Brigitte Bierlein ist tot: Offizielles Online-Kondolenzbuch

Brigitte Bierlein ist tot: Offizielles Online-Kondolenzbuch
Österreichs erste Bundeskanzlerin starb am Montag im Alter von 74 Jahren. Die Bevölkerung kann nun öffentlich kondolieren.

Die ehemalige Bundeskanzlerin und Präsidentin des Verfassungsgerichtshofs, Brigitte Bierlein, ist am Montag gestorben. Sie wurde 74 Jahre alt und erlag einer kurzen, schweren Krankheit. 

Die Republik trauert. Am Dienstagnachmittag wurde hierzu das offizielle Kondolenzbuch online gestellt: Brigitte Bierlein ist tot: Es ist unter der URL  https://www.kondolenz.gv.at abrufbar. Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) entzündete in der Hauskapelle des Bundeskanzleramtes eine Kerze für die Verstorbene. 

Gedenken an Brigitte Bierlein im Bundeskanzleramt

Ein Nachruf auf Brigitte Bierlein

Sie hat mehrfach Geschichte geschrieben.

14 Bundeskanzler brauchte es etwa in der Zweiten Republik, bis mit Brigitte Bierlein 2019 die erste Frau einer Regierung vorstand. 

Als sie Anfang 2020 aus dieser Funktion wieder ausschied, war allen politischen Beobachtern klar: Die elegant gekleidete, klar und schnörkellos formulierende Ex-Verfassungsrichterin musste eine ernstzunehmende Kandidatin für die Bundespräsidentschaft werden. 

Allein: Brigitte Bierlein winkte ab. Sie werde sich um ihr Privatleben kümmern, kündigte sie an. Und daran hielt sie sich auch. 

Brigitte Bierleins Auftritte wurden rar. Bei der Verleihung des höchsten Ordens der Republik im Jahr 2021 stand sie doch noch einmal in der Öffentlichkeit: Bundespräsident Alexander Van der Bellen zeichnete sie in der Hofburg mit dem Großen Goldenen Ehrenzeichen am Bande aus.

Die Verfassungsrichterin Brigitte Bierlein hatte einen späten Karrieresprung

Brigitte Bierlein war davor einer breiten Öffentlichkeit schon als Vizepräsidentin des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) bekannt geworden. Die Funktion bekleidete sie ab 2003. Und es schien der ehrenvolle Höhepunkt ihrer Laufbahn als Juristin zu sein. 

Gegen Ende zog dann ihre Karriere bemerkenswert an: Zwei Jahre vor ihrer Pensionierung wurde sie 2018 zur ersten Präsidentin des Verfassungsgerichtshofs gekürt. Ihre konsequente Zielstrebigkeit umschrieb sie euphemistisch mit "gewissem Ehrgeiz".

Die Stütze der Republik im Chaos nach Ibiza

Im Mai 2019 brach der Ibiza-Skandal rund um FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache über die Republik herein. Die Regierung Kurz I. implodierte. 

Die Republik suchte also eine verlässliche Stütze im Kanzleramt. Man einigte sich auf Brigitte Bierlein. Sie stand der Expertenregierung vor, die die Aufgabe hatte, die Regierungsgeschäfte zu verwalten. 

Dieses Kabinett hatte viel Expertise, war politisch aber insofern dem Nationalrat "ausgeliefert", als Bierleins Übergangsregierung keine Parlamentsparteien und damit auch keine Mehrheit im Parlament hinter sich hatte - es galt also, möglichst keinen Anlass für eine Abwahl zu geben, während im Nationalrat wechselnde Mehrheiten für Gesetzesbeschlüsse sorgten. Bierlein fungierte in diesem politisch neuen Umfeld als umsichtige Kurzzeit-Kanzlerin und erwarb sich damit hohes Ansehen in der Bevölkerung. 

Politisch wurde Bierlein, der als Staatsanwältin eine gewisse Tendenz zu Law&Order zugeschrieben wurde, eher dem konservativen Sektor zugeordnet. Parteimitglied war sie jedoch nie. Als Van der Bellen sie zur Kanzlerin ernannte, kam dann auch Beifall von allen Seiten. 

Brigitte Bierlein als Bundeskanzlerin.

Eigentlich wollte sie Kunst studieren

Die juristische Karriere war ihr nicht gleich vorgezeichnet gewesen. Die Tochter eines Beamten wollte eigentlich Kunst oder Architektur studieren. Die Mutter (die selbst eine Kunst-Ausbildung hatte) riet ihr davon ab, Bierlein befolgte den Rat und entschied sich für Jus.

Ab da ging es geradeaus nach oben: In nur vier Jahren absolvierte sie das Studium, mit 26 legte sie die Richteramtsprüfung ab, mit 28 Jahren wurde sie zur Staatsanwältin ernannt, mit 41 Generalanwältin, 2003 Vizepräsidentin am VfGH und am 1. Jänner 2018 dessen Leiterin.

