Jetzt reden die Lehrer
Bundeskanzler Werner Faymann will die Verhandlungen über ein neues Lehrerdienstrecht noch bis Ende Juni abwarten. Sollte es bis dahin noch immer keine Lösung geben, erklärt er gegenüber dem KURIER, will er gemeinsam mit Vizekanzler Michael Spindelegger die Verhandlungen mit der Gewerkschaft übernehmen.
Und die Lehrer selbst? Viele Bürger haben den Eindruck, dass sie sich mit Händen und Füßen gegen Mehrarbeit wehren und nicht den ganzen Tag an den Schulen verbringen wollen – obwohl sie 13 Wochen Ferien haben und der Druck in der Arbeitswelt enorm gestiegen ist. Stimmt das böse Klischee? Wie geht es den Lehrerinnen und Lehrern damit, als Buhmänner und -frauen der Nation dazustehen? Fühlen sie sich durch die Gewerkschaft gut vertreten?
Derlei Fragen hat der KURIER Pädagogen gestellt – und interessante Antworten darauf bekommen.
„Lehrer gehören natürlich den ganzen Tag in die Schule"
Der 54-jährige Lehrer, der an einer Neuen Mittelschule in Wien-Währing tätig ist, verbringt teilweise den ganzen Tag dort. Der Sonderpädagoge hat allerdings ein Büro samt Computer: „Da bin ich die Ausnahme.“
Viele in seinem Kollegenkreis würden sagen: „Natürlich gehören wir heutzutage den ganzen Tag in die Schule. Das Berufsbild hat sich verändert. Es würde den Kindern in den Pflichtschulen, vor allem in Ballungsräumen, gut tun, wenn sie bis 16 oder 17 Uhr bei uns wären – und wir sie nicht an Parks und Shoppingcenter verlieren würden.“ Bei passenden Rahmenbedingungen (Freiflächen, Freizeiträume etc.) würden Schüler und Lehrer profitieren: „Es würde sich das Verhältnis intensivieren und dadurch verbessern. Außerdem müssten wir nicht mehr kistenweise die Sachen zwischen Schule und Wohnung hin- und hertragen.“
Auch bei den Ferien sieht Glattauer Änderungsbedarf: „Es geht nicht, dass wir drei Monate im Jahr die Schulen dichtmachen.“ Der Pädagoge würde die Sommerferien auf fünf bis sechs Wochen reduzieren, die Schulen in der Zeit aber nicht schließen. „Es gibt genug Studenten, Freizeitpädagogen, aber auch Lehrer, die dort einen Betreuungs- und Nachhilfebetrieb aufrechterhalten könnten.“ Die übrigen Ferien sollten von den Schulen autonom über das Jahr verteilt werden, schlägt Glattauer vor.
Was hält er von den Standesvertretern? „Gewerkschaften sind wichtig, ich fühle mich durch meine aber nur teilweise vertreten.“ Was stört ihn? „Dass die Gewerkschaft teils Parteipolitik macht.“
Klar sei auch, dass alle Lehrer in etwa gleich viel verdienen sollten. Dass manche Standesvertreter suggieren, Volksschullehrer hätten einen weniger anstrengenden Job als AHS-Lehrer findet Glattauer „ganz schrecklich“.
„Nach vier Stunden bin ich schweißgebadet.“ So beschreibt der Volksschuldirektor aus Vorarlberg den Unterricht in einer 1. Klasse, in der verhaltensauffällige und Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf integriert sind. „Du sollst als Lehrer dabei auf jedes Kind eingehen und es fesseln. Die Volksschule ist eine Gesamtschule, die aber nicht die Mittel hat wie die Neue Mittelschule, wo in vielen Fächern zwei Lehrer in der Klasse stehen, obwohl man sie nicht immer braucht.“
Dragosits und seine Kolleginnen stehen oft allein mit 22 Kindern in der Klasse und müssen einen Spagat schaffen: „Die Verhaltensauffälligen darf ich nicht nur ruhigstellen, sondern muss dafür sorgen, dass sie etwas lernen. Den Hochbegabten soll ich fördern und das schüchterne Kind aufs Klo begleiten.“ Jedem Schüler gerecht zu werden, sei nicht möglich. Dabei sind die ersten Schuljahre wichtig: „Wer Kinder fördern will, der muss sie früh fördern. Im derzeitigen System ist das kaum möglich“, sagt Dragosits und fordert mehr Ressourcen für diesen Schultyp. Er hat daher die Initiative „Rettet die Volksschule“ mitgegründet, die sich genau das zum Ziel setzt. Mit Erfolg: „Im Ländle bekommen wir ab kommendem Schuljahr freie Ressourcen für Teamteaching und Einzelförderung.“
Sissi Nielson liebt ihren Beruf. Dennoch vermeidet sie es, mit Menschen darüber zu reden, die sie kaum kennt. Die AHS-Lehrerin einer Wiener Mittelschule wurde einmal so beschimpft, „dass ich angefangen habe zu heulen. Da arbeite ich bis zum Umfallen und muss mir dann sagen lassen, ich sei faul. Ich verbringe 27 Wochenstunden, vormittags wie nachmittags, mit Kindern. Elterngespräche, Vorbereitung und Teamsitzungen kommen dazu. In Summe komme ich auf 50 Stunden.“ Das Stundenzählen hält Nielson allerdings für „kleinkrämerisch“, weil es am Thema vorbeigehe.
