Du sollst nicht – oder: Die 10 politischen Gebote der Corona-Pandemie
1. Du sollst niemals etwas ausschließen
Wie oft haben wir in den vergangenen Monaten politische Ansagen gehört, die sich wenig später als falsch erwiesen haben? Dass wir die Pandemie erfolgreich gemeistert haben, dass es keinen Lockdown für Geimpfte mehr geben werde. Das sind nur zwei der Klassiker aus dem Potpourri politischer Ansagen, die das "quod erat demonstrandum" nicht geschafft haben.
Dann kam irgendwann die Delta-Variante oder wie jetzt Omikron, und schon war wieder alles anders. Klar wollen Politiker den Bürgern auch sagen, was die nächsten Monate bringen. Sie wollen auch nach schwierigen Wintern wieder Optimismus in das Land und in die Unternehmen bringen. Denn ein Satz wie "Wir wissen es einfach nicht" ist für einen Politiker in normalen Zeiten ein No-Go. Heute wird er fast zur Selbstverständlichkeit.
2. Du solltest rechtzeitig handeln, nicht zu früh, aber auch nicht zu spät
Die Politik hat zunächst vieles richtig gemacht (Lockdown 1). Doch sowohl im Herbst 2020, als auch in diesem Herbst wurden Schutzmaßnahmen zu spät ergriffen. Die zweite, dritte und vierte Welle war bereits im Anrollen, als erstmals wieder Maskenpflicht, 3- und später 2-G-Regeln erlassen wurden. Da war es viel zu spät. Schlussendlich reichten in beiden Jahren nur noch Lockdowns, um eine Überlastung der Intensivstationen zu verhindern.
Aber auch anders herum kann es schief gehen. Der zweite Gesundheitsminister in der Pandemie-Zeit Wolfgang Mückstein präsentierte heuer im Herbst einen Drei-Stufen-Plan, der später zum 5-Stufen-Plan wurde. Und schon in Phase 2 wurden härtere Maßnahmen verhängt als geplant. Als Stufe 5 erreicht wurde, redete schon niemand mehr von seinem Plan. Auch farbenfrohe Pläne nutzten nichts: Das Ampelsystem war schon drei Wochen nach seiner Einführung obsolet. Plötzlich war alles rot, Maßnahmen folgten aber noch nicht. Und: Wissen Sie eigentlich genau, welche Ampelfarbe Ihr Bundesland gerade hat?
3. Du solltest Kurse in Exponentialrechnung besuchen
Sie war für viele schon in der Schule eine Zumutung. Ihr Gegenstück, das Wurzelziehen, verursachte bei vielen Jugendlichen ähnliche Schmerzen wie die gleichnamige Behandlung beim Zahnarzt. Dabei hat es uns schon die indische Legende vom Schachbrett und den Reiskörnern gezeigt, wie verflixt die ständige Verdoppelung einer ganz kleinen Menge sein kann. Der Erfinder des Schachspiels wollte vom indischen König Sher Khan nur ein Reiskorn auf dem ersten Feld - und dann auf jedem weiteren Schachfeld doppelt so viele wie auf jenem davor. Die Berater des Königs lachten ob der scheinbar geringen Belohnung und sagten ihm diese zu. Dann fragte der König, wie viele Reiskörner es denn seien. 18.446.744.073.709.551.615 Reiskörner war die Antwort (in Worten sind das 18 Trillionen, 446 Billiarden, 744 Billionen, 39 Milliarden, 484 Millionen, 29 Tausend, 952 Reiskörner). Da lachte der König schallend. Er ließ den Mann zu sich rufen und machte ihn zu seinem neuen Berater. Also: Mathematik will gelernt und sein, und die Analysen der Experten - seien es Niki Popper und Twitter-Ikone Erich Neuwirth - hatten so gut wie immer recht.
4. Du sollst auf Wissenschaft und Forschung hören
Auch wenn die Politik letzten Endes selbst Entscheidungen treffen muss. der Ratschlag der Experten aus der Wissenschaft war nicht immer gerne gehört. Denn zu sehr orientierte man sich an Umfragen oder bevorstehenden Landtagswahlen. In Deutschland krachten zuletzt der neue Gesundheitsminister (und selbst Arzt) Karl Lauterbach und der Chef des Roland-Koch-Instituts Lothar Wieler öffentlich zusammen. Wieler hatte strengere Kontaktbeschränkungen wegen Omikron verlangt, und zwar schon vor Weihnachten. Lauterbach, der wenige Wochen zuvor noch seinen Vorgänger Jens Spahn scharf und fortlaufend wegen dessen zu lascher Corona-Politiker kritisierte, wollte davon nichts hören und nahm seinen Wissenschafts-Chef unter Beschuss. Wirklich vielsagend war dann Lauterbachs Statements in der Bundespressekonferenz in Berlin, als er gefragt wurde, ob er Wieler nicht mehr vertraue. Lauterbach dazu: "Wenn ich ihm nicht vertrauen würde, säße er nicht mehr hier". Also: Der Politiker schafft an, im Zweifel zählt bei Meinungsverschiedenheiten jene des Politikers.