Brigitte Bierlein im Bundeskanzleramt

Kunstsinnig blieb sie weiterhin

In ihrer Freizeit besuchte Bierlein gerne Vernissagen und Ausstellungen, auch Oper und Theater. Zudem sammelte sie Kunst, besaß unter anderem ein Original von Josef Mikl. Die Verbindung zwischen Recht und Kunst kam zustande, als sie 2019 zur Leiterin der Sonderkommission zum Skandal in der Wiener Ballett-Akademie bestellt wurde.

Für Familie blieb der Wienerin keine Zeit, sie hätte es sich nicht vorstellen können, Job und Kinder unter einen Hut zu bringen, sagte Bierlein in Interviews. Ihr langjähriger Lebensgefährte, der Richter Ernest Maurer, verstarb 2021.

Wie durchsetzungsstark Brigitte Bierlein abseits der Juristerei war, illustriert eine Anekdote aus 2004: Damals wurde die Verfassungsrichterin spätabends von einem Räuber attackiert, der ihr die Handtasche entreißen wollte. Bierlein konterte mit einer Aktion, die eine legendäre Anekdote werden sollt: Sie klammerte sich an ihre Tasche und ließ nicht los. Der Legende nach soll sie der Täter über die Straße geschleift haben. Bierlein war nicht kleinzukriegen. Bei dem Überfall wurde sie verletzt. 

Warum hatte sie nicht einfach losgelassen? 

Bierleins trockene Begründung: Wegen der Kreditkarte. Und sie habe keine Lust auf "die Rennerei" für neue Dokumente gehabt.

Wenn sie im Unrecht war, konnte sie auch kleinlaut sein: Als sie vor vier Jahren mit mehr als 0,8 Promille am Steuer erwischt wurde, entschuldigte sie sich: "Es tut mir aufrichtig leid." 

Statement Van der Bellen zu Brigitte Bierlein

Reaktionen auf Brigitte Bierleins Ableben

  • Bundespräsident Alexander Van der Bellen zeigte sich tief betroffen von Bierleins Tod. In einer Videobotschaft nannte er sie "eine mutige Frau" und "treue Dienerin der Republik Österreich". Bierlein habe stets mit Sachkenntnis und Empathie, Stärke und Gelassenheit, sowie Selbstvertrauen und Selbstkritik agiert und die aufgeheizte innenpolitische Situation 2019 binnen kurzem beruhigt. "Ich hoffe, dass ihr bewusst war, wie sehr sie andere inspiriert hat", so Van der Bellen. "Sie wird Österreich fehlen!"
     
  • Bundeskanzler Karl Nehammer verlieh ebenfalls seiner Erschütterung Ausdruck. Mit Bierlein verliere Österreich eine herausragende Persönlichkeit und Vorreiterin, die die Republik für Generationen entscheidend geprägt habe: "Sie hat in einer schwierigen Zeit nicht gezögert, Verantwortung zu übernehmen, um der Republik und den Menschen in unserem Land zu dienen." Die österreichische Flagge auf dem Dach des Bundeskanzleramtes wurde auf halbmast gesetzt.
     
  • Vizekanzler und Grünen-Chef Werner Kogler bezeichnete die Verstorbene als Pionierin in vielerlei Hinsicht: "Mit Kompetenz und Sachlichkeit hat sie ihr Amt in einer politisch unruhigen Phase verantwortungsvoll geführt." 
     
  • Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP), aktuell Vorsitzende der Landeshauptleute-Konferenz, nannte Bierlein eine "große und beeindruckende Persönlichkeit". Auch weitere Landeshauptmänner kondolierten.
     
  • Bierleins Kanzlervorgänger und -nachfolger Sebastian Kurz (ÖVP) meldete sich ebenfalls zu Wort. Bierlein habe in einer turbulenten Zeit mit ruhiger Hand für Stabilität in Österreich gesorgt und davor über viele Jahre die Arbeit des VfGH geprägt, erklärte er.
     
  • SPÖ-Chef Andreas Babler betonte, Österreich verliere mit Bierlein eine engagierte Juristin und hoch angesehene Persönlichkeit, die in einer der schwersten Krisen der Zweiten Republik nach dem jähen Ende der schwarz-blauen Bundesregierung nicht gezögert habe, Verantwortung zu übernehmen. 
     
  • FPÖ-Chef Herbert Kickl würdigte sie als "großartige Persönlichkeit, Juristin und Politikerin". NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger sprach von einem "traurigen Tag für Österreich" und nannte Bierlein als erste Bundeskanzlerin "ein Vorbild für viele".
     
  •  Von VfGH-Präsident Christoph Grabenwarter hieß es, der Verfassungsgerichtshofs verliere eine unparteiliche ehemalige Präsidentin und einen hochgeschätzten Menschen, Österreich eine entschlossene Verfechterin des Rechtsstaats. 
     
  • Rechnungshof-Präsidentin Margit Kraker meinte, Bierlein habe Maßstäbe gesetzt und sei eine herausragende Persönlichkeit gewesen. 
     
  • Worte der Trauer kamen auch von den Bundestheatern. Bierlein fungierte als Aufsichtsratsvorsitzende der Holding.

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