„Lehrerinnen und Lehrer leiden unter einem Schulsystem, das ihnen kaum Luft zum Atmen lässt. Wir erhalten zu viele Vorgaben. Lasst uns doch machen. Wir haben gute Ideen und wissen, wie es besser ginge: Blockunterricht, fächerübergreifendes Lernen oder altersgemischte Gruppen würden zu besseren Ergebnissen führen.“
Sollten alle Lehrer gleich bezahlt werden? „Ja. Und auch gleich ausgebildet. Alle sollten an die Universität, die sich pädagogisches Know-how von den Pädagogischen Hochschulen holen könnten.“ Die Ausbildung sollte so sein, dass „Lehrer zwischen den Schultypen wechseln können. Kein Mensch will ein Leben lang immer nur das Gleiche machen. Volksschüler fordern etwas anderes von dir als pubertierende Hauptschüler oder Gymnasiasten.“
„Schule ist wie Fußball. Jeder Österreicher meint, da könne er mitreden“, sagt Andrea Motamedi, Deutsch-Lehrerin an einer HAK in Wien. All diese abfälligen Bemerkungen über Lehrer nimmt sie „einfach nur noch zur Kenntnis“.
Dass es demotivierte Lehrer gibt, ist Motamedi bewusst: „Ich bin ja auch Mutter und verstehe Schüler und Eltern, die sich über diese Kollegen aufregen.“ Doch es gibt auch sehr viele gute Pädagogen. Ihr Wunsch: „Ich will in den Medien auch einmal lesen, dass der Lehrberuf eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe ist. Schließlich bereiten wir junge Menschen auf das Leben vor.“
Die Diskussion um zwei Stunden Mehrarbeit ist für Motamedi „nur die Spitze des Eisbergs. Bevor wir darüber reden, müsste man über die Arbeitsbedingungen diskutieren. Ich arbeite z. B. zu Hause, weil es in der Schule zu wenig Computer gibt.“ Überhaupt: „Wenn ein Arbeitsinspektor die Schulen besuchen würde, müsste er viele sofort schließen. Oft sind die Lehrer- und die Klassenzimmer viel zu klein.“
Was sie sich von der Gewerkschaft wünscht? „Sie soll sich für bessere Arbeitsplätze einsetzen und dafür sorgen, dass Lehrer nicht gegeneinander ausgespielt werden.“ Die Professorin hat etwa großen Respekt vor den Volksschullehrern: „Die legen die Basis, auf die wir später aufbauen können. Sie verdienen deshalb auch die gleiche Bezahlung.“
Georg Neuhauser (60) unterrichtet seit fast 20 Jahren in der HAK-Steyr Biologie, Physik und Chemie, ist aber auch in der Lehrerfortbildung tätig.
Wie geht es ihm mit dem schlechten Image der Lehrer? „Ich leide nicht darunter, weil ich weiß, dass ich gute Arbeit mache. Ich erlebe immer wieder auch im Umgang mit Eltern ein hohes Maß an Wertschätzung.“ Ein Teil des schlechten Images sei auch selbst verschuldet: „Die Lehrer lassen zu viel die Gewerkschaft für sich sprechen.“ Neuhauser war nie Mitglied, weil er sich nie gut vertreten gefühlt habe. Leute wie er seien „von Teilen der Gewerkschaft als Verräter hingestellt worden, weil wir dafür sind, dass Lehrer mehr Zeit in der Schule verbringen. Dass damit für Lehrer ein Benefit verbunden ist, ist nie in Betracht gezogen worden.“ Pädagogen könnten bei Vorbereitungen kooperieren, sich bei Problemen austauschen, Gespräche mit Schülern führen. Natürlich fehle es teils an Infrastruktur. Daran sei aber auch die Gewerkschaft schuld, sie habe nicht auf Veränderungen gedrängt, „weil sie auf keinen Fall mehr Präsenz an den Schulen erreichen wollten“. Was ärgert ihn noch? „Im Schulbereich werden viel zu viele Leitungsposten noch parteipolitisch bestellt. In Skandinavien sind politische Parteien in den Schulen überhaupt kein Thema.“
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