5. Du solltest wissen: Politiker gehen, die Pandemie bleibt
Natürlich sind nicht alle Rücktritte der letzten Monate auf Corona zurückzuführen. Sebastian Kurz und Gernot Blümel mussten wegen einer (noch nicht bewiesenen) Inseraten-Affäre und Anschuldigungen wegen einer (nicht bewiesenen) Novomatic-Intervention gehen. Rudolf Anschober hingegen war eindeutig Opfer der aufreibenden Monate wegen der Pandemiebekämpfung. Auch sein Nachfolger Wolfgang Mückstein wirkte bereits angezählt. Ob der Wechsel in Deutschland auch mit dem Corona-Frust der Bürger zu tun hatte, ist schwer nachweisbar. Aber klar ist, dass die zunehmende Frustration in der Bevölkerung für die Regierenden kein Rückenwind ist. Ganz anders war das noch zu Beginn der Pandemie, als das entschlossenene und harte Durchgreifen der Kurz/Kogler/Anschober/Nehammer-Koalition die ÖVP und die Grünen in Umfragehochs brachte, von denen beide Parteien heute weit entfernt sind. Sie schaffen nicht einmal gemeinsam mehr jenen Wert, den die ÖVP alleine im Frühsommer 2020 hatte (45 Prozent). Und auch die größte Oppositionspartei SPÖ schafft trotz einer Pandemieexpertin an der Spitze keinen Sprung nach vorne.
6. Du sollst rasch einen echten Pandemieplan haben
Der letzte gültige Pandemieplan für Österreich ist rund 15 Jahre alt. Zuständig im Gesundheitsministerium war lange eine Sektionschefin mit dem Namen Pamela Rendi-Wagner, später war sie auch als Gesundheitsministerin in dieser Verantwortung. Schon viele Jahre zuvor, als Experten erstmals vor der furchtbaren Vogelgrippe H5N1 warnten, kaufte die damalige Gesundheitsministerin Maria Rauch-Kallat hunderttausende Masken, wofür sie verspottet wurde, später auch angezeigt (weil ihr Ehemann am Deal mitwirken sollte). Im März 2020 standen wir dann aber ziemlich nackt da. Keine Masken mehr (ein Zahnarzt erzählte, dass er um 30 Euro pro Stück FFP3-Masken kaufen musste, wenn er überhaupt welche bekam), Schutzkleidung für Ärzte und Pfleger wurde knapp. Und bei der Bestellung der Impfungen zeigte auch die EU, dass sie offenbar gerade erst begonnen hat, sich mit solchen Problemen auseinander zu setzen. Noch schlimmer die WHO: Monatelang brauchte sie, um sich zu Erkenntnis durchzuringen, dass Maskentragen nützlich sein kann. Wir haben nun viel aus dieser Pandemie gelernt, und vielleicht war sie daher sogar ein Glücksfall. Denn käme mal ein echtes Killer-Virus zu uns, mit weit höheren Sterberaten als das in dieser Hinsicht eigentlich harmlose Covid-19, bräuchten wir fertige Pläne in den Schubladen, für Gesetze, Schutzmaßnahmen aber vor allem eine krisenfeste Projektorganisation. Denn die Verwaltung funktioniert auch jetzt in vielen Bereichen gut, aber in der Krise ist noch mehr gefragt, mehr Schnelligkeit, mehr Durchsetzungsfähigkeit. Die Gecko unter militärischer Co-Führung kann nur der erste Schritt dazu sein.
7. Du wirst es in den Schulen niemanden recht machen können
Zunächst waren die Schulen zu, da gab es Kritik daran. Dann waren die Schulen offen, auch dann hagelte es Kritik. Es wurde so viel getestet wie nirgendwo sonst (das was in den meisten Betrieben passiert ist ein Klacks dagegen), schon gab es Kritik am Testsystem. Und wenn die Schulen in den Ferien sind, kritisiert man, dass nun der Ninja-Pass als Ausweisdokument nicht mehr gelte. Wenn der Minister sagt, die Kinder könnten zur Betreuung gebracht werden, wird geraunt, dass man sich jetzt nicht mehr auskenne. Wenn nach einem Corona-Fall eine ganze Klasse geschlossen wird, passt das für die einen nicht, wenn nur der Sitznachbar heimgehen muss wieder um den anderen nicht. Wenn beim Distance-Learning was nicht funktioniert .... Der abgetretene Bildungsminister Heinz Fassmann weiß wohl ein Lied davon zu singen. Eigentlich wollte er ja bleiben und war zunächst enttäuscht über seine Ablöse. Vielleicht ist er nun froh, dass Omikron nicht mehr sein Bier sein wird. Das liegt jetzt in steirischer Hand, weil eben die Steiermark auch einen Minister brauchte. Gut, besser, Polaschek?
