Dramatik um Mitterlehners Abgang
für 11.5.2017_PvI 7.5.2017
Später an diesem Donnerstag besuchte Mitterlehner das Trend-"Editors Dinner", danach ging er mit Freunden auf ein Glas Wein. Zu diesem Zeitpunkt hatte Mitterlehner längst beschlossen, aus der Politik auszusteigen. "Er war mit sich im Reinen", erzählt ein Freund des ÖVP-Chefs.

Offen waren zu diesem Zeitpunkt nur die genauen Modalitäten des Rückzugs. Die Gerüchteküche will wissen, Mitterlehner habe überlegt, seine geplante Rede "Zur Lage der Nation" am 15. Mai für die Rücktrittserklärung zu nutzen. Doch das hätte einen Eklat bedeutet, den ihm Vertraute aus Rücksicht auf die ÖVP angeblich ausredeten.

Kurz nicht beim Namen genannt

Wie überhaupt in der ÖVP die Nervosität groß war und ist, Mitterlehner könnte sich im Abgang für die seit einem Jahr schwelende Obmann-Debatte rächen und seinen wahrscheinlichen Nachfolger Sebastian Kurz im Abgang beschädigen.

Wie man bei Mitterlehners Auftritt gestern, Mittwoch, sah, fiel seine Kritik an Kurz jedoch nicht allzu heftig aus, er nannte ihn nicht einmal beim Namen.

Das Kurz-Bashing hatte tags zuvor schon die SPÖ erledigt, indem sie Kurz beschuldigte, hinter den Attacken von Innenminister Wolfgang Sobotka auf den Kanzler zu stecken.

Der jüngste Angriff Sobotkas – ebenfalls im KURIER, und zwar in der Montag-Ausgabe – hat tatsächlich den Ablauf in diesen dramatischen Tagen beeinflusst. Sobotka warf dem Kanzler "Versagen" vor, drohte mit seinem Minister-Veto bei der Bildungsreform und stellte neue Hürden für das Dämpfen der kalten Progression auf.

Aufgrund dieses unabgesprochenen Vorstoßes von Sobotka sah Mitterlehner nochmals eine Möglichkeit, das Blatt zu seinen Gunsten zu wenden. Er wollte Sobotka entlassen. Im Endeffekt hat dieser Versuch aber Mitterlehner die zuvor unklaren Abgangsmodalitäten mehr oder weniger aufgezwungen. Indem die Landeshauptleute, allen voran Niederösterreichs Johanna Mikl-Leitner, Mitterlehners Wunsch abschlugen, war die Sache gelaufen. Die Häme im ORF, wonach die Totengräber schon auf Django warten, erleichterte ihm den Abgang emotional.

Kern schmiedete schon Plan

Kanzler Christian Kern ist auf einen Obmannwechsel in der ÖVP seit Tagen vorbereitet. Der SPÖ-Chef wurde von seinen Kontaktleuten in der ÖVP vorgewarnt, dass diese Situation demnächst eintreten werde. Kern schmiedete einen Plan, den er am Mittwoch ausführte, obwohl noch gar nicht feststeht, ob Kurz jetzt überhaupt Mitterlehners Nachfolge antritt.

Kern bietet Sebastian Kurz Neuverhandlungen des Koalitionspakts an (eine "Reformpartnerschaft"). Der weitere SPÖ-Plan: Sollte Kurz auf das Angebot nicht einsteigen, sondern eine Neuwahl bevorzugen, würde die SPÖ dies als Absage an eine Fortführung der SPÖ-ÖVP-Koalition nach der kommenden Nationalratswahl bewerten. "Dann braucht sich Kurz nach der Wahl gar nicht mehr an die SPÖ zu wenden", heißt es in Kerns engster Umgebung.

Dass der Wechsel an der ÖVP-Spitze Herbstwahlen bedeutet, ist auch der SPÖ klar. Öffentlich gibt sie es nicht zu, denn sie will das Neuwahl-Bummerl der ÖVP zuspielen und einen Wahlkampf gegen Schwarz-Blau führen.

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