Der erste Schultag nach der Flucht: Neues Zuhause, neue Sprache, gleiche Pause

Der erste Schultag nach der Flucht: Neues Zuhause, neue Sprache, gleiche Pause
Aus dem Kriegsgebiet nach Pinkafeld: Wie Schule und Kinderdorf zuerst für ein Gefühl der Sicherheit und dann für Integration sorgen sollen.

Das E-Piano funktioniert nicht. Der Herr Lehrer soll herausfinden, woran es hapert, denn ein Schüler möchte vorspielen, was er kann. Einige seiner Klassenkollegen liefern sich derweil ein hartes Match am Wuzeltisch. Dahinter hängen einige Mädchen, mehr als dass sie sitzen, auf Sitzsäcken und zeigen einander etwas auf dem Handy.

Ob Krywyj Rih in der südlichen Ukraine oder Pinkafeld im Burgenland: Wahrscheinlich ähneln einander alle großen Pausen auf der Welt auf die eine oder andere Art.

Doch diese große Pause ist eine besondere. Es ist die erste, die die aus der Ukraine geflüchteten Kinder an der Volksschule bzw. Mittelschule in Pinkafeld verbringen. Zwei Klassen hat man hier eingerichtet – eine für die sechs- bis zehn-Jährigen, die andere für die zehn bis 17-Jährigen.

15 der Kinder leben mit ihren Pflegemüttern im SOS Kinderdorf in Pinkafeld. Sie waren schon Zuhause in der Ukraine in einem Kinderdorf. Als der Krieg begann, sind sie vor einigen Wochen mit ihren Pflegemüttern geflohen. Vom Kinderdorf wurden sie mit den benötigten Schulutensilien ausgerüstet. 

Das SOS Kinderdorf  unterstützt aber noch in mehreren Bereichen die Ukraine Hilfe, etwa bei Familienzusammenführungen oder der Suche nach spezielle Unterkünften, etwa für Familien mit Kinder mit besonderen Bedürfnissen, außerdem steht sein Spendenlager den Vertriebenen aus der Ukraine zur Verfügung. Für Kinder von Vertriebenen, die auf der Durchreise sind, wurde beim Wiener Hauptbahnhof auch eine eigener Bereich eingerichtet, wo die Kinder betreut werden und spielen können. Kurz: während der Anstrengungen auf der Flucht einmal Kind sein können. 

Mit App und Übungsblatt

„Jetzt sollen die Kinder einmal ankommen, ein Gefühl der Sicherheit bekommen und ein bisschen Deutsch lernen“, sagt Schuldirektor Rainer Tiefengraber. Das ist eine Herausforderung – auch für die Pädagogen, denn die sprechen kein Ukrainisch. Eine Dolmetscherin soll vorerst einmal helfen, außerdem ist Lehrer Markus Wagner Pragmatiker: „Ich habe mir eine Übersetzungsapp heruntergeladen“, sagt er. Und weil es noch keine passenden Lehrbücher gibt, hat er kurzerhand selbst Übungsblätter mit den wichtigsten Vokabeln zusammengestellt. Schwierig sei dabei vor allem bei den Älteren, dass die Jugendlichen über einen sehr unterschiedlichen Wissensstand verfügen. Während einige von ihnen gutes Englisch sprechen, können die anderen nur kyrillische, aber keine lateinischen Buchstaben entziffern.

Am ersten Schultag ist das freilich noch einigermaßen egal. Wenn sich ihr Lehrer bei der Vorstellungsrunde alle Mühe gibt, die Namen seiner Schüler mit perfekter Betonung auszusprechen und dabei scheitert, bringt sie das zum Lachen. Und wenn die Kinder lachen, lacht auch Markus Wagner.

Der erste Schultag nach der Flucht: Neues Zuhause, neue Sprache, gleiche Pause

Und untereinander? Sprechen die Schüler über die Flucht und über den Krieg Zuhause? „Ich hätte so etwas nicht mitbekommen“, sagt die Dolmetscherin. Allerdings gehen viele der Kinder momentan davon aus, in ein paar Wochen wieder Zuhause zu sein.

Aus der Klasse sind unterdessen erste deutsche Sätze zu hören. „Zu mir“, sagt eine helle Stimme. Und kurz darauf: „Danke“. Die Kinder werfen einander quer durch den Klassenraum einen Ball zu.

Wahrscheinlich ähneln einander alle großen Pausen auf der Welt auf die eine oder andere Art. 

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