8. Du sollst die Heilige Kuh Skifahren nicht opfern
Wenn in Österreich selbst im härtesten Lockdown noch irgendetwas ging, dann waren das die Skilifte. Selbst beim letzten November-Lockdown rutschten die Seilbahnen in letzter Sekunde noch in die Ausnahmeregelung und durften weiterfahren. Dem Argument, dass sie ja ein unverzichtbares Verkehrsmittel seien, ist ja auch etwas abzugewinnen. Wer sich schon mal in einem Skigebiet bei der Gondel oder dem Sessellift angestellt hat, weiß natürlich, dass die meisten dort nicht zum Skifahren sondern wie zu einem Zug gekommen sind, um von A nach B zu gelangen. Und wem diese Argumente nicht reichen, der muss mit der Bedeutung des heimischen Wintertourismus für die österreichische Volkswirtschaft indoktriniert werden. Immerhin sind ja 7 Prozent unseres BIP vom Wintertourismus abhängig. Ja eh. Dennoch: Der Autor dieser Zeilen bekennt sich dazu, dass es sinnvoll sei, die Lifte offen zu halten. Skifahren ist für viele Sport, und den sollte man nicht verbieten. Auf der Piste wird sich niemand anstecken, auf den Terrassen der Skihütten auch eher nicht. In der Gondel muss Maske getragen werden, Apres-Ski geht halt echt nicht. Das gleiche muss dann aber auch für andere Sportanlagen, insbesondere Tennishallen (ohne anschließende Kantine), gelten.
9. Du sollst auf digitale Lösungen setzen
Lange haben wir in Österreich die Digitalisierung verschlafen. Mittlerweile führen wir Videokonferenzen als hätten wir nie etwas anderes gemacht. Der Grüne Pass funktioniert, da den QR-Code aber kaum jemand beim Einlass scannt oder mit dem Ausweis vergleicht, taugt er nur halb so viel, wie er könnte. Start-ups sollen schon die Ausweisintegration in den Grünen Pass angeboten haben, werden aber von den Behörden bisher nicht erhört. Zum echten Rohrkrepierer wurde die gut gemeinte App "Stopp Corona" des Roten Kreuz. Hat Ihre App schon einmal angeschlagen? Nein? Glauben Sie dass Sie schon mal irgendwann mit einem Infizierten in Kontakt waren? Ja? Na also. In den Papierkorb damit. Die Regierung unterliegt in diesem Bereich einem seltsamen Zustand der Schwerfälligkeit? Denn was hätte es die sich Digitalisierungministerin nennende Margarete Schramböck gekostet, die besten IT- und Coding-Köpfe des Landes zu einem Mega-Hackathon zusammenzutrommeln und die Pandemie echt digital zu bekämpfen? Ist es die oft unbegründete Angst vor dem Datenschutz?
Und 10. Du sollst die zerstörende Kraft von Fake News auf Social Media nicht unterschätzen
Wer mal in die Blase der haarsträubenden Fake News über Corona gekommen ist, der kann sich dessen Kraft kaum mehr entziehen. Nichts ist zu blöd, als nicht geglaubt zu werden. Weltverschwörung, Chipimplantate in den Impfungen, die Abschaffung des EURO durch Corona, Hubschrauber aus denen Impfstoff versprüht wird etc. Die Zahl an Mails, die man als Journalist nach Corona-Story mit Inhalten bekommt, die man in normalen Zeiten an den Amtsarzt weiterleiten müsste, wird von Mal zu Mal größer. Der Erfinder und Mastermind des Satireportals "Die Tagespresse", Fritz Jergitsch, hat ein Buch über die zerstörende Kraft von Social Media geschrieben, das hier jedem empfohlen sei (Titel: „Die Geister, die ich teilte“). Dabei ist die Tagespresse nur durch Social Media groß geworden. Es wird Zeit, dass auch in diesen Sozialen Medien klar erkennbare Falschnachrichten für deren Verfasser Konsequenzen bringen sollten. Eine Kollegin wurde vom österreichischen Presserat gerügt, weil sie zu Beginn der Pandemie eine Rezeptur fürs Selbermischen von Handdesinfektionsmittel veröffentlichte. Das Verbreiten von gestörten Nachrichten, bleibt jedoch konsequenzenlos. Auch hier muss man für eine ernste Krise mit entsprechenden Maßnahmen gerüstet sein. Denn wenn bei einem Erdbeben, Blackout oder - Gott behüte - einem Krieg die Verschwörer informieren, dann herrscht echt gefährliches Chaos.
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