Plakolm über Sozialhilfe: "Wir müssen eine massive Schieflage lösen"

Claudia Plakolm
Wie die Integrationsministerin die Sozialhilfe reformieren will. Für Vollzeitkräfte fordert sie zudem Steuersenkungen, Geschlechtsumwandlungen bei Minderjährigen findet sie nicht richtig.

Claudia Plakolm (ÖVP), Bundesministerin für Integration, Familien und Europa, ist zuversichtlich, was die nächsten Reformvorhaben betrifft.

KURIER: Mit wem macht das Regieren mehr Spaß: Mit den Grünen oder mit SPÖ und Neos?

Plakolm: Die ersten Monate der neuen Bundesregierung sind sehr vielversprechend. Wir haben in einem ordentlichen Tempo viel weitergebracht und ich bin zuversichtlich, dass es so weitergeht.

Wie optimistisch sind Sie, dass die ÖVP wirtschaftspolitische Kernanliegen, wie eine Lohnnebenkostensenkung, noch umsetzen kann?

Auch hier bin ich zuversichtlich. Gerade in budgetär herausfordernden Zeiten kommt es darauf an, die Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung zu stärken. Und dafür müssen wir eine massive Schieflage lösen: Es muss einen deutlichen Unterschied machen, ob ich jeden Monat mein Einkommen aus einer Sozialleistung oder einer Erwerbstätigkeit beziehe. Wer arbeitet, muss am Monatsende immer mehr Geld zur Verfügung haben als jener, der den bequemen Weg geht.

Also ist der Unterschied derzeit nicht groß genug. Was würden Sie ändern?

Der Unterschied muss spürbarer werden. In meinem Zuständigkeitsbereich hängt das eng mit der Integration zusammen – und künftig auch mit Sanktionen.

Asylberechtigte sollen zum Beispiel erst nach einer dreijährigen Integrationsphase die volle Sozialhilfe erhalten. Für diesen Zeitraum wollen Sie eine Integrationsbeihilfe einführen. Ist absehbar, wie groß der Unterschied zur Sozialhilfe sein wird?

Die Integrationsbeihilfe wird definitiv keine Sozialhilfe mit neuem Türschild. Sie wird deutlich niedriger als die Sozialhilfe sein und in der Höhe variieren. Der Anreiz muss sein, dass Asylberechtigte die Integrationsphase erfolgreich absolvieren und arbeiten gehen.

Sie fordern auch Sanktionen für Asylberechtigte, die an Sprach- oder Wertekursen nicht teilnehmen. Wie hoch sollen diese finanziellen Strafen ausfallen?

Das muss immer im Einzelfall beurteilt werden und verhältnismäßig sein. Das EU-Recht gibt uns hier aber Möglichkeiten, wie die Statusverordnung ab 2026, die wir nutzen werden. Derzeit sind 48.000 subsidiär Schutzberechtigte und Asylberechtigte in Österreich arbeitslos. Und im ersten Quartal hatten wir 40.000 offene Stellen in der Produktion, wo nicht übermäßige Deutschkenntnisse nötig sind. Die Sozialleistungen sind ein guter Hebel, um diese Menschen zur Arbeit zu bringen.

All diese Punkte sind abhängig von der Sozialhilfereform. Sozialministerin Korinna Schumann klopft die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen ab. Geht das schnell genug?

Für die Sozialhilfe sind die Bundesländer verantwortlich, deshalb brauchen wir alle Partner an Bord. Sie ist sicherlich eines der größten Vorhaben im Regierungsprogramm, die Verhandlungen werden intensiv sein.

Stehen Sie für eine Sozialhilfereform zur Verfügung, bei der nur Mindeststandards gesetzt werden, wie es die SPÖ will? Die syrische Großfamilie in Wien mit elf Kindern würde dann weiterhin 9.000 Euro bekommen.

Mein Zugang ist klar: Sozialleistungen müssen als Anreiz verwendet werden, mehr Menschen in Beschäftigung zu bringen. In den letzten Jahren waren die extrem hohen Standards ein Magnet für Zuwanderung. Gleichzeitig haben sie bewirkt, dass viele nicht die Notwendigkeit gesehen haben, sich zu integrieren – weil sie auch ohne Job ein paar Tausender im Monat bekommen. Das darf einfach nicht sein.

Der VfGH hat 2019 den Höchstsatz von Türkis-Blau ja gekippt. Was machen Sie, wenn das Sozialministerium bemerkt, dass Obergrenzen verfassungswidrig sind?

Der Bund ist dafür verantwortlich, einen Rahmen vorzugeben. Besonders groß sind die Unterschiede zwischen den Bundesländern bei den Mehrkindfamilien. Ich plädiere dafür, dass wir nicht für jedes Kind dieselbe Geldsumme extra draufschlagen. Jedes Kind ist gleich viel wert, aber nicht jedes Kind kostet gleich viel. Auch bei mir zu Hause wurden gewisse Gegenstände wie Kinderwagen, Kleidung oder Spielsachen von Kind zu Kind weitergegeben.

Laut Statistik Austria wächst Österreichs seit Jahren nur noch aufgrund der Migration. Gleichzeitig sagen Sie: „Wir können und wollen nicht mehr Menschen aufnehmen.“ Wäre es besser, unsere Bevölkerung würde schrumpfen?

Die Menschen, die nach Österreich kommen, um zu arbeiten, die berufliche Erfahrung und Fleiß mitbringen, sind jederzeit herzlich willkommen. Qualifizierte Zuwanderung brauchen wir in vielen Branchen. Klar davon zu differenzieren ist die Migration, die wir üblicherweise in den letzten Jahren erlebt haben – in erster Linie Zuwanderung ins Sozialsystem und die Arbeitslosigkeit.

