CETA: Coup der Handelsminister

Im Gleichklang: Reinhold Mitterlehner und Sigmar Gabriel
Wie Mitterlehner und Gabriel ihr wirtschaftspolitisches Profil schärfen.

Im EU-Rat der Handelsminister sitzen sie nahe beisammen, und so kamen die Herren miteinander ins Gespräch und wälzten gemeinsame Problemlagen: Beide sind Wirtschaftsminister in stark exportabhängigen Ländern. Beide sind in ihren Bevölkerungen mit breitem, emotionalen Widerstand gegen den Freihandel konfrontiert.

Doch den zu erwartenden Schwierigkeiten zum Trotz kam es für SPD-Chef Sigmar Gabriel und ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner nicht infrage, das Abkommen der EU mit Kanada nach sieben Jahren Verhandlungen scheitern zu lassen. Man entwarf einen Schlachtplan und einen krönenden Abschluss: Bei einem Sondertreffen der Handelsminister – das war Gabriels Idee – sollte der Erfolg feierlich begangen werden.

Tatsächlich wird es nach einigen Wochen politischer Turbulenzen am kommenden Dienstag in Luxemburg so weit sein, die europäischen Wirtschaftsminister werden das Abkommen mit Kanada im Rahmen einer Sondersitzung formell beschließen.

Reinhold Mitterlehner wird dann in Österreich noch eins drauf setzen: Am kommenden Freitag wird der ÖVP-Chef eine wirtschaftspolitische Grundsatzrede in der Aula der Wissenschaften halten.

Trennung von TTIP

Ein wichtiger Schritt zum Erfolg war, dass Gabriel und Mitterlehner CETA von TTIP, dem angestrebten Abkommen mit den USA, entkoppelten. "CETA hat die Zeche für die Fehler bei TTIP bezahlt", sagt Mitterlehner im Gespräch mit dem KURIER. "Aber Kanada ist mit den Vereinigten Staaten nicht vergleichbar, Kanada hat eine Kultur, die Europa näher ist, es hat keine Großkonzerne, es ist ein Volk von 36 Millionen, vor dem wir uns nicht fürchten müssen."

Im Alltag, sagt Mitterlehner, würden die Österreicher gar nicht merken, dass es ein Freihandelsabkommen mit Kanada gibt. Es seien trotz der wirtschaftlichen Vorteile auch keine Exportzuwächse im zweistelligen Bereich zu erwarten. CETA abzuschließen sei aus Prinzip notwendig. Mitterlehner: "Wir befinden uns in einer äußerst gefährlichen Situation, was unseren Vertrauensbonus als Europa im internationalen Wirtschaftsgeschehen anbelangt. Wenn wir nach sieben Jahren Verhandlungen die Ergebnisse für Schall und Rauch erklären, wird niemand mehr mit uns ein Abkommen schließen wollen. Dann darf man sich nicht wundern, wenn alles sich nach Asien wendet. CETA ist eine Wegkreuzung, ob wir uns – als Österreich und als Europa – vom internationalen Handel verabschieden."

Kampf für Freihandel

Inner-österreichisch focht Mitterlehner in seinem Kampf für Freihandel ziemlich allein. Eine Allianz aus Grünen und FPÖ ist sowieso dagegen, aber auch in den eigenen Reihen sind viele aus populistischen Gründen in Deckung geblieben.

Von der SPÖ hatte Mitterlehner zwar Einwände erwartet, aber die Vorgangsweise von SPÖ-Chef Christian Kern habe ihn dann schon überrascht. Mitterlehner: "Sigmar Gabriel hat in der SPD gekämpft wie ein Löwe. Er hat Ängste und Emotionen mit Sachinformationen ausgeräumt. Christian Kern hat sich mit der SPÖ-Mitgliederbefragung Emotionen und Ängste lediglich abgeholt, anstatt anhand des Verhandlungsergebnisses Sachinformationen einzubringen. Wenn man schon die Mitglieder fragt, muss man die Lösung abfragen, nicht die Emotion."

"Enttäuscht" ist Mitterlehner von den Präsidentschaftskandidaten Alexander Van der Bellenund Norbert Hofer: "Ich erwarte mir, dass ein Bundespräsident versteht, dass Handelsverträge und internationale Spielregeln für ein Land wichtig sind." Wer immer am 4. Dezember gewinne: "Ich erwarte mir, dass wir bald mit einer Wirtschaftsdelegation eine Kanada-Reise machen, um auszuloten, welche Chancen uns dort offenstehen. Da ist noch einiges drinnen".

Kritik an den NGOs

Herbe Kritik übt der Vizekanzler an NGOs. "Manche NGOs setzen Legenden in die Welt, wonach Großkonzerne mit privaten Sonderklagsrechten unsere Standards aushebeln würden. Das geht damit einher, dass das Atomthema nicht mehr so beherrschend ist. Jetzt werden Großkonzerne und Weltverschwörungen als Thema aufgebaut, um Spenden zu lukrieren und Meinung zu machen." Er bekomme viele Briefe von älteren Leuten, "denen NGOs mit Mythen Angst einjagen. Ich finde das unfair. Österreich besingt sich in der Bundeshymne, dass es inmitten des Erdteils liegt. Wir haben immer davon profitiert, dass uns andere etwas abkaufen, darauf gründet sich unser Wohlstand. Und dann verhalten wir uns so, als ob uns alle Welt übel wollte und uns mit verseuchten Hühnern und anderen Materialien heimsucht".

Trotz des Zerwürfnisses diese Woche im Nationalrat geht Mitterlehner nicht von baldigen Neuwahlen aus: "Ich kann doch nicht die Wähler um einen Problemlösungsauftrag bitten, wenn ich gleichzeitig eingestehen muss, dass ich an der Problemlösung gescheitert bin." Er merke eine "bestimmte Rationalität in der Regierung", dies einzusehen.

Die Frage des ÖVP-Spitzenkandidaten – Mitterlehner oder Sebastian Kurz– wird erst entschieden, wenn sie ansteht. Vielleicht ergibt sich ja auch hier eine Parallele zu Sigmar Gabriel: Dieser ließ bei der Bundestagswahl 2013 Peer Steinbrückden Vortritt als SPD-Spitzenkandidat, blieb aber selbst SPD-Chef. Und er ist es nach Steinbrücks Rückzug auch heute noch.

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