Der Wettlauf um die liberale Mitte

Der Wettlauf um die liberale Mitte
Sebastian Kurz nimmt Kurs auf das politische Zentrum, mit Pamela Rendi-Wagner bleibt auch die SPÖ im Spiel

Seit dem Ende der Sommerpause sind die Anzeichen unübersehbar: Kanzler Sebastian Kurz segelt auf einem korrigierten Kurs in Richtung der politischen Mitte.

Hatte Kurz im Wahlkampf und während seiner ersten Amtsmonate praktisch monothematisch über Migration geredet, sendet er nun immer öfter Signale, die ihn in ein milderes Licht tauchen sollen als die Krakeeler vom rechten Rand.

Einige Beispiele: Kurz forciert den liberalen Pro-Europäer Othmar Karas als EU-Kommissar, trifft sich öffentlichkeitswirksam mit den Sozialpartnern, legt beim Kürzen der Arbeitsmarkt-Mittel den Retourgang ein, stockt das Geld für Kindergärten auf, spricht sich ohne Wenn und Aber für die Umsetzung des Verfassungsgerichtshoferkenntnisses zur Homo-Ehe aus.

Die Kanzler-Strategen stellen gar nicht in Abrede, dass sie einen neuen Kurs setzten. Nur über die Gründe schweigen sie sich aus.

Die liegen aber ohnehin auf der Hand. Die Einführung des 12-Stunden-Tags hat Kurz einen kleinen, aber doch merkbaren Dämpfer in seinen insgesamt glänzenden Zustimmungsraten eingebracht. Besonders Wähler, die Kurz aus anderen politischen Lagern anziehen konnte, reagierten über das Arbeitszeitgesetz ernüchtert.

Im großen Design geht es für Kurz darum, mit einem illiberalen, unsozialen Kurs nicht die politische Mitte an Neos und SPÖ zu verlieren.

An diesem Punkt kommt der Wechsel an der SPÖ-Spitze ins Spiel.

Expertin statt Funktionärin

Pamela Rendi-Wagner ist für urbane Mittelschichten das attraktivere Angebot als Doris Bures. Letztere wäre ein rotes Kernwählerprogramm gewesen (siehe Umfrage auf Seite 6).

Mit Rendi-Wagner als Frontfrau bleibt die SPÖ im Wettlauf um die liberale Mitte im Rennen. Die Medizinerin ist keine klassische Funktionärin, sondern eine Expertin. Ihr Fachwissen im Gesundheitsbereich kommt politisch gerade recht: In den kommenden Jahren will die Regierung das gesamte Krankenkassenwesen neu aufsetzen. Dabei werden wohl noch mehr Schmähparaden wie zuletzt auffliegen, als die Regierung eine Milliarde Einsparung „im System“ versprach, aber tags darauf nur 33 Millionen ins Gesetz schrieb.

Über Nacht verdampften 970 Millionen, die laut Regierung den Patienten zugute kommen sollten.

Rendi-Wagners Schwachstelle sind ihre Parteifunktionäre. Die Frage wird sein, ob die neue Parteichefin von den eigenen Leuten unterstützt wird, oder ob, wie in vielen sozialdemokratischen Parteien in Europa, Macht- und Richtungskämpfe ausbrechen.

Personelle Verengung

Die innerparteiliche Mehrheit für Rendi ist der SPÖ ja unabsichtlich widerfahren, denn rein von der Machtarithmetik her hätte der Kernwählerflügel um Michael Ludwig und die Gewerkschafter das größere Gewicht. Nur – dieser Teil der SPÖ hatte keinen Kandidaten bei der Hand, weswegen er das Match um die Parteispitze verlor. Das wirft noch im Nachhinein ein Schlaglicht auf die – auch personelle – Verengung in der Zeit von Werner Faymann. Er war acht Jahre Regierungschef und hinterließ keine Personalreserve, während Kern nach nur wenigen Monaten im Kanzleramt eine Parteichefin aufbaute.

Regierungsklausur 2019

Die türkis-blaue Bundesregierung gibt sich angesichts der Vorgänge in der SPÖ betont gelassen. Während die SPÖ mit internen Turbulenzen beschäftigt war, setzte sich eine Arbeitsgruppe der türkis-blauen Regierung zusammen, um die Herbstarbeit im Detail und die restliche Legislaturperiode im Großdesign zu planen. Beteiligt waren die Kabinette von Kanzler Kurz und Vizekanzler Heinz-Christian Strache sowie die Stäbe der Regierungskoordinatoren Gernot Blümel und Norbert Hofer. Auch die Pressesprecher gesellten sich zu der 12-köpfigen Strategiegruppe, die acht Stunden lang die kommenden, gemeinsamen vier Jahre plante. „Eine derart vertrauensvolle Zusammenarbeit gab es unter Rot-Schwarz nie“, schwärmt ein ÖVPler und meint, Türkis-Blau wolle über die nächste Wahl hinaus zusammen bleiben. Nach Ende der EU-Präsidentschaft wird Türkis-Blau im Jänner 2019 mit einer Klausur durchstarten.

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