Christiane Spiel: Nur eine psychisch stabile Person sollte Lehrer werden

Der Lehrer steht im Zentrum des Schulerfolgs
Pädagogen müssen erkennen können, warum ein Schüler versagt, meint Bildungsexpertin Spiel.

Ganztagsschule, Neue Mittelschule oder Zentralmatura: Die Bildungspolitik hat in den vergangenen Jahren viele Reformen in die Wege geleitet, die alle das Ziel hatten, die Leistungen der österreichischen Schüler zu verbessern. Doch die Reformen zeigen kaum Wirkung.

Weniger im Fokus standen bisher die Lehrer. Dabei sind sie der zentrale Erfolgsfaktor in einem erfolgreichen Schulsystem, wie der neuseeländische Bildungsforscher John Hattie in einer Metastudie herausgefunden hat. Der KURIER sprach mit der Bildungspsychologin Christiane Spiel, warum in der öffentlichen Debatte so wenig darüber gesprochen wird, was einen guten Lehrer ausmacht.

KURIER: Warum ist die Ausbildung der Lehrpersonen in Bildungsdiskussionen kaum ein Thema?

Christiane Spiel:Es ist schon ein Thema, auch wenn viel häufiger über Strukturelles diskutiert wird, siehe Lehrerinnenbildung neu. Viele vergessen jedoch, dass es nicht reicht, Gesetze zu verabschieden. Die Umsetzung erfordert viel Aufwand, sowohl der Ausbildner als auch derer, die Studienpläne entwickeln. Oft gibt es hierfür keine qualifizierten Personen: Wir haben große Probleme, Fachdidaktiker für Deutsch oder Mathematik für die Volksschule zu finden. Es gibt kaum entsprechend qualifizierte Personen im ganzen deutschen Sprachraum. Diese Komplexität, so etwas erfolgreich umzusetzen, ist vielen nicht bewusst.

Was macht laut Wissenschaft einen guten Lehrer aus?

Die "Teacher, Education and Development Studies"-Studie hat gezeigt, dass man eine gute und solide fachliche Ausbildung braucht, sowohl wissenschaftlich als auch fachdidaktisch.

Das reicht aus?

Nein, eine Lehrperson benötigt auch eine gute diagnostische Kompetenz, um erkennen zu können, warum ein Schüler nicht gut lernt. Sie muss wissen, wie man selbstwertförderliches Feedback gibt. Auch die Authentizität einer Lehrperson ist wichtig. Zudem braucht es Ergebnisverantwortlichkeit als Grundhaltung: Ziel der Lehrperson muss sein, dass jeder den Stoff versteht. Auch die Individualisierung wird immer wichtiger, da die Schülerschaft immer heterogener wird.

Christiane Spiel: Nur eine psychisch stabile Person sollte Lehrer werden
Diskussionsrunde "Schulsystem" in der Industriellen Vereinigung, Wien am 01.07.2015.

Wie wählt man die richtigen Personen für den Lehrberuf aus? Kann jeder Lehrer werden?

Man sollte nicht schnell sagen: Ein Lehrer muss diese oder jene Eigenschaften haben. Es gibt eine heterogene Schülerschaft, während die Lehrerschaft eher homogen ist. Wir brauchen z. B. mehr männliche Lehrpersonen und solche mit Migrationshintergrund. Denn Ähnlichkeit erleichtert den Aufbau sozialer Beziehungen. Ich würde eher fragen: Welche Eigenschaften, welche Kompetenzen sollten Lehrpersonen unbedingt aufweisen. Ein Beispiel dafür ist psychische Stabilität. Die kann durch die Ausbildung nicht vermittelt werden, die sollte man mitbringen. Studien zeigen, dass manche Lehramtsstudierende hier Probleme aufweisen. Da braucht man sich nicht wundern, wenn Lehrkräfte so anfällig für Burn-outs sind.

Stehen Lehrer zu sehr unter Druck, eine Fülle von Stoff durchpeitschen zu müssen?

Wir müssen weg von den Durchschnitts- hin zu Mindeststandards: also festlegen, was jedes Kind, wenn es die Schule verlässt, können soll, wie sinnverstehend lesen oder ein mathematisches Grundverständnis. Und wir benötigen wesentlich mehr Unterstützungssysteme. Denn wenn die Lehrpersonen gleichzeitig die Aufgaben von Schulpsychologen und Sozialarbeitern übernehmen müssen, kommen sie viel weniger zum Unterrichten.

