"Österreich hält zur Ukraine": Van der Bellen bei Selenskij in Kiew

"Österreich hält zur Ukraine": Van der Bellen bei Selenskij in Kiew
Der Bundespräsident reiste am Mittwoch in die Ukraine, um ein "demonstratives Zeichen weiterer Unterstützung" zu setzen. Begleitet wurde er von Gewessler und Kocher.

Riesige Kristallluster, schwere Brokatvorhänge und glänzende Marmorböden bilden das prächtige Ambiente für ein düsteres Bild in Kiews Marienpalast. Hier, am Amtssitz des ukrainischen Präsidenten, empfängt Kriegspräsident Wolodimir Selenskij, wie immer im dunklen Armeepullover und -Hosen, den österreichischen Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen.

Es war der russische Angriffskrieg, der den österreichischen Präsidenten, nach einem kurzen Abstecher in die Slowakei, am Mittwoch in die Ukraine führte. "Es ist wichtig zu sehen, was dieser Krieg anrichtet", sagte Van der Bellen, sichtlich berührt. "Das Leid, die Zerstörung, das Unrecht, die Grausamkeit des Krieges, in Butscha war sie zu spüren."

Und vorbehaltlos und immer wieder versicherte der österreichische Präsident seinem um fast vier Jahrzehnte jüngeren ukrainischen Amtskollegen: "Wir als Österreicher stehen solidarisch und entschlossen an der Seite der Ukraine."

Wenn schon keine Waffen, dann humanitäre Hilfe

Waffen, Leopard-Panzer oder andere letale Systeme kann die Ukraine vom neutralen Österreich nicht erwarten, das weiß auch Selenskij. Doch er bittet um mehr humanitäre Hilfe, um Feuerwehrautos, Generatoren, medizinische Rettungswägen, vor allem aber um Anti-Drohnensysteme und Entminungshilfe. "Unsere Soldaten kommen in befreite Gebiete und sterben an Minen. Österreich könnte dabei mitwirken, das zu verhindern."

In Butscha, knapp 30 Kilometer von Kiew entfernt, sind die allerärgsten Kriegsschäden beseitigt. Die ausgebrannten Panzer sind verschwunden, gesprengte Dächer werden neu errichtet, Trümmerhaufen wurden weggeschoben. Doch die Wunden in der Kleinstadt mit ihren ehemals 30.000 Einwohnern sitzen noch tief.

"Österreich hält zur Ukraine": Van der Bellen bei Selenskij in Kiew

Bundespräsident Alexander Van der Bellen in Butscha.

Drei Wochen lang hatten vergangenen März russische Truppen gewütet. Als sie wieder abzogen, waren mehr als 450 Menschen tot, die meisten erschossen, viele gefesselt und gefoltert. Schrecklichster Schauplatz der russischen Kriegsverbrechen: Ein Massengrab, mehr als 116 Menschen fand man darin, Mütter mit ihren Kindern, gleich hinter der Sankt Andreas Kathedrale in Butscha.

Österreichische Hilfe vor Ort

Eine Woche lang saß Myroslav im Keller unter der Kirche, zusammen mit Dutzenden anderen, zu Tode verängstigten Menschen, während oben, auf der Straße Fahrradfahrer erschossen wurden. Während Menschen aus ihren Häusern gezerrt oder mit Panzerrohren auf vorbeifahrende Autos gefeuert wurde. "Als ich wieder nach oben kam", schildert der Mitarbeiter der Caritas im Port Irpin, "war die ganze Welt nur noch schwarz und weiß. Es war, als ob die Angst, die Kälte und der Hunger alle Farben gelöscht hätte."

Mittlerweile hat er wieder begonnen, der Wiederaufbau in jenen Teilen der Ukraine, wo nicht gekämpft wird. Die größte Schule in Butscha mit ihren 1.200 Schülern arbeitet wieder – und das mit österreichischer Hilfe. Alle Fenster, das Dach, die Türen, die Heizung waren zerstört. Heute singt ein kleines Mädchen dem andächtig zuhörenden Van der Bellen in der Klasse vor: "Slava Ukraine" – freie Ukraine. Ein anderes Schulkind unterdrückt mühsam die Tränen.

119 Millionen Euro hat Österreich an staatlicher Hilfe bisher an die Ukraine überwiesen, weitere 55 Millionen Spenden wurden von privaten Gebern gesammelt. Österreich ist damit pro Kopf einer der größten Geber für die Ukraine.

Die Widerstandsfähigkeit der Ukrainer, sie ringt Van der Bellen Bewunderung ab. Wobei diese, wie er betont, "nur Bestand haben kann, wenn der Westen, also vor allem USA und EU, in jeder Hinsicht unterstützen, mit Geräten, Waffen und Munition. Österreich natürlich nicht, wir sind militärisch neutral", betont Van der Bellen, "aber nicht politisch. Und wir unterstützen auf  humanitärem  und medizinischem Gebiet."

Die Zukunft im Schlepptau

Aber schon jetzt sollen die Rahmenbedingungen für die Zeit nach dem Krieg geschaffen werden. Und so brachten die mitreisende Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) und Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) auch Vorverträge mit. Für künftige Hilfen und Kooperation zwischen Österreich und der Ukraine auf dem Energiesektor und für den gesamten Wiederaufbau.

"Österreich hält zur Ukraine": Van der Bellen bei Selenskij in Kiew

Die österreichische Delegation im Rahmen eines Besuches in der Ukraine am Mittwoch.

FPÖ-Chef Herbert Kickl attackierte Alexander Van der Bellen für seinen Besuch: Er entwickle sich immer mehr in Richtung eines "Staatsgefährders an der Spitze unserer Republik" und ignoriere Österreichs immerwährende Neutralität. Russlands Botschafter in Wien, Dmitri Ljubinski, kritisierte Van der Bellens Aussage vom Vortag,  Wladimir Putin führe einen "Kolonialkrieg gegen die Ukraine".

Kritik an Raiffeisenbank

Bei allem Dank für Österreich erneuert Selenskij jedoch auch seine Kritik an der in Russland tätigen Raiffeisenbank. "Sie gewährt russischen Soldaten Kreditstundungen, das ist völlig unzulässig", ärgerte sich der ukrainische Präsident. Was er allerdings nicht sagte: In Russland ist das ein Gesetz, dort tätige Banken sind dazu verpflichtet. Sowohl er als auch Van der Bellen blicken düster in die kommenden Monate. "Selbstverständlich würde sich Österreich jederzeit in Friedensverhandlungen einbringen und als Vermittler anbieten. Aber derzeit sehe ich nirgends eine Friedenstaube fliegen."

Zwischenstopp in Bratislava

Wenige Stunden vor seiner Abreise in die Ukraine besuchte Van der Bellen noch seine slowakische Amtskollegin Zuzana Čaputová. In Bratislava besprachen der Präsident und Čaputová die aktuelle Lage im Kriegsgebiet und die Vorbereitungen auf den EU-Ukraine Gipfel. Der findet am 3. Februar ebenfalls in Kiew statt. Aus Sicherheitsgründen werden allerdings nicht alle 27 EU-Kommissare der Brüsseler Behörde anreisen.

"Österreich hält zur Ukraine": Van der Bellen bei Selenskij in Kiew

Wenige Stunden vor seiner Abreise in die Ukraine besuchte Van der Bellen noch seine slowakische Amtskollegin Zuzana Čaputová.

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