Scharfe Kritik
„Wo wir uns einig sind: Ein Erdoğan-Ableger, der hier zu Wahlen antritt, ist das Letzte, was wir brauchen“, erklärte etwa der Grüne Minister Cem Özdemir, SPD-Vorsitzende Saskia Esken befand, dass "die spalterischen Tendenzen eines Recep Tayyip Erdogan" in Deutschland keine Rolle spielen dürften.
Das Projekt könnte insofern erfolgreich sein, weil es in Deutschland keine Sperrklausel gibt: Bei den Europawahlen gab es in Deutschland zunächst eine Fünf-Prozent-Hürde. Nach der Wahl 1994 durften deshalb zum Beispiel die FDP und die Republikaner keine Abgeordneten mehr entsenden, weil sie unter die Hürde gerutscht waren. 2011 hat das deutsche Bundesverfassungsgericht die Fünf-Prozent-Hürde gekippt.
Daraufhin wurde eine Drei-Prozent-Hürde beschlossen, die das Verfassungsgericht aber noch vor der Europawahl 2014 ebenfalls verworfen hat. Die Sperrklausel verstoße gegen die Grundsätze der Chancengleichheit der politischen Parteien und der Wahlrechtsgleichheit, befanden die Richter.
Die Folge ist, dass derzeit Abgeordnete von 14 Parteien von Deutschland ins EU-Parlament entsendet werden, davon fünf Parteien mit jeweils nur einem Mandatar. Deutschland stellt derzeit 96 EU-Abgeordnete. 2019 konnte etwa die Piratenpartei mit nur 0,7 Prozent der Stimmen (243.302 Stimmen) ein Mandat erreichen.
In Österreich gibt es, anders als in Deutschland, eine Sperrklausel. Eine Partei benötigt laut Europawahlordnung zumindest vier Prozent der Stimmen, um ein Mandat zu erhalten, Österreich stellt derzeit 19 EU-Abgeordnete, rein rechnerisch sind also zumindest 5,2 Prozent für ein Mandat nötig. Die Neos etwa benötigten 2019 8,4 Prozent (319.024 Stimmen) für ihr Mandat.
In Österreich Chancen?
Aber so ein Projekt auch in Österreich Erfolgschancen? Der österreichische Politologe Kenan Güngör ist da skeptisch. „Auf Bundesebene ist das aus meiner Sicht nicht realistisch“, sagt der Experte mit Migrationshintergrund.
Von denn 250.000 bis 300.000 Türken in Österreich seien rund 110.000 österreichische Staatsbürger, die Hälfte davon sieht er als AKP-Unterstützer an. Es sei aber unwahrscheinlich, dass diese sich geschlossen einer Partei zuwenden, zudem seien nicht wenige in etablierten Parteien verankert.
SÖZ-Partei
Chancen sieht er aber für eine türkische Migrantenparteien auf kommunaler Ebene – in Städten mit einem hohen Türken-Anteil. In Wien erlangte etwa die Partei SÖZ („Soziales Österreich der Zukunft“) 1,20 % der Wählerstimmen und zog damit zwar nicht in den Landtag ein, jedoch gelang mit insgesamt sieben Mandataren der Einzug in sechs Bezirksvertretungen. Politexperte Güngör warnt deshalb vor einem „Über-Alarmismus“ gegenüber solchen neuen politischen Gruppierungen.
Ein Antreten bei der EU- bzw. Nationalratswahl sei ohnehin nicht geplant, sagt SÖZ-Parteichef Hakan Gördü zum KURIER. Zu gering seien die Chancen, vor allem weil viele Migranten mangels Staatsbürgerschaft gar nicht wahlberechtigt seien.
Denkbar sei, dass man andere Kleingruppierungen bei der Nationalratswahl unterstützen werde, so Gördü. Fix antreten wolle man dann jedenfalls wieder bei der Wien-Wahl 2025.
Gördü selbst war bis 2016 Spitzenfunktionär der AKP-nahen Union Europäisch-Türkischer Demokraten. Anders als DAVA steht er laut eigenen Angaben mit SÖZ in Distanz zu Erdoğan und der türkischen Politik. „Es geht uns um soziale Politik, ohne Einfluss aus dem Ausland.“ Die Erfolgsaussichten von DAVA seien laut Gördü durchaus gegeben: „Die medialen Angriffe sind eine unbezahlbare Wahlwerbung für sie.“
"Doppelmoral"
Und wie sieht er die neue deutsche DAVA-Partei? Dort gibt es rund 1,3 Millionen türkischstämmige Staatsbürger. Die DAVA-Partei würde im konservativ-islamischen bis -islamistischen Spektrum agieren, und bediene populistisch ein klassisches „Opfer-Narrativ“. „Das ist natürlich verlogen, so eine Doppelmoral ist offensichtlich, da sie Demokratie und Vielfalt einfordern, obwohl genau diese Themen in der Türkei deutlich beschränkt seien.
Kommentare