Glauben Sie, dass Vorbilder fehlen, die den Schülern vermitteln, dass man sich anstrengen muss und beim Lernen an seine Grenzen gehen soll?

Ich glaube, dass das besonders in Österreich ein Problem ist. In anderen Ländern gibt es eine andere Einstellung zu Leistung. Streber ist bei uns ein Schimpfwort. Wenn man nach etwas strebt, ist das doch eigentlich etwas sehr Positives. Die Lehrperson sollte das vermitteln. Gerade Aufgaben, wo es nicht nur eine einzige Lösung gibt, sondern man etwas Individuelles dazu beitragen kann, sind motivierend. Je herausfordernder Aufgaben sind, desto mehr strengt man sich an und ist nachher stolz. Wenn die Aufgaben zu schwer sind, entmutigt es. Die Auswahl der richtigen Aufgaben setzt wieder diagnostische Kompetenz voraus.

Zurück zur Lehrerbildung. Wie hätte die Politik diese angehen müssen?

Eine neue Pädagogenbildung zu machen, war richtig. Auch deren Grundpfeiler sind richtig: Alle auf akademischem Masterniveau auszubilden und nicht mehr für einen Schultypus, sondern für eine Altersstufe. Bisher war es so: Je kleiner die Kinder, desto kürzer die Ausbildung. Das ist Unsinn, weil man gerade in den ersten Lebensjahren einen wichtigen Grundstein legen kann. Die Kooperation von Pädagogischen Hochschulen und Universitäten ist auch ein Fortschritt. Es hat sich viel getan, nur sind wir nicht am Ende der Fahnenstange. Dieses Ende wird es auch nie geben. Es wird ständig Veränderungen geben, wie die Digitalisierung, sodass wir nie sagen können: Wir haben es geschafft und können uns nun zurücklehnen.

Wäre es Aufgabe der Gewerkschaften, sich um die Professionalisierung des Lehrerberufs zu kümmern?

Ich weiß nicht, ob die Gewerkschaft, so wie sie aufgebaut ist, dazu in der Lage ist. Eine Gewerkschaft als Standesvertretung ist wichtig. Mir fehlt eine Professionsvertretung, die fragt, wie der Beruf sich entwickeln soll, welche Qualitätsstandards es braucht. Allein die Tatsache, dass viele Kinder nicht sinnverstehend lesen können, zeigt, dass Qualitätssicherung notwendig ist. Eine Professionsvertretung sollte sicherstellen, dass es für Pädagogen selbstverständlich ist, sich weiterzubilden, sich als Team in der Schule sehen und an der Schulentwicklung mitzuarbeiten. Und sie sollte auch eine "Verabschiedungskultur" für nicht geeignete Lehrpersonen entwickeln und etablieren.

Müsste das eine Organisation außerhalb der Gewerkschaft sein?

Es gibt Länder, wo das mehr verbunden ist. Aber es ist ein Zwiespalt, diese Doppelrolle wahrzunehmen. Man sieht z. B. bei der Ärztekammer, dass dieser Spagat nicht einfach zu bewältigen ist. Sie organisiert zwar Weiterbildungen und Zertifikate, sieht sich aber gleichzeitig bedroht, wenn von staatlicher Seite Qualitätssicherungsmaßnahmen gesetzt werden.

Wie könnte denn diese Qualitätssicherung aussehen?

Was noch wenig vorhanden ist, ist Evaluation. Man kann in der Schule jetzt schon evaluieren – also gegenseitige Besuche im Unterricht, wechselseitiges Anschauen von Schularbeiten etc. Es gibt hochengagierte Schulen und Lehrer, die das auch machen, aber eben nicht alle. Oft gerade diejenigen nicht, bei denen es nötig wäre. Da wäre eine Verpflichtung wichtig. Das kann leichter werden, wenn die Autonomie erhöht wird und die Direktoren einen höheren Status haben. Ohne mittleres Management geht das allerdings nicht, denn ein Schulleiter kann z. B. nicht hundert Mitarbeitergespräche führen. Evaluierung liefert die Basis für Schulentwicklung und damit langfristig auch für Systementwicklung.

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