Stimmt es Sie zuversichtlich, dass sich Syrer Österreich besonders zugehörig fühlen?

Natürlich ist das eine positive Sache. Aber man sollte sich nicht nur zugehörig fühlen, sondern auch tatsächlich etwas leisten, um Teil der Gesellschaft zu werden: Deutsch lernen, arbeiten, sich an unsere Regeln und Werte halten. Und das ist eine Bringschuld.

Österreich hat ein demografisches Problem. Mittlerweile sind 20 Prozent der Bevölkerung 65 oder älter. Wer soll mittel- und langfristig den Arbeitskräftebedarf abfedern?

10.000 Leute pro Jahr, die über die Rot-Weiß-Rot-Karte kommen, werden nicht reichen. Es braucht mehrere Hebel. Wir können auch darüber sprechen, welchen Wert Arbeit insgesamt hat und welchen Sinn junge Menschen in Arbeit sehen.

Was meinen Sie damit?

Etwa den allgemeinen Vorwurf, der jüngeren Generation gehe es nur um Work-Life-Balance und sie sei auch ohne Kinder nicht mehr bereit, Vollzeit zu arbeiten. Selbst, wenn zwei Leute Vollzeit arbeiten, ist das schon lange nicht mehr selbstverständlich, sich eigene vier Wände leisten zu können. Und dann hinterfragen manche natürlich, warum sie überhaupt arbeiten sollten. Hier müssen wir wieder über Anreize sprechen – also Entlastungen und Steuersenkungen.

Also ist es keine Work-Life-Balance-Generation, sondern die Anreize sind derzeit die falschen?

Davon bin ich überzeugt. Junge Paare aus meinem Freundeskreis haben keine Chance auf einen Kredit für eine Eigentumswohnung und arbeiten jetzt lieber 30 Wochenstunden. Ohne Kinder kommen sie auch so gut über die Runden.

Die Regierung passt kommendes Jahr diverse Familienleistungen nicht an die Inflation an, die Pensionen aber voraussichtlich schon. Ist das familienfreundliche Politik?

Wir haben es in den intensiven Budgetverhandlungen geschafft, dass jede einzelne Familienleistung erhalten bleibt – vom Familienbonus bis zum Kinderbetreuungsgeld. Und zwar auch in der aktuellen Höhe. Und zum Vergleich mit den Pensionen: Wir haben die Familienleistungen in den letzten drei Jahren um 20 Prozent erhöht. So hohe Anpassungen gab es bei den Pensionen nicht.

Claudia Plakolm

Eine Debatte, die immer wieder hochkocht, ist jene über eine Anhebung des gesetzlichen Pensionsantrittsalters. Da gibt es auch in Ihrer Partei unterschiedliche Positionen. Reichen 65 Jahre?

Deutlich zu niedrig ist das tatsächliche Pensionsantrittsalter, da sind wir weit weg vom gesetzlichen. Um dieses zu steigern, haben wir die Teilpension oder strengere Regeln bei der Korridorpension beschlossen. Wir sollten einmal alles unternehmen, dass das gesetzliche eingehalten wird. Wenn eh alle immer früher in Pension gehen, bringt ein höheres gesetzliches Antrittsalter nichts.

Frauenministerin Eva-Maria Holzleitner will das Sexualstrafrecht verschärfen. Sex ohne ausdrückliche Zustimmung soll wie in Schweden oder Norwegen künftig unter Strafe stehen. Wären Sie da gesprächsbereit?

Wir haben im Regierungsprogramm eine Reform des Sexualstrafrechtes vorgesehen. Sexueller Kontakt muss selbstverständlich immer einvernehmlich passieren und man kann sich hier die unterschiedlichen Vorschläge ansehen, die am Tisch liegen.

Ein immer größeres Thema ist die Geschlechtsdysphorie – Menschen, die mit ihrem Geschlecht unzufrieden sind. In Österreich sind Pubertätsblocker oder operative Eingriffe wie Brustamputationen bei Minderjährigen prinzipiell zulässig. Finden Sie das richtig?

Nein, weil es um medizinische Eingriffe in den Körper von Kindern und Jugendlichen geht, die nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Das sind große Eingriffe in einer Zeit, wo sich der Körper und auch die Persönlichkeit von pubertierenden Menschen entwickeln.

Ab welchem Alter sollte das möglich sein?

Gerade bei diesen sensiblen Themen, wo es um gesundheitliche Konsequenzen geht, lege ich viel Wert auf das Wort von Expertinnen und Experten. Es gibt auch Altersgrenzen bei der Sterilisation.

Sie haben eine Taskforce eingerichtet, die sich um Familienleistungen für Vertriebene aus der Ukraine kümmern sollte. Gibt es bereits eine Lösung?

Wir haben im Rahmen einer Arbeitsgruppe viele Gespräche zu diesem Thema geführt. Die Regelung, dass Vertriebene aus der Ukraine auch Familienleistungen beziehen können, läuft mit Ende Oktober aus. Aktuell ist das Thema auch in der Koalition, wie die Nachfolgeregelung aussehen kann. Mein Standpunkt bleibt: Die Regelung muss ein Anreiz dafür sein muss, dass vertriebene Ukrainerinnen und Ukrainer nur dann Familienleistungen erhalten, wenn sie ihren Zugang zum Arbeitsmarkt nutzen.

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